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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.
den die Bergbewohner sehr bezeichnend "Dursthunger" nennen, --
und die den Augen drohende Entzündung, die in das s. g. "Schnee¬
blindwerden
" ausarten kann, wenn man die Sehorgane nicht
durch eine blaue oder graue Brille gegen die andauernd blenden¬
den, heftigen Einwirkungen der grellen Schnee-Reflexe auf stunden¬
langen Firnwanderungen schützt. Aber nicht nur die Augen greift
diese Licht-Rückstrahlung des Schnees an, sondern sogar auch die
entblößten Theile des Körpers, vor allen das Antlitz, wenn man
dasselbe nicht durch einen farbigen Schleier schützt. Diese Einwir¬
kung äußert sich in so hohem Grade, daß ein völliges Verbrennen
der Haut, wie jenes in der schärfsten Sonnenhitze, eintritt, dem
dann Blasen und Wundwerden mit späteren Schorfen folgen.
Schleier sind freilich für die unbeschränkte Aussicht sehr hinderlich
und vermehren die ohnedies herrschende Hitze in hohem Grade,
da sie allen Luftzutritt absperren. Um sich zu erfrischen, ballen die
Führer Schnee zusammen und legen denselben in den Nacken, --
ein Kühlungsmittel, das kräftigen Naturen in jenen Hochregionen
nicht schadet, wo ohnedies, Geist wie Körper, entfesselter und unab¬
hängiger von äußeren Einflüssen sind. --

Wir kehren zum Bergmarsche zurück. Die Firnschründe sind
nicht die letzten der zu überwindenden Schwierigkeiten; es häufen
sich deren neue, die unter Umständen gefahrbringend sein können.
Zu diesen gehören zunächst die Eishänge. In bedeutenden Hö¬
hen schmilzt Sonnenwärme oder Föhnwind an jähen Abhängen die
Oberfläche des Firnes, mitunter bis auf mehrere Fuß Tiefe. Das
der Krystallisation durch Wärmeaufnahme entbundene Wasser durch¬
dringt den Schnee, friert jedoch während der Nacht wieder. Hier¬
aus entsteht eine Eisfläche, die, um einen hinkenden Vergleich an¬
zuwenden, dem, im Tieflande bekannten, s. g. "Glatteis" verwandt
ist, nur, daß sie eben viel dicker, kompakter, massiger wird. Solche
Eisrücken zu erklimmen, erfordert immer viel Arbeit, Mühe und
Geduld; hier muß das Beil helfen, um mittelst desselben Tritte in

Alpenſpitzen.
den die Bergbewohner ſehr bezeichnend „Durſthunger“ nennen, —
und die den Augen drohende Entzündung, die in das ſ. g. „Schnee¬
blindwerden
“ ausarten kann, wenn man die Sehorgane nicht
durch eine blaue oder graue Brille gegen die andauernd blenden¬
den, heftigen Einwirkungen der grellen Schnee-Reflexe auf ſtunden¬
langen Firnwanderungen ſchützt. Aber nicht nur die Augen greift
dieſe Licht-Rückſtrahlung des Schnees an, ſondern ſogar auch die
entblößten Theile des Körpers, vor allen das Antlitz, wenn man
daſſelbe nicht durch einen farbigen Schleier ſchützt. Dieſe Einwir¬
kung äußert ſich in ſo hohem Grade, daß ein völliges Verbrennen
der Haut, wie jenes in der ſchärfſten Sonnenhitze, eintritt, dem
dann Blaſen und Wundwerden mit ſpäteren Schorfen folgen.
Schleier ſind freilich für die unbeſchränkte Ausſicht ſehr hinderlich
und vermehren die ohnedies herrſchende Hitze in hohem Grade,
da ſie allen Luftzutritt abſperren. Um ſich zu erfriſchen, ballen die
Führer Schnee zuſammen und legen denſelben in den Nacken, —
ein Kühlungsmittel, das kräftigen Naturen in jenen Hochregionen
nicht ſchadet, wo ohnedies, Geiſt wie Körper, entfeſſelter und unab¬
hängiger von äußeren Einflüſſen ſind. —

