Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Sennenleben in den Alpen. nicht recht in den Sinn, daß es ganz in der Nähe jener Eisenbahnen,jenes drängenden, städtischen Lebens, noch eine Bauernwelt geben soll, die gewissermaßen erst auf der geschichtlich-zweiten Kulturstufe der Völker-Entwickelung steht, und ähnlich, wie die Tartaren und Mongolen, als Nomaden während eines Theiles vom Jahre, Haus und Hof, Weib und Kind verläßt, um mit dem, in Herden be¬ stehenden Reichthume tagereisenweit nach Plätzen im Gebirge zu wandern, wo frische, junge Nahrung für das Vieh wächst. Und doch ist es so. Die in den Alpen weit hinauf zerstreut liegenden Weide¬ plätze mit ungemein kräftigen, kurzen, dichten, sehr milchhaltigen Futterkräutern, bilden einen wesentlichen Theil des National-Reich¬ thumes im Gebirge und werfen jährlich viele Millionen Gulden an Gewinn ab. Aber eben darum, weil das Aelplerleben in den Sennhütten Die Alpenwirthschaft ist ganz anders, als man sich dieselbe Ein Senn (romanisch ("Sejniun") ist, mit wenig Ausnahmen, Sennenleben in den Alpen. nicht recht in den Sinn, daß es ganz in der Nähe jener Eiſenbahnen,jenes drängenden, ſtädtiſchen Lebens, noch eine Bauernwelt geben ſoll, die gewiſſermaßen erſt auf der geſchichtlich-zweiten Kulturſtufe der Völker-Entwickelung ſteht, und ähnlich, wie die Tartaren und Mongolen, als Nomaden während eines Theiles vom Jahre, Haus und Hof, Weib und Kind verläßt, um mit dem, in Herden be¬ ſtehenden Reichthume tagereiſenweit nach Plätzen im Gebirge zu wandern, wo friſche, junge Nahrung für das Vieh wächſt. Und doch iſt es ſo. Die in den Alpen weit hinauf zerſtreut liegenden Weide¬ plätze mit ungemein kräftigen, kurzen, dichten, ſehr milchhaltigen Futterkräutern, bilden einen weſentlichen Theil des National-Reich¬ thumes im Gebirge und werfen jährlich viele Millionen Gulden an Gewinn ab. Aber eben darum, weil das Aelplerleben in den Sennhütten Die Alpenwirthſchaft iſt ganz anders, als man ſich dieſelbe Ein Senn (romaniſch („Sejniun“) iſt, mit wenig Ausnahmen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0370" n="332"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sennenleben in den Alpen</hi>.<lb/></fw> nicht recht in den Sinn, daß es ganz in der Nähe jener Eiſenbahnen,<lb/> jenes drängenden, ſtädtiſchen Lebens, noch eine Bauernwelt geben<lb/> ſoll, die gewiſſermaßen erſt auf der geſchichtlich-zweiten Kulturſtufe<lb/> der Völker-Entwickelung ſteht, und ähnlich, wie die Tartaren und<lb/> Mongolen, als Nomaden während eines Theiles vom Jahre, Haus<lb/> und Hof, Weib und Kind verläßt, um mit dem, in Herden be¬<lb/> ſtehenden Reichthume tagereiſenweit nach Plätzen im Gebirge zu<lb/> wandern, wo friſche, junge Nahrung für das Vieh wächſt. Und doch<lb/> iſt es ſo. Die in den Alpen weit hinauf zerſtreut liegenden Weide¬<lb/> plätze mit ungemein kräftigen, kurzen, dichten, ſehr milchhaltigen<lb/> Futterkräutern, bilden einen weſentlichen Theil des National-Reich¬<lb/> thumes im Gebirge und werfen jährlich viele Millionen Gulden<lb/> an Gewinn ab.