Endlich zieht der Frühling auch ins Alpenland ein.
Es hat der Lenz auf seinen Bahnen Die ganze Welt zur Lust geweckt; Die Hoffnung hat die grünen Fahnen An allen Zweigen aufgesteckt! Es baut im innersten Gemüthe Der Frieden seinen heil'gen Dom. Ein Freudenbrief ist jede Blüthe Und jeder Quell ein Lethestrom!
Ritterhaus.
Es ist Ende Mai! -- Der langersehnte Tag der Alpfahrt kommt, -- des Auferstehungsfestes im Wirthschaftskalender der Sennen. Schon mehrere Tage vorher war er droben mit dem Knecht, hatte den Weg, wo er vielleicht durch eine Lauine zerstört war, wieder¬ hergestellt, das Dach nachgesehen, überhaupt die nöthigsten Vor¬ kehrungen zum Einzug der Gäste getroffen. Jetzt schmücken sich die Sennen und alle, welche in die Berge mitziehen. Die Schwester heftet dem Bruder, "s Maiteli" ihrem "Buob", -- "d' Schwaigeri" im Tyrol sich selbst, Blumensträuße mit Flittergold oder Kränze von jungem Laub und Buchsbaum auf den Hut; bunte Bänder flattern und winken, -- das blendendweiße, hoch über die gebräunten Arme hinaufgewickelte Linnenhemd, kontrastirt gut gegen die schar¬ lachrothe Tuchweste und die leuchtend-gelben, ledernen Kniehosen der Appenzeller und Toggenburger, oder wo überhaupt noch Volks¬ tracht existirt, und wo das, auch in die stillen Gebirgsthäler ein¬ dringende Nivellirungs- und Verflachungsbestreben unserer Zeit nicht jede Spur urwüchsiger Selbstständigkeit in des Volkes Thun und Denken, Kleidung und Sitten verwischt hat. Denn es giebt auch große Alpenthäler, in denen aller Spiritus, jede poetische Seite des Volkslebens verschwunden ist und nur die hausbackenste, nüchternste, kahl-alltäglichste Prosa waltet. -- Die Kühe sind ge¬ striegelt und wie "g'schlecket", daß sie im goldigen Sonnenschein glänzen und kein Wassertropfen auf den glatten Haaren haften würde. Mit korybantischem Jauchzen und "Zauren", die einen unver¬
Sennenleben in den Alpen.
Endlich zieht der Frühling auch ins Alpenland ein.
Es hat der Lenz auf ſeinen Bahnen Die ganze Welt zur Luſt geweckt; Die Hoffnung hat die grünen Fahnen An allen Zweigen aufgeſteckt! Es baut im innerſten Gemüthe Der Frieden ſeinen heil'gen Dom. Ein Freudenbrief iſt jede Blüthe Und jeder Quell ein Letheſtrom!
Ritterhaus.
Es iſt Ende Mai! — Der langerſehnte Tag der Alpfahrt kommt, — des Auferſtehungsfeſtes im Wirthſchaftskalender der Sennen. Schon mehrere Tage vorher war er droben mit dem Knecht, hatte den Weg, wo er vielleicht durch eine Lauine zerſtört war, wieder¬ hergeſtellt, das Dach nachgeſehen, überhaupt die nöthigſten Vor¬ kehrungen zum Einzug der Gäſte getroffen. Jetzt ſchmücken ſich die Sennen und alle, welche in die Berge mitziehen. Die Schweſter heftet dem Bruder, „s Maiteli“ ihrem „Buob“, — „d' Schwaigeri“ im Tyrol ſich ſelbſt, Blumenſträuße mit Flittergold oder Kränze von jungem Laub und Buchsbaum auf den Hut; bunte Bänder flattern und winken, — das blendendweiße, hoch über die gebräunten Arme hinaufgewickelte Linnenhemd, kontraſtirt gut gegen die ſchar¬ lachrothe Tuchweſte und die leuchtend-gelben, ledernen Kniehoſen der Appenzeller und Toggenburger, oder wo überhaupt noch Volks¬ tracht exiſtirt, und wo das, auch in die ſtillen Gebirgsthäler ein¬ dringende Nivellirungs- und Verflachungsbeſtreben unſerer Zeit nicht jede Spur urwüchſiger Selbſtſtändigkeit in des Volkes Thun und Denken, Kleidung und Sitten verwiſcht hat. Denn es giebt auch große Alpenthäler, in denen aller Spiritus, jede poetiſche Seite des Volkslebens verſchwunden iſt und nur die hausbackenſte, nüchternſte, kahl-alltäglichſte Proſa waltet. — Die Kühe ſind ge¬ ſtriegelt und wie „g'ſchlecket“, daß ſie im goldigen Sonnenſchein glänzen und kein Waſſertropfen auf den glatten Haaren haften würde. Mit korybantiſchem Jauchzen und „Zauren“, die einen unver¬
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Sennenleben in den Alpen.
Endlich zieht der Frühling auch ins Alpenland ein.
Es hat der Lenz auf ſeinen Bahnen
Die ganze Welt zur Luſt geweckt;
Die Hoffnung hat die grünen Fahnen
An allen Zweigen aufgeſteckt!
Es baut im innerſten Gemüthe
Der Frieden ſeinen heil'gen Dom.
Ein Freudenbrief iſt jede Blüthe
Und jeder Quell ein Letheſtrom!
Ritterhaus.
Es iſt Ende Mai! — Der langerſehnte Tag der Alpfahrt kommt,
— des Auferſtehungsfeſtes im Wirthſchaftskalender der Sennen.
Schon mehrere Tage vorher war er droben mit dem Knecht, hatte
den Weg, wo er vielleicht durch eine Lauine zerſtört war, wieder¬
hergeſtellt, das Dach nachgeſehen, überhaupt die nöthigſten Vor¬
kehrungen zum Einzug der Gäſte getroffen. Jetzt ſchmücken ſich
die Sennen und alle, welche in die Berge mitziehen. Die Schweſter
heftet dem Bruder, „s Maiteli“ ihrem „Buob“, — „d' Schwaigeri“
im Tyrol ſich ſelbſt, Blumenſträuße mit Flittergold oder Kränze
von jungem Laub und Buchsbaum auf den Hut; bunte Bänder
flattern und winken, — das blendendweiße, hoch über die gebräunten
Arme hinaufgewickelte Linnenhemd, kontraſtirt gut gegen die ſchar¬
lachrothe Tuchweſte und die leuchtend-gelben, ledernen Kniehoſen
der Appenzeller und Toggenburger, oder wo überhaupt noch Volks¬
tracht exiſtirt, und wo das, auch in die ſtillen Gebirgsthäler ein¬
dringende Nivellirungs- und Verflachungsbeſtreben unſerer Zeit
nicht jede Spur urwüchſiger Selbſtſtändigkeit in des Volkes Thun
und Denken, Kleidung und Sitten verwiſcht hat. Denn es giebt
auch große Alpenthäler, in denen aller Spiritus, jede poetiſche
Seite des Volkslebens verſchwunden iſt und nur die hausbackenſte,
nüchternſte, kahl-alltäglichſte Proſa waltet. — Die Kühe ſind ge¬
ſtriegelt und wie „g'ſchlecket“, daß ſie im goldigen Sonnenſchein
glänzen und kein Waſſertropfen auf den glatten Haaren haften
würde. Mit korybantiſchem Jauchzen und „Zauren“, die einen unver¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/373>, abgerufen am 22.11.2024.
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