Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen. über einige Bergpässe wieder heim zu treiben, für die er nicht genugFutter hat, sie zu überwintern, das käme ihm noch theuerer. Tief sinnend schreitet er hinter seinem Schicksalszuge her. Da schreckt ihn Wagenrollen, lautes Geschrei, Verwirrung in der Heerde aus seinen berechnenden Meditationen auf. Der Eilwagen kommt in raschem Trabe von der Paßhöhe herab; der auf hocherhabenem Sitze seiner kutscherlichen Würde vollbewußte Postillon, dem als einer dem Staate dienenden Person Alles, selbst eine Heerde Rind¬ vieh ausweichen muß, fährt scharf in die gehörnte Schaar hinein. Toben und Fluchen, Locken und Prügeln der Treiber, -- Peitschen¬ knall und Gelächter des Rosselenkers, Angstgeschrei einer nerven¬ schwachen Dame im Coupe, welche für ihre persönliche Sicherheit fürchtet, Blöcken der Kühe aus allen Tonarten und heiseres Hunde- Gebell vermengen und verwickeln sich mit den dicken Staubwolken zu einer großen katastrophetreibenden Scene. Einige Kühe kehren um und wollen den Heimweg antreten, aber "Schnautz", der vigi¬ lante, alt-erprobte Heerdenhund, der nur die ihm obliegende Pflicht des striktesten, unbedingtesten "Vorwärts" kennt und keine Notiz von den hindernden Umständen nimmt, übt seine Ordnungspolizei mit unerbittlicher Strenge aus; er hat so eben mit der "B'plätzed" (einer gescheckten Kuh, die an der Stirn einen weißen "Plätz" oder Flecken hat) einen Kampf zu bestehen, die den Beweis ihres Rechtes mit dem Kopfe durchsetzen will, während "s'Möhrli", ein sanftes, verständiges Kuhtschi ruhig ihren Schritt fortgeht. Sie ist darum auch gewürdiget, den zusammengerollten Mantel des Herrn als Halsband zu tragen. Die Viehtreiber schimpfen gegen den Postillon und Kondukteur, der auf dem Wagendeck liegend, den ihm zuständigen Sitz an einen Engländer abgetreten hat; die Postleute repliciren in gleicher Weise. Durch den Alles umbrau¬ senden Tumult werden die Pferde unruhig, -- eines springt über die Stränge, die Verwirrung nimmt zu, der Eilwagen muß halten. Gro¬ ßer Moment! Allgemeiner Skandal! Stürmische Sprachverwirrung! Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. über einige Bergpäſſe wieder heim zu treiben, für die er nicht genugFutter hat, ſie zu überwintern, das käme ihm noch theuerer. Tief ſinnend ſchreitet er hinter ſeinem Schickſalszuge her. Da ſchreckt ihn Wagenrollen, lautes Geſchrei, Verwirrung in der Heerde aus ſeinen berechnenden Meditationen auf. Der Eilwagen kommt in raſchem Trabe von der Paßhöhe herab; der auf hocherhabenem Sitze ſeiner kutſcherlichen Würde vollbewußte Poſtillon, dem als einer dem Staate dienenden Perſon Alles, ſelbſt eine Heerde Rind¬ vieh ausweichen muß, fährt ſcharf in die gehörnte Schaar hinein. Toben und Fluchen, Locken und Prügeln der Treiber, — Peitſchen¬ knall und Gelächter des Roſſelenkers, Angſtgeſchrei einer nerven¬ ſchwachen Dame im Coupé, welche für ihre perſönliche Sicherheit fürchtet, Blöcken der Kühe aus allen Tonarten und heiſeres Hunde- Gebell vermengen und verwickeln ſich mit den dicken Staubwolken zu einer großen kataſtrophetreibenden Scene. Einige Kühe kehren um und wollen den Heimweg antreten, aber „Schnautz“, der vigi¬ lante, alt-erprobte Heerdenhund, der nur die ihm obliegende Pflicht des ſtrikteſten, unbedingteſten „Vorwärts“ kennt und keine Notiz von den hindernden Umſtänden nimmt, übt ſeine Ordnungspolizei mit unerbittlicher Strenge aus; er hat ſo eben