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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.
Tiefen vertrauerten, sind nun auserwählt, auf den äußersten Gipfeln
des Erdballes eine praktische Interpretation des hoffnungs-heiteren
post nubila Phoebus (durch Nacht zum Licht) zu bethätigen, -- sie, die
bisher Träger und Hülle geistiger Getränke waren, dienen nun dem
geistigen Fluidum des menschlichen Gedankens und werden mittel¬
bare Vermittler und Begrüßungs-Postillone zwischen gänzlich un¬
bekannten Personen. Der aus dem Notizbuche gerissene Zettel
mit den Namen der Besteiger, Datum und allfälligen Aufzeichnungen
über Wärme, Aussicht, bestandene Abenteuer u. s. w. (dem es mit¬
unter nicht an witzigen, konfidentiellen Scherzen fehlt, je nachdem der
Weingeist den Gehirn-Barometer hinaufgetrieben hatte) wird in die
Flasche versenkt und diese fest gepfropft, in die Mitte des umge¬
benden Steinmandli verwahrt, so daß Sturm, Regen und Schnee
ihr nichts anhaben können. Weilenmann fand auf dem Monte
Rosa-Gipfel in einer solchen Flasche nächst einem Couvert mit
Grüßen und Notizen auch noch breite, rothe und schwarze, seidene
Bänder, welche die Gebrüder Smith von Great-Yarmouth, die
ersten Besucher der höchsten Spitze (Gebrüder Schlagintweit waren
blos bis zu einem 22 Fuß unter dem höchsten Kulm liegenden Punkte
vorgedrungen), dort zurückgelassen hatten; er schnitt kleine Streifen
ab, von denen er später, nach seiner Heimkehr, Abschnitte den
Herren Smith brieflich zusandte, als Zeichen der Nachfolgerschaft.
Solche Depositionen erinnern lebhaft an die mittelalterliche Sitte:
in Thurmknöpfe und Grundstein-Gemäuer, Dokumente und Mün¬
zen für ferne unbekannte Generationen niederzulegen.

Wo sich die Bergsteiger aber auf eine Celebrirung ihrer Er¬
rungenschaft vorbereitet haben, da wehen, als Zeichen der Besitz¬
nahme eines Punktes, Fahnen ins Thal herab, die unten mit dem
Fernrohr (oder dem "italischen Feldspiegel", wie die Gebirgs¬
bauern sagen) erkannt werden können. Gemeiniglich sind es im¬
provisirte Standarten, rothe Foulards mit Bindfaden an einen im
Steinmandli befestigten Stock gebunden, oder wie bei Coaz's Bernina¬

Alpenſpitzen.
Tiefen vertrauerten, ſind nun auserwählt, auf den äußerſten Gipfeln
des Erdballes eine praktiſche Interpretation des hoffnungs-heiteren
post nubila Phoebus (durch Nacht zum Licht) zu bethätigen, — ſie, die
bisher Träger und Hülle geiſtiger Getränke waren, dienen nun dem
geiſtigen Fluidum des menſchlichen Gedankens und werden mittel¬
bare Vermittler und Begrüßungs-Poſtillone zwiſchen gänzlich un¬
bekannten Perſonen. Der aus dem Notizbuche geriſſene Zettel
mit den Namen der Beſteiger, Datum und allfälligen Aufzeichnungen
über Wärme, Ausſicht, beſtandene Abenteuer u. ſ. w. (dem es mit¬
unter nicht an witzigen, konfidentiellen Scherzen fehlt, je nachdem der
Weingeiſt den Gehirn-Barometer hinaufgetrieben hatte) wird in die
Flaſche verſenkt und dieſe feſt gepfropft, in die Mitte des umge¬
benden Steinmandli verwahrt, ſo daß Sturm, Regen und Schnee
ihr nichts anhaben können. Weilenmann fand auf dem Monte
Roſa-Gipfel in einer ſolchen Flaſche nächſt einem Couvert mit
Grüßen und Notizen auch noch breite, rothe und ſchwarze, ſeidene
Bänder, welche die Gebrüder Smith von Great-Yarmouth, die
erſten Beſucher der höchſten Spitze (Gebrüder Schlagintweit waren
blos bis zu einem 22 Fuß unter dem höchſten Kulm liegenden Punkte
vorgedrungen), dort zurückgelaſſen hatten; er ſchnitt kleine Streifen
ab, von denen er ſpäter, nach ſeiner Heimkehr, Abſchnitte den
Herren Smith brieflich zuſandte, als Zeichen der Nachfolgerſchaft.
Solche Depoſitionen erinnern lebhaft an die mittelalterliche Sitte:
in Thurmknöpfe und Grundſtein-Gemäuer, Dokumente und Mün¬
zen für ferne unbekannte Generationen niederzulegen.