Wir kehren zum Bergmarſche zurück. Die Firnſchründe ſind
nicht die letzten der zu überwindenden Schwierigkeiten; es häufen
ſich deren neue, die unter Umſtänden gefahrbringend ſein können.
Zu dieſen gehören zunächſt die Eishänge. In bedeutenden Hö¬
hen ſchmilzt Sonnenwärme oder Föhnwind an jähen Abhängen die
Oberfläche des Firnes, mitunter bis auf mehrere Fuß Tiefe. Das
der Kryſtalliſation durch Wärmeaufnahme entbundene Waſſer durch¬
dringt den Schnee, friert jedoch während der Nacht wieder. Hier¬
aus entſteht eine Eisfläche, die, um einen hinkenden Vergleich an¬
zuwenden, dem, im Tieflande bekannten, ſ. g. „Glatteis“ verwandt
iſt, nur, daß ſie eben viel dicker, kompakter, maſſiger wird. Solche
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[264/0298] Alpenſpitzen. den die Bergbewohner ſehr bezeichnend „Durſthunger“ nennen, — und die den Augen drohende Entzündung, die in das ſ. g. „Schnee¬ blindwerden“ ausarten kann, wenn man die Sehorgane nicht durch eine blaue oder graue Brille gegen die andauernd blenden¬ den, heftigen Einwirkungen der grellen Schnee-Reflexe auf ſtunden¬ langen Firnwanderungen ſchützt. Aber nicht nur die Augen greift dieſe Licht-Rückſtrahlung des Schnees an, ſondern ſogar auch die entblößten Theile des Körpers, vor allen das Antlitz, wenn man daſſelbe nicht durch einen farbigen Schleier ſchützt. Dieſe Einwir¬ kung äußert ſich in ſo hohem Grade, daß ein völliges Verbrennen der Haut, wie jenes in der ſchärfſten Sonnenhitze, eintritt, dem dann Blaſen und Wundwerden mit ſpäteren Schorfen folgen. Schleier ſind freilich für die unbeſchränkte Ausſicht ſehr hinderlich und vermehren die ohnedies herrſchende Hitze in hohem Grade, da ſie allen Luftzutritt abſperren. Um ſich zu erfriſchen, ballen die Führer Schnee zuſammen und legen denſelben in den Nacken, — ein Kühlungsmittel, das kräftigen Naturen in jenen Hochregionen nicht ſchadet, wo ohnedies, Geiſt wie Körper, entfeſſelter und unab¬ hängiger von äußeren Einflüſſen ſind. — Wir kehren zum Bergmarſche zurück. Die Firnſchründe ſind nicht die letzten der zu überwindenden Schwierigkeiten; es häufen ſich deren neue, die unter Umſtänden gefahrbringend ſein können. Zu dieſen gehören zunächſt die Eishänge. In bedeutenden Hö¬ hen ſchmilzt Sonnenwärme oder Föhnwind an jähen Abhängen die Oberfläche des Firnes, mitunter bis auf mehrere Fuß Tiefe. Das der Kryſtalliſation durch Wärmeaufnahme entbundene Waſſer durch¬ dringt den Schnee, friert jedoch während der Nacht wieder. Hier¬ aus entſteht eine Eisfläche, die, um einen hinkenden Vergleich an¬ zuwenden, dem, im Tieflande bekannten, ſ. g. „Glatteis“ verwandt iſt, nur, daß ſie eben viel dicker, kompakter, maſſiger wird. Solche Eisrücken zu erklimmen, erfordert immer viel Arbeit, Mühe und Geduld; hier muß das Beil helfen, um mittelſt deſſelben Tritte in

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/298>, abgerufen am 15.08.2024.