Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Alpengebäude.
nach Amsteg zu, wo deutlich die nach Norden abfallenden Kalk¬
schichten auf dem steil gen Süden einsinkenden Gneismassen la¬
gern. Hier also begegnen wir den ersten sichtbaren Spuren jener
furchtbaren Hebel, welche das ganze große, herrliche Alpengebäude
mittel- oder unmittelbar aufrichteten. Die Schieferdecke ist auf un¬
geheuere Strecken hin zersprengt, zerrissen, verworfen, mit empor¬
gehoben, umgebogen oder durch die Feuereinwirkungen in ihren
Grundstoffen verwandelt. Nur in Savoyen in einem Theile des
Arve-Thales, in Piemont in den Thalgebieten der obern Isere und
der Dora-Baltea, im südlichen Wallis und in vielen Theilen der
Graubündner Alpen, besonders auch im Unter-Engadin, haben die
als graue, grüne und Belemniten-Schiefer bekannten Ge¬
steinskörper noch Zusammenhang behalten und bilden riesige Ge¬
birgsketten. Wo aber die krystallinischen Centralmassen als:
Alpengranit, Protogin, Gneis und Glimmerschiefer durchgebrochen
sind und alles vorhanden Gewesene zur Seite geworfen haben, da
streben sie in senkrechter Stellung wie Glieder kolossaler Fächer empor.

Es sind die weithin sichtbaren Oberhäupter des stillen, erha¬
benen Alpenreiches, die in ernster Majestät ganz Central-Europa
beherrschend überschauen, -- von deren Giganten-Schultern der
firnstrahlende Regenten-Mantel mit den Gletscher-Schleppen herab¬
wallt; -- es sind die riesigen Gipfel des wie aus der Ewigkeit
stammenden Montblanc (14,800 Fuß), des mit neunzinkiger Krone
geschmückten Monte Rosa (14,284 F.), der noch unerstiegenen
großartigsten Gebirgspyramide des Matterhornes (13,900 F.), der
wilden Mischabelhörner (14,032 F.), des in unvergleichlicher Pracht
aufragenden Weißhornes (13,900 F.), der kühn dräuenden Felsen-
Lanzen eines Finsteraarhornes (13,160 F.), und der jähen Schreck¬
hörner (12,568 F.), des einsamen Adula- oder Vogelberges (10,454 F.),
des Gletscher-umpanzerten Piz Bernina (12,475 F.), der Silvretta
(10,516 F.), der Ortles-Spitz (12,030 F.) und des Groß-Glockners
in Tyrol (12,185 F.).

Das Alpengebäude.
nach Amſteg zu, wo deutlich die nach Norden abfallenden Kalk¬
ſchichten auf dem ſteil gen Süden einſinkenden Gneismaſſen la¬
gern. Hier alſo begegnen wir den erſten ſichtbaren Spuren jener
furchtbaren Hebel, welche das ganze große, herrliche Alpengebäude
mittel- oder unmittelbar aufrichteten. Die Schieferdecke iſt auf un¬
geheuere Strecken hin zerſprengt, zerriſſen, verworfen, mit empor¬
gehoben, umgebogen oder durch die Feuereinwirkungen in ihren
Grundſtoffen verwandelt. Nur in Savoyen in einem Theile des
Arve-Thales, in Piemont in den Thalgebieten der obern Iſère und
der Dora-Baltea, im ſüdlichen Wallis und in vielen Theilen der
Graubündner Alpen, beſonders auch im Unter-Engadin, haben die
als graue, grüne und Belemniten-Schiefer bekannten Ge¬
ſteinskörper noch Zuſammenhang behalten und bilden rieſige Ge¬
birgsketten. Wo aber die kryſtalliniſchen Centralmaſſen als:
Alpengranit, Protogin, Gneis und Glimmerſchiefer durchgebrochen
ſind und alles vorhanden Geweſene zur Seite geworfen haben, da
ſtreben ſie in ſenkrechter Stellung wie Glieder koloſſaler Fächer empor.