</p><lb/> <p>Aber eben darum, weil das Aelplerleben in den Sennhütten<lb/> etwas Ungewöhnliches, Außerordentliches, Fremdartiges iſt, ſo trägt<lb/> der, welcher die Alpen noch nicht beſuchte, gern die Romantik<lb/> der landſchaftlichen Umgebung, die großartigen Eindrücke der<lb/> Alpenwelt, wie ſie ihn aus Gemälden entgegentraten, vermiſcht mit<lb/> einer poetiſch-idealen Auffaſſung der Sitten, Trachten und Lebens¬<lb/> weiſe des Volkes, auf das Sennerleben über, und konſtruirt ſich<lb/> ausgeſchmückte Traumbilder, die in der Wirklichkeit nicht exiſtiren.</p><lb/> <p>Die Alpenwirthſchaft iſt ganz anders, als man ſich dieſelbe<lb/> bisweilen denkt. Sie exiſtirt faktiſch nur während des Spätfrüh¬<lb/> lings, im Sommer und bis in die erſten Herbſtmonate hinein.<lb/> Während des Winters herrſcht in den Alpen ebenſogut Stallwirth¬<lb/> ſchaft, als wie überall, bei jedem Bauern. Derjenige nun, welcher<lb/> mit ſeiner Herde während der guten Jahreszeit ins Gebirge hinauf<lb/> zieht, iſt ein <hi rendition="#g">Senn</hi>. In der Schweiz iſts Aufgabe der Männer, —<lb/> in den öſtlichen Alpen, im bayeriſchen Oberlande und in Oeſter¬<lb/> reich meiſt Geſchäft der Weiber, — der „Sennerin, Almerin.“</p><lb/> <p>Ein Senn (romaniſch (<hi rendition="#aq">„Sejniun“</hi>) iſt, mit wenig Ausnahmen,<lb/> ein ungemein proſaiſcher Gebirgsbauer. Sein Vieh iſt ſein Haupt¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [332/0370]
Sennenleben in den Alpen.
nicht recht in den Sinn, daß es ganz in der Nähe jener Eiſenbahnen,
jenes drängenden, ſtädtiſchen Lebens, noch eine Bauernwelt geben
ſoll, die gewiſſermaßen erſt auf der geſchichtlich-zweiten Kulturſtufe
der Völker-Entwickelung ſteht, und ähnlich, wie die Tartaren und
Mongolen, als Nomaden während eines Theiles vom Jahre, Haus
und Hof, Weib und Kind verläßt, um mit dem, in Herden be¬
ſtehenden Reichthume tagereiſenweit nach Plätzen im Gebirge zu
wandern, wo friſche, junge Nahrung für das Vieh wächſt. Und doch
iſt es ſo. Die in den Alpen weit hinauf zerſtreut liegenden Weide¬
plätze mit ungemein kräftigen, kurzen, dichten, ſehr milchhaltigen
Futterkräutern, bilden einen weſentlichen Theil des National-Reich¬
thumes im Gebirge und werfen jährlich viele Millionen Gulden
an Gewinn ab.
Aber eben darum, weil das Aelplerleben in den Sennhütten
etwas Ungewöhnliches, Außerordentliches, Fremdartiges iſt, ſo trägt
der, welcher die Alpen noch nicht beſuchte, gern die Romantik
der landſchaftlichen Umgebung, die großartigen Eindrücke der
Alpenwelt, wie ſie ihn aus Gemälden entgegentraten, vermiſcht mit
einer poetiſch-idealen Auffaſſung der Sitten, Trachten und Lebens¬
weiſe des Volkes, auf das Sennerleben über, und konſtruirt ſich
ausgeſchmückte Traumbilder, die in der Wirklichkeit nicht exiſtiren.
Die Alpenwirthſchaft iſt ganz anders, als man ſich dieſelbe
bisweilen denkt. Sie exiſtirt faktiſch nur während des Spätfrüh¬
lings, im Sommer und bis in die erſten Herbſtmonate hinein.
Während des Winters herrſcht in den Alpen ebenſogut Stallwirth¬
ſchaft, als wie überall, bei jedem Bauern. Derjenige nun, welcher
mit ſeiner Herde während der guten Jahreszeit ins Gebirge hinauf
zieht, iſt ein Senn. In der Schweiz iſts Aufgabe der Männer, —
in den öſtlichen Alpen, im bayeriſchen Oberlande und in Oeſter¬
reich meiſt Geſchäft der Weiber, — der „Sennerin, Almerin.“
Ein Senn (romaniſch („Sejniun“) iſt, mit wenig Ausnahmen,
ein ungemein proſaiſcher Gebirgsbauer. Sein Vieh iſt ſein Haupt¬
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