besitz, und darum die Quelle seines Lebensunterhaltes und Ver¬ dienstes, der Gegenstand seines Studiums, Nachdenkens und seiner größten Sorgfalt, sein Stolz, kurzum der sächliche Inbegriff seiner vorzüglichsten irdischen Lebensaufgabe. Nach der Größe seiner Herde rangirt er in der Gesellschaft seiner Gemeindsgenossen, nach ihr wird er geschätzt und aus ihr schreibt sich sein heimathli¬ ches Ansehen, seine Dorf-Magnatenschaft her. So ists in den meisten Alpenthälern. Indessen giebts auch in Alpendörfern reiche Bauern, die sich nicht mit der Viehzucht und Alpenwirthschaft be¬ fassen und ihre Alpen in Lehenzins geben.
Nicht jeder Vieh-besitzende Gebirgsbauer "fährt selbst auf Alp"; die Größe seiner Herde entscheidet darüber. Wer 24 und mehr Kühe besitzt, heißt ein "Sennten-Bauer", weil diese Anzahl, besonders wenn ein Zuchtstier dabei ist, ein "Senntum" genannt wird. Wer weniger besitzt, hat nach dem Ausdruck der Appenzeller blos ein "Schüppeli Vech." Solch größere Vieh-Besitzer, in den italienischen Bergen "alpadore" genannt, haben entweder eigene Alpweiden, oder sie nehmen deren in Lehenzins, oder sie benutzen (was am Meisten der Fall ist) die Gemeinde-Alpen oder "Hirtenen" und "laden selbst z'Alp." -- Kleinere Bauern, die nur wenige Kühe besitzen, gehen im Frühling wohl persönlich in die Voralpen "Berggüter" oder "Maiensäße" (auch Allmeinden); aber wenn das Vieh dann im Juli und August in die höheren Weiden (die s. g. mittleren und oberen Staffeln, italienisch: stabii oder corti) ge¬ trieben wird, so übergeben eine Anzahl von Nachbaren ihr Vieh einem gemeinsamen Sennen, mit dem sie dann am Schluß der Alpenzeit (gewöhnlich Michaelistag) Abrechnung halten. Um aber eine solche Auseinandersetzung des Käse- und Butter-Ertrages der verschiedenen Interessenten feststellen zu können, da nicht eine Kuh so viel Milch giebt als die andere, so gehen sämmtliche Betheiligte während der Dauer der Alpzeit an zwei besonders hierzu bestimmten Tagen hinauf "auf Alp goh messe" (engadinisch: "in süras"), --
Sennenleben in den Alpen.
beſitz, und darum die Quelle ſeines Lebensunterhaltes und Ver¬ dienſtes, der Gegenſtand ſeines Studiums, Nachdenkens und ſeiner größten Sorgfalt, ſein Stolz, kurzum der ſächliche Inbegriff ſeiner vorzüglichſten irdiſchen Lebensaufgabe. Nach der Größe ſeiner Herde rangirt er in der Geſellſchaft ſeiner Gemeindsgenoſſen, nach ihr wird er geſchätzt und aus ihr ſchreibt ſich ſein heimathli¬ ches Anſehen, ſeine Dorf-Magnatenſchaft her. So iſts in den meiſten Alpenthälern. Indeſſen giebts auch in Alpendörfern reiche Bauern, die ſich nicht mit der Viehzucht und Alpenwirthſchaft be¬ faſſen und ihre Alpen in Lehenzins geben.