Es ſind die weithin ſichtbaren Oberhäupter des ſtillen, erha¬
benen Alpenreiches, die in ernſter Majeſtät ganz Central-Europa
beherrſchend überſchauen, — von deren Giganten-Schultern der
firnſtrahlende Regenten-Mantel mit den Gletſcher-Schleppen herab¬
wallt; — es ſind die rieſigen Gipfel des wie aus der Ewigkeit
ſtammenden Montblanc (14,800 Fuß), des mit neunzinkiger Krone
geſchmückten Monte Roſa (14,284 F.), der noch unerſtiegenen
großartigſten Gebirgspyramide des Matterhornes (13,900 F.), der
wilden Miſchabelhörner (14,032 F.), des in unvergleichlicher Pracht
aufragenden Weißhornes (13,900 F.), der kühn dräuenden Felſen-
Lanzen eines Finſteraarhornes (13,160 F.), und der jähen Schreck¬
hörner (12,568 F.), des einſamen Adula- oder Vogelberges (10,454 F.),
des Gletſcher-umpanzerten Piz Bernina (12,475 F.), der Silvretta
(10,516 F.), der Ortles-Spitz (12,030 F.) und des Groß-Glockners
in Tyrol (12,185 F.).

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="14"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Das Alpengebäude</hi>.<lb/></fw> nach Am&#x017F;teg zu, wo deutlich die nach Norden abfallenden Kalk¬<lb/>
&#x017F;chichten auf dem &#x017F;teil gen Süden ein&#x017F;inkenden Gneisma&#x017F;&#x017F;en la¬<lb/>
gern. Hier al&#x017F;o begegnen wir den er&#x017F;ten &#x017F;ichtbaren Spuren jener<lb/>
furchtbaren Hebel, welche das ganze große, herrliche Alpengebäude<lb/>
mittel- oder unmittelbar aufrichteten. Die Schieferdecke i&#x017F;t auf un¬<lb/>
geheuere Strecken hin zer&#x017F;prengt, zerri&#x017F;&#x017F;en, verworfen, mit empor¬<lb/>
gehoben, umgebogen oder durch die Feuereinwirkungen in ihren<lb/>
Grund&#x017F;toffen verwandelt. Nur in Savoyen in einem Theile des<lb/>
Arve-Thales, in Piemont in den Thalgebieten der obern I&#x017F;<hi rendition="#aq">è</hi>re und<lb/>
der Dora-Baltea, im &#x017F;üdlichen Wallis und in vielen Theilen der<lb/>
Graubündner Alpen, be&#x017F;onders auch im Unter-Engadin, haben die<lb/>
als <hi rendition="#g">graue</hi>, <hi rendition="#g">grüne</hi> und <hi rendition="#g">Belemniten-Schiefer</hi> bekannten Ge¬<lb/>
&#x017F;teinskörper noch Zu&#x017F;ammenhang behalten und bilden rie&#x017F;ige Ge¬<lb/>
birgsketten. Wo aber die <hi rendition="#g">kry&#x017F;tallini&#x017F;chen Centralma&#x017F;&#x017F;en</hi> als:<lb/>
Alpengranit, Protogin, Gneis und Glimmer&#x017F;chiefer durchgebrochen<lb/>
&#x017F;ind und alles vorhanden Gewe&#x017F;ene zur Seite geworfen haben, da<lb/>
&#x017F;treben &#x017F;ie in &#x017F;enkrechter Stellung wie Glieder kolo&#x017F;&#x017F;aler Fächer empor.<lb/></p>
        <p>Es &#x017F;ind die weithin &#x017F;ichtbaren Oberhäupter des &#x017F;tillen, erha¬<lb/>
benen Alpenreiches, die in ern&#x017F;ter Maje&#x017F;tät ganz Central-Europa<lb/>
beherr&#x017F;chend über&#x017F;chauen, &#x2014; von deren Giganten-Schultern der<lb/>
firn&#x017F;trahlende Regenten-Mantel mit den Glet&#x017F;cher-Schleppen herab¬<lb/>
wallt; &#x2014; es &#x017F;ind die rie&#x017F;igen Gipfel des wie aus der Ewigkeit<lb/>