mit der „B'plätzed“ (einer geſcheckten Kuh, die an der Stirn einen weißen „Plätz“ oder Flecken hat) einen Kampf zu beſtehen, die den Beweis ihres Rechtes mit dem Kopfe durchſetzen will, während „s'Möhrli“, ein ſanftes, verſtändiges Kuhtſchi ruhig ihren Schritt fortgeht. Sie iſt darum auch gewürdiget, den zuſammengerollten Mantel des Herrn als Halsband zu tragen. Die Viehtreiber ſchimpfen gegen den Poſtillon und Kondukteur, der auf dem Wagendeck liegend, den ihm zuſtändigen Sitz an einen Engländer abgetreten hat; die Poſtleute repliciren in gleicher Weiſe. Durch den Alles umbrau¬ ſenden Tumult werden die Pferde unruhig, — eines ſpringt über die Stränge, die Verwirrung nimmt zu, der Eilwagen muß halten. Gro¬ ßer Moment! Allgemeiner Skandal! Stürmiſche Sprachverwirrung! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0332" n="296"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></fw> über einige Bergpäſſe wieder heim zu treiben, für die er nicht genug<lb/> Futter hat, ſie zu überwintern, das käme ihm noch theuerer. Tief<lb/> ſinnend ſchreitet er hinter ſeinem Schickſalszuge her. Da ſchreckt<lb/> ihn Wagenrollen, lautes Geſchrei, Verwirrung in der Heerde aus<lb/> ſeinen berechnenden Meditationen auf. 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Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
über einige Bergpäſſe wieder heim zu treiben, für die er nicht genug
Futter hat, ſie zu überwintern, das käme ihm noch theuerer. Tief
ſinnend ſchreitet er hinter ſeinem Schickſalszuge her. Da ſchreckt
ihn Wagenrollen, lautes Geſchrei, Verwirrung in der Heerde aus
ſeinen berechnenden Meditationen auf. Der Eilwagen kommt in
raſchem Trabe von der Paßhöhe herab; der auf hocherhabenem
Sitze ſeiner kutſcherlichen Würde vollbewußte Poſtillon, dem als
einer dem Staate dienenden Perſon Alles, ſelbſt eine Heerde Rind¬
vieh ausweichen muß, fährt ſcharf in die gehörnte Schaar hinein.
Toben und Fluchen, Locken und Prügeln der Treiber, — Peitſchen¬
knall und Gelächter des Roſſelenkers, Angſtgeſchrei einer nerven¬
ſchwachen Dame im Coupé, welche für ihre perſönliche Sicherheit
fürchtet, Blöcken der Kühe aus allen Tonarten und heiſeres Hunde-
Gebell vermengen und verwickeln ſich mit den dicken Staubwolken
zu einer großen kataſtrophetreibenden Scene. Einige Kühe kehren
um und wollen den Heimweg antreten, aber „Schnautz“, der vigi¬
lante, alt-erprobte Heerdenhund, der nur die ihm obliegende Pflicht
des ſtrikteſten, unbedingteſten „Vorwärts“ kennt und keine Notiz
von den hindernden Umſtänden nimmt, übt ſeine Ordnungspolizei
mit unerbittlicher Strenge aus; er hat ſo eben mit der „B'plätzed“
(einer geſcheckten Kuh, die an der Stirn einen weißen „Plätz“
oder Flecken hat) einen Kampf zu beſtehen, die den Beweis ihres
Rechtes mit dem Kopfe durchſetzen will, während „s'Möhrli“,
ein ſanftes, verſtändiges Kuhtſchi ruhig ihren Schritt fortgeht. Sie
iſt darum auch gewürdiget, den zuſammengerollten Mantel des
Herrn als Halsband zu tragen. Die Viehtreiber ſchimpfen gegen
den Poſtillon und Kondukteur, der auf dem Wagendeck liegend, den
ihm zuſtändigen Sitz an einen Engländer abgetreten hat; die
Poſtleute repliciren in gleicher Weiſe. Durch den Alles umbrau¬
ſenden Tumult werden die Pferde unruhig, — eines ſpringt über die
Stränge, die Verwirrung nimmt zu, der Eilwagen muß halten. Gro¬
ßer Moment! Allgemeiner Skandal! Stürmiſche Sprachverwirrung!
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