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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.
den, ein unabsehbares Gewirr gleichförmiger Bergketten zu ent¬
ziffern; jede hat ihr besonderes Gepräge, und man kann sich kaum
satt sehen an den scharf gezeichneten schönen Formen der überall
deutlich hervortretenden Gipfelgestalten. Man schaut noch an die
Riesenhäupter des Montblanc und Grand Combin empor, und em¬
pfindet in dem überwältigenden Eindrucke die Macht ihrer Größe.
Und dennoch giebt der weite Gesichtskreis Zeugniß von der Erha¬
benheit des Standortes, und mit Stolz beherrscht der Blick
tausend mächtige Gipfel, die sich vor ihm beugen müssen. -- In
älteren Reisebeschreibungen wird Mancherlei davon gefabelt, daß
man am hellen Mittage auf solch außerordentlichen Höhepunkten
die Sterne funkeln sehen könne; alle die neueren Bergsteiger wissen
auch hiervon nichts zu berichten."

Zu den originellsten Momenten gehört die Art und Weise,
wie die Bergsteiger der verschiedenen Zeiten und Nationen unter¬
einander korrespondiren und mit der Bewohnerschaft angränzender
Thäler telegraphisch signalisiren. Ueberall nämlich, wo ein Gipfel
zum Erstenmal erstiegen wird, lassen die Sieger irgend ein Zeichen
ihrer Anwesenheit zurück, wie die alten Römer das "hoc iter
Caesaris
." Besteht eine solche Expedition nur aus Hirten und rüsti¬
gen Thalleuten oder Wanderfreunden der Alpenwelt, die das Ueber¬
maß ihrer physischen Kräfte an irgend solch einem Koloß erproben
wollen, weil er ihnen jahraus, jahrein ins Fenster schaut, dann
bauen sie als Promemoria für künftige Geschlechter aus zusammen¬
gelesenen Felsentrümmern eine kleine Pyramide, und das erste Ge¬
schäft eines passionirten Bergsteigers, so wie er auf der Höhe an¬
kommt, ist: dieses s. g. "Steinmandli" zu untersuchen, ob das¬
selbe nicht irgend einen Zettel, eine Nachricht von den vorhergehen¬
den Ersteigern enthält. Um solche für vielleicht ferne Zeiten be¬
stimmte Korrespondenzen gut zu konserviren, werden die hier oben
geleerten Weinflaschen benutzt. Sie, die für die Tiefe schwarzer
Keller-Nächte bestimmt, manchen Mondenwechsel einsam in der Erde

Alpenſpitzen.
den, ein unabſehbares Gewirr gleichförmiger Bergketten zu ent¬
ziffern; jede hat ihr beſonderes Gepräge, und man kann ſich kaum
ſatt ſehen an den ſcharf gezeichneten ſchönen Formen der überall
deutlich hervortretenden Gipfelgeſtalten. Man ſchaut noch an die
Rieſenhäupter des Montblanc und Grand Combin empor, und em¬
pfindet in dem überwältigenden Eindrucke die Macht ihrer Größe.
Und dennoch giebt der weite Geſichtskreis Zeugniß von der Erha¬
benheit des Standortes, und mit Stolz beherrſcht der Blick
tauſend mächtige Gipfel, die ſich vor ihm beugen müſſen. — In
älteren Reiſebeſchreibungen wird Mancherlei davon gefabelt, daß
man am hellen Mittage auf ſolch außerordentlichen Höhepunkten
die Sterne funkeln ſehen könne; alle die neueren Bergſteiger wiſſen
auch hiervon nichts zu berichten.“