Nicht jeder Vieh-beſitzende Gebirgsbauer „fährt ſelbſt auf Alp“; die Größe ſeiner Herde entſcheidet darüber. Wer 24 und mehr Kühe beſitzt, heißt ein „Sennten-Bauer“, weil dieſe Anzahl, beſonders wenn ein Zuchtſtier dabei iſt, ein „Senntum“ genannt wird. Wer weniger beſitzt, hat nach dem Ausdruck der Appenzeller blos ein „Schüppeli Vech.“ Solch größere Vieh-Beſitzer, in den italieniſchen Bergen „alpadore“ genannt, haben entweder eigene Alpweiden, oder ſie nehmen deren in Lehenzins, oder ſie benutzen (was am Meiſten der Fall iſt) die Gemeinde-Alpen oder „Hirtenen“ und „laden ſelbſt z'Alp.“ — Kleinere Bauern, die nur wenige Kühe beſitzen, gehen im Frühling wohl perſönlich in die Voralpen „Berggüter“ oder „Maienſäße“ (auch Allmeinden); aber wenn das Vieh dann im Juli und Auguſt in die höheren Weiden (die ſ. g. mittleren und oberen Staffeln, italieniſch: stabii oder corti) ge¬ trieben wird, ſo übergeben eine Anzahl von Nachbaren ihr Vieh einem gemeinſamen Sennen, mit dem ſie dann am Schluß der Alpenzeit (gewöhnlich Michaelistag) Abrechnung halten. Um aber eine ſolche Auseinanderſetzung des Käſe- und Butter-Ertrages der verſchiedenen Intereſſenten feſtſtellen zu können, da nicht eine Kuh ſo viel Milch giebt als die andere, ſo gehen ſämmtliche Betheiligte während der Dauer der Alpzeit an zwei beſonders hierzu beſtimmten Tagen hinauf „auf Alp goh meſſe“ (engadiniſch: „in süras“), —
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0371"n="333"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Sennenleben in den Alpen</hi>.<lb/></fw>beſitz, und darum die Quelle ſeines Lebensunterhaltes und Ver¬<lb/>
dienſtes, der Gegenſtand ſeines Studiums, Nachdenkens und ſeiner<lb/>
größten Sorgfalt, ſein Stolz, kurzum der ſächliche Inbegriff ſeiner<lb/>
vorzüglichſten irdiſchen Lebensaufgabe. Nach der Größe ſeiner<lb/>
Herde rangirt er in der Geſellſchaft ſeiner Gemeindsgenoſſen, nach<lb/>
ihr wird er geſchätzt und aus ihr ſchreibt ſich ſein heimathli¬<lb/>
ches Anſehen, ſeine Dorf-Magnatenſchaft her. So iſts in den<lb/>
meiſten Alpenthälern. Indeſſen giebts auch in Alpendörfern reiche<lb/>
Bauern, die ſich nicht mit der Viehzucht und Alpenwirthſchaft be¬<lb/>
faſſen und ihre Alpen in Lehenzins geben.</p><lb/><p>Nicht jeder Vieh-beſitzende Gebirgsbauer „fährt ſelbſt auf<lb/>
Alp“; die Größe ſeiner Herde entſcheidet darüber. Wer 24 und<lb/>
mehr Kühe beſitzt, heißt ein „Sennten-Bauer“, weil dieſe Anzahl,<lb/>
beſonders wenn ein Zuchtſtier dabei iſt, ein „Senntum“ genannt<lb/>
wird. Wer weniger beſitzt, hat nach dem Ausdruck der Appenzeller<lb/>
blos ein „Schüppeli Vech.“ Solch größere Vieh-Beſitzer, in den<lb/>
italieniſchen Bergen <hirendition="#aq">„alpadore“</hi> genannt, haben entweder eigene<lb/>
Alpweiden, oder ſie nehmen deren in Lehenzins, oder ſie benutzen<lb/>
(was am Meiſten der Fall iſt) die Gemeinde-Alpen oder „Hirtenen“<lb/>
und „laden ſelbſt z'Alp.“— Kleinere Bauern, die nur wenige<lb/>
Kühe beſitzen, gehen im Frühling wohl perſönlich in die Voralpen<lb/>„Berggüter“ oder „Maienſäße“ (auch Allmeinden); aber wenn das<lb/>
Vieh dann im Juli und Auguſt in die höheren Weiden (die ſ. g.<lb/>
mittleren und oberen Staffeln, italieniſch: <hirendition="#aq">stabii</hi> oder <hirendition="#aq">corti</hi>) ge¬<lb/>
trieben wird, ſo übergeben eine Anzahl von Nachbaren ihr Vieh<lb/>
einem gemeinſamen Sennen, mit dem ſie dann am Schluß der<lb/>
Alpenzeit (gewöhnlich Michaelistag) Abrechnung halten. Um aber<lb/>
eine ſolche Auseinanderſetzung des Käſe- und Butter-Ertrages der<lb/>
verſchiedenen Intereſſenten feſtſtellen zu können, da nicht eine Kuh<lb/>ſo viel Milch giebt als die andere, ſo gehen ſämmtliche Betheiligte<lb/>
während der Dauer der Alpzeit an zwei beſonders hierzu beſtimmten<lb/>
Tagen hinauf „auf Alp goh meſſe“ (engadiniſch: <hirendition="#aq">„in süras“),</hi>—<lb/></p></div></body></text></TEI>
[333/0371]
Sennenleben in den Alpen.