&#x017F;tammenden Montblanc (14,800 Fuß), des mit neunzinkiger Krone<lb/>
ge&#x017F;chmückten Monte Ro&#x017F;a (14,284 F.), der noch uner&#x017F;tiegenen<lb/>
großartig&#x017F;ten Gebirgspyramide des Matterhornes (13,900 F.), der<lb/>
wilden Mi&#x017F;chabelhörner (14,032 F.), des in unvergleichlicher Pracht<lb/>
aufragenden Weißhornes (13,900 F.), der kühn dräuenden Fel&#x017F;en-<lb/>
Lanzen eines Fin&#x017F;teraarhornes (13,160 F.), und der jähen Schreck¬<lb/>
hörner (12,568 F.), des ein&#x017F;amen Adula- oder Vogelberges (10,454 F.),<lb/>
des Glet&#x017F;cher-umpanzerten Piz Bernina (12,475 F.), der Silvretta<lb/>
(10,516 F.), der Ortles-Spitz (12,030 F.) und des Groß-Glockners<lb/>
in Tyrol (12,185 F.).</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0032] Das Alpengebäude. nach Amſteg zu, wo deutlich die nach Norden abfallenden Kalk¬ ſchichten auf dem ſteil gen Süden einſinkenden Gneismaſſen la¬ gern. Hier alſo begegnen wir den erſten ſichtbaren Spuren jener furchtbaren Hebel, welche das ganze große, herrliche Alpengebäude mittel- oder unmittelbar aufrichteten. Die Schieferdecke iſt auf un¬ geheuere Strecken hin zerſprengt, zerriſſen, verworfen, mit empor¬ gehoben, umgebogen oder durch die Feuereinwirkungen in ihren Grundſtoffen verwandelt. Nur in Savoyen in einem Theile des Arve-Thales, in Piemont in den Thalgebieten der obern Iſère und der Dora-Baltea, im ſüdlichen Wallis und in vielen Theilen der Graubündner Alpen, beſonders auch im Unter-Engadin, haben die als graue, grüne und Belemniten-Schiefer bekannten Ge¬ ſteinskörper noch Zuſammenhang behalten und bilden rieſige Ge¬ birgsketten. Wo aber die kryſtalliniſchen Centralmaſſen als: Alpengranit, Protogin, Gneis und Glimmerſchiefer durchgebrochen ſind und alles vorhanden Geweſene zur Seite geworfen haben, da ſtreben ſie in ſenkrechter Stellung wie Glieder koloſſaler Fächer empor. Es ſind die weithin ſichtbaren Oberhäupter des ſtillen, erha¬ benen Alpenreiches, die in ernſter Majeſtät ganz Central-Europa beherrſchend überſchauen, — von deren Giganten-Schultern der firnſtrahlende Regenten-Mantel mit den Gletſcher-Schleppen herab¬ wallt; — es ſind die rieſigen Gipfel des wie aus der Ewigkeit ſtammenden Montblanc (14,800 Fuß), des mit neunzinkiger Krone geſchmückten Monte Roſa (14,284 F.), der noch unerſtiegenen großartigſten Gebirgspyramide des Matterhornes (13,900 F.), der wilden Miſchabelhörner (14,032 F.), des in unvergleichlicher Pracht aufragenden Weißhornes (13,900 F.), der kühn dräuenden Felſen- Lanzen eines Finſteraarhornes (13,160 F.), und der jähen Schreck¬ hörner (12,568 F.), des einſamen Adula- oder Vogelberges (10,454 F.), des Gletſcher-umpanzerten Piz Bernina (12,475 F.), der Silvretta (10,516 F.), der Ortles-Spitz (12,030 F.) und des Groß-Glockners in Tyrol (12,185 F.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/32
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/32>, abgerufen am 21.11.2024.