Wo ſich die Bergſteiger aber auf eine Celebrirung ihrer Er¬
rungenſchaft vorbereitet haben, da wehen, als Zeichen der Beſitz¬
nahme eines Punktes, Fahnen ins Thal herab, die unten mit dem
Fernrohr (oder dem „italiſchen Feldſpiegel“, wie die Gebirgs¬
bauern ſagen) erkannt werden können. Gemeiniglich ſind es im¬
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[280/0314] Alpenſpitzen. Tiefen vertrauerten, ſind nun auserwählt, auf den äußerſten Gipfeln des Erdballes eine praktiſche Interpretation des hoffnungs-heiteren post nubila Phoebus (durch Nacht zum Licht) zu bethätigen, — ſie, die bisher Träger und Hülle geiſtiger Getränke waren, dienen nun dem geiſtigen Fluidum des menſchlichen Gedankens und werden mittel¬ bare Vermittler und Begrüßungs-Poſtillone zwiſchen gänzlich un¬ bekannten Perſonen. Der aus dem Notizbuche geriſſene Zettel mit den Namen der Beſteiger, Datum und allfälligen Aufzeichnungen über Wärme, Ausſicht, beſtandene Abenteuer u. ſ. w. (dem es mit¬ unter nicht an witzigen, konfidentiellen Scherzen fehlt, je nachdem der Weingeiſt den Gehirn-Barometer hinaufgetrieben hatte) wird in die Flaſche verſenkt und dieſe feſt gepfropft, in die Mitte des umge¬ benden Steinmandli verwahrt, ſo daß Sturm, Regen und Schnee ihr nichts anhaben können. Weilenmann fand auf dem Monte Roſa-Gipfel in einer ſolchen Flaſche nächſt einem Couvert mit Grüßen und Notizen auch noch breite, rothe und ſchwarze, ſeidene Bänder, welche die Gebrüder Smith von Great-Yarmouth, die erſten Beſucher der höchſten Spitze (Gebrüder Schlagintweit waren blos bis zu einem 22 Fuß unter dem höchſten Kulm liegenden Punkte vorgedrungen), dort zurückgelaſſen hatten; er ſchnitt kleine Streifen ab, von denen er ſpäter, nach ſeiner Heimkehr, Abſchnitte den Herren Smith brieflich zuſandte, als Zeichen der Nachfolgerſchaft. Solche Depoſitionen erinnern lebhaft an die mittelalterliche Sitte: in Thurmknöpfe und Grundſtein-Gemäuer, Dokumente und Mün¬ zen für ferne unbekannte Generationen niederzulegen. Wo ſich die Bergſteiger aber auf eine Celebrirung ihrer Er¬ rungenſchaft vorbereitet haben, da wehen, als Zeichen der Beſitz¬ nahme eines Punktes, Fahnen ins Thal herab, die unten mit dem Fernrohr (oder dem „italiſchen Feldſpiegel“, wie die Gebirgs¬ bauern ſagen) erkannt werden können. Gemeiniglich ſind es im¬ proviſirte Standarten, rothe Foulards mit Bindfaden an einen im Steinmandli befeſtigten Stock gebunden, oder wie bei Coaz's Bernina¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/314>, abgerufen am 24.11.2024.