beſitz, und darum die Quelle ſeines Lebensunterhaltes und Ver¬
dienſtes, der Gegenſtand ſeines Studiums, Nachdenkens und ſeiner
größten Sorgfalt, ſein Stolz, kurzum der ſächliche Inbegriff ſeiner
vorzüglichſten irdiſchen Lebensaufgabe. Nach der Größe ſeiner
Herde rangirt er in der Geſellſchaft ſeiner Gemeindsgenoſſen, nach
ihr wird er geſchätzt und aus ihr ſchreibt ſich ſein heimathli¬
ches Anſehen, ſeine Dorf-Magnatenſchaft her. So iſts in den
meiſten Alpenthälern. Indeſſen giebts auch in Alpendörfern reiche
Bauern, die ſich nicht mit der Viehzucht und Alpenwirthſchaft be¬
faſſen und ihre Alpen in Lehenzins geben.
Nicht jeder Vieh-beſitzende Gebirgsbauer „fährt ſelbſt auf
Alp“; die Größe ſeiner Herde entſcheidet darüber. Wer 24 und
mehr Kühe beſitzt, heißt ein „Sennten-Bauer“, weil dieſe Anzahl,
beſonders wenn ein Zuchtſtier dabei iſt, ein „Senntum“ genannt
wird. Wer weniger beſitzt, hat nach dem Ausdruck der Appenzeller
blos ein „Schüppeli Vech.“ Solch größere Vieh-Beſitzer, in den
italieniſchen Bergen „alpadore“ genannt, haben entweder eigene
Alpweiden, oder ſie nehmen deren in Lehenzins, oder ſie benutzen
(was am Meiſten der Fall iſt) die Gemeinde-Alpen oder „Hirtenen“
und „laden ſelbſt z'Alp.“ — Kleinere Bauern, die nur wenige
Kühe beſitzen, gehen im Frühling wohl perſönlich in die Voralpen
„Berggüter“ oder „Maienſäße“ (auch Allmeinden); aber wenn das
Vieh dann im Juli und Auguſt in die höheren Weiden (die ſ. g.
mittleren und oberen Staffeln, italieniſch: stabii oder corti) ge¬
trieben wird, ſo übergeben eine Anzahl von Nachbaren ihr Vieh
einem gemeinſamen Sennen, mit dem ſie dann am Schluß der
Alpenzeit (gewöhnlich Michaelistag) Abrechnung halten. Um aber
eine ſolche Auseinanderſetzung des Käſe- und Butter-Ertrages der
verſchiedenen Intereſſenten feſtſtellen zu können, da nicht eine Kuh
ſo viel Milch giebt als die andere, ſo gehen ſämmtliche Betheiligte
während der Dauer der Alpzeit an zwei beſonders hierzu beſtimmten
Tagen hinauf „auf Alp goh meſſe“ (engadiniſch: „in süras“), —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/371>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.