Zu den originellſten Momenten gehört die Art und Weiſe,
wie die Bergſteiger der verſchiedenen Zeiten und Nationen unter¬
einander korreſpondiren und mit der Bewohnerſchaft angränzender
Thäler telegraphiſch ſignaliſiren. Ueberall nämlich, wo ein Gipfel
zum Erſtenmal erſtiegen wird, laſſen die Sieger irgend ein Zeichen
ihrer Anweſenheit zurück, wie die alten Römer das „hoc iter
Caesaris
.“ Beſteht eine ſolche Expedition nur aus Hirten und rüſti¬
gen Thalleuten oder Wanderfreunden der Alpenwelt, die das Ueber¬
maß ihrer phyſiſchen Kräfte an irgend ſolch einem Koloß erproben
wollen, weil er ihnen jahraus, jahrein ins Fenſter ſchaut, dann
bauen ſie als Promemoria für künftige Geſchlechter aus zuſammen¬
geleſenen Felſentrümmern eine kleine Pyramide, und das erſte Ge¬
ſchäft eines paſſionirten Bergſteigers, ſo wie er auf der Höhe an¬
kommt, iſt: dieſes ſ. g. „Steinmandli“ zu unterſuchen, ob daſ¬
ſelbe nicht irgend einen Zettel, eine Nachricht von den vorhergehen¬
den Erſteigern enthält. Um ſolche für vielleicht ferne Zeiten be¬
ſtimmte Korreſpondenzen gut zu konſerviren, werden die hier oben
geleerten Weinflaſchen benutzt. Sie, die für die Tiefe ſchwarzer
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[279/0313] Alpenſpitzen. den, ein unabſehbares Gewirr gleichförmiger Bergketten zu ent¬ ziffern; jede hat ihr beſonderes Gepräge, und man kann ſich kaum ſatt ſehen an den ſcharf gezeichneten ſchönen Formen der überall deutlich hervortretenden Gipfelgeſtalten. Man ſchaut noch an die Rieſenhäupter des Montblanc und Grand Combin empor, und em¬ pfindet in dem überwältigenden Eindrucke die Macht ihrer Größe. Und dennoch giebt der weite Geſichtskreis Zeugniß von der Erha¬ benheit des Standortes, und mit Stolz beherrſcht der Blick tauſend mächtige Gipfel, die ſich vor ihm beugen müſſen. — In älteren Reiſebeſchreibungen wird Mancherlei davon gefabelt, daß man am hellen Mittage auf ſolch außerordentlichen Höhepunkten die Sterne funkeln ſehen könne; alle die neueren Bergſteiger wiſſen auch hiervon nichts zu berichten.“ Zu den originellſten Momenten gehört die Art und Weiſe, wie die Bergſteiger der verſchiedenen Zeiten und Nationen unter¬ einander korreſpondiren und mit der Bewohnerſchaft angränzender Thäler telegraphiſch ſignaliſiren. Ueberall nämlich, wo ein Gipfel zum Erſtenmal erſtiegen wird, laſſen die Sieger irgend ein Zeichen ihrer Anweſenheit zurück, wie die alten Römer das „hoc iter Caesaris.“ Beſteht eine ſolche Expedition nur aus Hirten und rüſti¬ gen Thalleuten oder Wanderfreunden der Alpenwelt, die das Ueber¬ maß ihrer phyſiſchen Kräfte an irgend ſolch einem Koloß erproben wollen, weil er ihnen jahraus, jahrein ins Fenſter ſchaut, dann bauen ſie als Promemoria für künftige Geſchlechter aus zuſammen¬ geleſenen Felſentrümmern eine kleine Pyramide, und das erſte Ge¬ ſchäft eines paſſionirten Bergſteigers, ſo wie er auf der Höhe an¬ kommt, iſt: dieſes ſ. g. „Steinmandli“ zu unterſuchen, ob daſ¬ ſelbe nicht irgend einen Zettel, eine Nachricht von den vorhergehen¬ den Erſteigern enthält. Um ſolche für vielleicht ferne Zeiten be¬ ſtimmte Korreſpondenzen gut zu konſerviren, werden die hier oben geleerten Weinflaſchen benutzt. Sie, die für die Tiefe ſchwarzer Keller-Nächte beſtimmt, manchen Mondenwechſel einſam in der Erde

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/313>, abgerufen am 24.11.2024.