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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.
Briccone! Kaibe-Dunders-Hagel! maldetto villano! scempiotto!
Strahls-Chogg!" schreits und tobts von beiden Seiten.

"A delightful complication! En avant la voiture! Jar kene
Ordnung nich!" tönts aus der Diligence. Endlich löst sich der Kon¬
flikt. Die Heerde zieht weiter bergwärts, der Wagen rollt mit
doppelter Geschwindigkeit dem Thale zu. Die vielen Krümmungen
des Weges hindern den gewandten, mit fester Hand vom hohen
Bock herab leitenden Wagenlenker nicht, den scharfen Trab beizube¬
halten. Im "Nu" eilt er am begegnenden Kameraden vorüber, der
abgestiegen, neben den Pferden herschlendert und nur langsam den
schweren Transport bergauf zu schaffen vermag. Ein spöttelnder
Zuruf begrüßt diesen, der ihn am folgenden Tage mit Protest bei
abermaliger Begegnung zurückgiebt. Ueber Alle fliegt indessen un¬
geahnt, ungehört und ungesehen an den Eisendrähten des Tele¬
graphen, der jede Alpenstraße begleitet, die Nachricht aus der
italienischen Halbinsel herüber: "Garibaldi hat Palermo einge¬
nommen!" --

Wie ganz anders gestaltet sich das Leben auf der Alpenstraße
im Winter. Schon Mitte Oktober legen die ersten, von den Wol¬
ken abgeschüttelten Schneeladungen auf dem gefrorenen Boden
der Paßhöhen den Grund zum späteren Schlittwege. Ist der Herbst
heiter und sonnenhaft, weht vorherrschend warme Südluft, so wer¬
den diese Fundamentalschichten wohl theilweise wieder durch die
Tageswärme aufgelöst. Aber immerhin bleiben sporadische, kleine
Reste liegen, die namentlich auf der Schattenseite und durch die
nächtlichen Fröste sich konserviren. So oft es im Thale regnet,
schneit es auf den Höhen. Diese schüchternen, immer noch wieder
zurückgeschlagenen Versuche wiederholen sich, bis eines Tages die
ganze Gegend bis weit hinab eingeschneit ist und der Winter seinen
völligen Einzug hält. Jetzt wird der Berg für Räderfuhrwerk
gesperrt; der Schlittendienst beginnt, sowohl für die Post, als für
den Frachttransport. Auf den französischen Pässen über Mont

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Briccone! Kaibe-Dunders-Hagel! maldetto villano! scempiotto!
Strahls-Chogg!“ ſchreits und tobts von beiden Seiten.

„A delightful complication! En avant la voiture! Jar kene
Ordnung nich!“ tönts aus der Diligence. Endlich löſt ſich der Kon¬
flikt. Die Heerde zieht weiter bergwärts, der Wagen rollt mit
doppelter Geſchwindigkeit dem Thale zu. Die vielen Krümmungen
des Weges hindern den gewandten, mit feſter Hand vom hohen
Bock herab leitenden Wagenlenker nicht, den ſcharfen Trab beizube¬
halten. Im „Nu“ eilt er am begegnenden Kameraden vorüber, der
abgeſtiegen, neben den Pferden herſchlendert und nur langſam den
ſchweren Transport bergauf zu ſchaffen vermag. Ein ſpöttelnder
Zuruf begrüßt dieſen, der ihn am folgenden Tage mit Proteſt bei
abermaliger Begegnung zurückgiebt. Ueber Alle fliegt indeſſen un¬
geahnt, ungehört und ungeſehen an den Eiſendrähten des Tele¬
graphen, der jede Alpenſtraße begleitet, die Nachricht aus der
italieniſchen Halbinſel herüber: „Garibaldi hat Palermo einge¬
nommen!“ —

Wie ganz anders geſtaltet ſich das Leben auf der Alpenſtraße
im Winter. Schon Mitte Oktober legen die erſten, von den Wol¬
ken abgeſchüttelten Schneeladungen auf dem gefrorenen Boden
der Paßhöhen den Grund zum ſpäteren Schlittwege. Iſt der Herbſt
heiter und ſonnenhaft, weht vorherrſchend warme Südluft, ſo wer¬
den dieſe Fundamentalſchichten wohl theilweiſe wieder durch die
Tageswärme aufgelöſt. Aber immerhin bleiben ſporadiſche, kleine
Reſte liegen, die namentlich auf der Schattenſeite und durch die
nächtlichen Fröſte ſich konſerviren. So oft es im Thale regnet,
ſchneit es auf den Höhen. Dieſe ſchüchternen, immer noch wieder
zurückgeſchlagenen Verſuche wiederholen ſich, bis eines Tages die
ganze Gegend bis weit hinab eingeſchneit iſt und der Winter ſeinen
völligen Einzug hält. Jetzt wird der Berg für Räderfuhrwerk
geſperrt; der Schlittendienſt beginnt, ſowohl für die Poſt, als für
den Frachttransport. Auf den franzöſiſchen Päſſen über Mont

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[297/0333] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. Briccone! Kaibe-Dunders-Hagel! maldetto villano! scempiotto! Strahls-Chogg!“ ſchreits und tobts von beiden Seiten. „A delightful complication! En avant la voiture! Jar kene Ordnung nich!“ tönts aus der Diligence. Endlich löſt ſich der Kon¬ flikt. Die Heerde zieht weiter bergwärts, der Wagen rollt mit doppelter Geſchwindigkeit dem Thale zu. Die vielen Krümmungen des Weges hindern den gewandten, mit feſter Hand vom hohen Bock herab leitenden Wagenlenker nicht, den ſcharfen Trab beizube¬ halten. Im „Nu“ eilt er am begegnenden Kameraden vorüber, der abgeſtiegen, neben den Pferden herſchlendert und nur langſam den ſchweren Transport bergauf zu ſchaffen vermag. Ein ſpöttelnder Zuruf begrüßt dieſen, der ihn am folgenden Tage mit Proteſt bei abermaliger Begegnung zurückgiebt. Ueber Alle fliegt indeſſen un¬ geahnt, ungehört und ungeſehen an den Eiſendrähten des Tele¬ graphen, der jede Alpenſtraße begleitet, die Nachricht aus der italieniſchen Halbinſel herüber: „Garibaldi hat Palermo einge¬ nommen!“ — Wie ganz anders geſtaltet ſich das Leben auf der Alpenſtraße im Winter. Schon Mitte Oktober legen die erſten, von den Wol¬ ken abgeſchüttelten Schneeladungen auf dem gefrorenen Boden der Paßhöhen den Grund zum ſpäteren Schlittwege. Iſt der Herbſt heiter und ſonnenhaft, weht vorherrſchend warme Südluft, ſo wer¬ den dieſe Fundamentalſchichten wohl theilweiſe wieder durch die Tageswärme aufgelöſt. Aber immerhin bleiben ſporadiſche, kleine Reſte liegen, die namentlich auf der Schattenſeite und durch die nächtlichen Fröſte ſich konſerviren. So oft es im Thale regnet, ſchneit es auf den Höhen. Dieſe ſchüchternen, immer noch wieder zurückgeſchlagenen Verſuche wiederholen ſich, bis eines Tages die ganze Gegend bis weit hinab eingeſchneit iſt und der Winter ſeinen völligen Einzug hält. Jetzt wird der Berg für Räderfuhrwerk geſperrt; der Schlittendienſt beginnt, ſowohl für die Poſt, als für den Frachttransport. Auf den franzöſiſchen Päſſen über Mont

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/333>, abgerufen am 24.11.2024.