Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Sennenleben in den Alpen. wüstlichen Humor bekunden, eröffnet da, wo blos Männer zur Alp"fahren", der "Zusenn", mit dem weißgescheuerten oder buntbe¬ malten Melkeimerli auf der Schulter, den Zug. Ihm folgen die schönsten und größten Kühe mit den fußhohen, messingblechenen "Trychlen" (Glocken), die an breiten, ledernen, mit allerhand farbig ausgenähtem Putzwerk versehenen Halsbändern hängen. Diese Glocken, deren gewöhnlich nur drei bei einem Zuge sind, bauchen oberhalb am Henkel ziemlich breit aus, oft einen Fuß im Durch¬ messer, laufen nach unten schmaler zusammen und verursachen solch einen heillosen, trommelähnlich-alarmirenden und doch nicht unhar¬ monischen Lärm, daß man ihn bei geeigneter Luft eine Stunde weit hört. Man legt diese Riesen-Schellen den Kühen nur für die Dauer an, während welcher der Zug durch die Dörfer geht, um Pracht mit der Herde zu treiben und alles Volk herbeizulocken. Ist dieser Zweck erreicht, dann wird das gewichtige Spektakel-In¬ strument den Kühen wieder vom Halse genommen, weil erfahrungsge¬ mäß das lange Tragen derselben den Lungen der Thiere nachtheilig ist. Jetzt entstehen in den Dörfern, durch welche der Zug kommt, Sennenleben in den Alpen. wüſtlichen Humor bekunden, eröffnet da, wo blos Männer zur Alp„fahren“, der „Zuſenn“, mit dem weißgeſcheuerten oder buntbe¬ malten Melkeimerli auf der Schulter, den Zug. Ihm folgen die ſchönſten und größten Kühe mit den fußhohen, meſſingblechenen „Trychlen“ (Glocken), die an breiten, ledernen, mit allerhand farbig ausgenähtem Putzwerk verſehenen Halsbändern hängen. Dieſe Glocken, deren gewöhnlich nur drei bei einem Zuge ſind, bauchen oberhalb am Henkel ziemlich breit aus, oft einen Fuß im Durch¬ meſſer, laufen nach unten ſchmaler zuſammen und verurſachen ſolch einen heilloſen, trommelähnlich-alarmirenden und doch nicht unhar¬ moniſchen Lärm, daß man ihn bei geeigneter Luft eine Stunde weit hört. Man legt dieſe Rieſen-Schellen den Kühen nur für die Dauer an, während welcher der Zug durch die Dörfer geht, um Pracht mit der Herde zu treiben und alles Volk herbeizulocken. Iſt dieſer Zweck erreicht, dann wird das gewichtige Spektakel-In¬ ſtrument den Kühen wieder vom Halſe genommen, weil erfahrungsge¬ mäß das lange Tragen derſelben den Lungen der Thiere nachtheilig iſt. Jetzt entſtehen in den Dörfern, durch welche der Zug kommt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0374" n="336"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Sennenleben in den Alpen</hi>.<lb/></fw> wüſtlichen Humor bekunden, eröffnet da, wo blos Männer zur Alp<lb/> „fahren“, der „Zuſenn“, mit dem weißgeſcheuerten oder buntbe¬<lb/> malten Melkeimerli auf der Schulter, den Zug. Ihm folgen die<lb/> ſchönſten und größten Kühe mit den fußhohen, meſſingblechenen<lb/> „Trychlen“ (Glocken), die an breiten, ledernen, mit allerhand farbig<lb/> ausgenähtem Putzwerk verſehenen Halsbändern hängen. Dieſe<lb/> Glocken, deren gewöhnlich nur drei bei einem Zuge ſind, bauchen<lb/> oberhalb am Henkel ziemlich breit aus, oft einen Fuß im Durch¬<lb/> meſſer, laufen nach unten ſchmaler zuſammen und verurſachen ſolch<lb/> einen heilloſen, trommelähnlich-alarmirenden und doch nicht unhar¬<lb/> moniſchen Lärm, daß man ihn bei geeigneter Luft eine Stunde<lb/> weit hört. Man legt dieſe Rieſen-Schellen den Kühen nur für<lb/> die Dauer an, während welcher der Zug durch die Dörfer geht,<lb/> um Pracht mit der Herde zu treiben und alles Volk herbeizulocken.<lb/> Iſt dieſer Zweck erreicht, dann wird das gewichtige Spektakel-In¬<lb/> ſtrument den Kühen wieder vom Halſe genommen, weil erfahrungsge¬<lb/> mäß das lange Tragen derſelben den Lungen der Thiere nachtheilig iſt.</p><lb/> <p>Jetzt entſtehen in den Dörfern, durch welche der Zug kommt,<lb/> völlige Volksaufläufe; denn Alt und Jung will des „Korde Urche-<lb/> Bübli's“ (Konrad Ulrich) oder des „Franz-Antony-Lismer-Seppelis“<lb/> ſchöne „Chüena“ (Kühe) die Revüe paſſiren laſſen und mit Ken¬<lb/> nermiene deren Bau und „G'ſchlachtheit“ prüfen. — Der Berg¬<lb/> bauer hat ſeine Kuh-Aeſthetik, die mit den feinſten Nüancirungen<lb/> ungemein „heikel“ und wähleriſch in Farbe, Stellung der Füße,<lb/> Hörner und anderer Eigenſchaften diſtinguirt. Blökend und ſprin¬<lb/> gend, gleich als ob ſie es wiſſe, daß es hinauf gehe zu den gewür¬<lb/> zigen, nahrhaften Alpweiden, folgt nun, in lange Reihe aufgelöſt,<lb/> die ganze Herde der Kühe, Galtlinge, Ziegen und Lämmer, —<lb/> mitten darunter brummend und mürriſch der Sultan des Stall-<lb/> Serails, der „Muni“, heute der Sündenbock des allgemeinen<lb/> Spottes; denn der Volkswitz bindet altherkömmlich dieſem „Sen¬<lb/> tenpfaar“ (Zuchtſtier) den Melkſtuhl, mit Blumen geſchmückt, zwiſchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [336/0374]
Sennenleben in den Alpen.
wüſtlichen Humor bekunden, eröffnet da, wo blos Männer zur Alp
„fahren“, der „Zuſenn“, mit dem weißgeſcheuerten oder buntbe¬
malten Melkeimerli auf der Schulter, den Zug. Ihm folgen die
ſchönſten und größten Kühe mit den fußhohen, meſſingblechenen
„Trychlen“ (Glocken), die an breiten, ledernen, mit allerhand farbig
ausgenähtem Putzwerk verſehenen Halsbändern hängen. Dieſe
Glocken, deren gewöhnlich nur drei bei einem Zuge ſind, bauchen
oberhalb am Henkel ziemlich breit aus, oft einen Fuß im Durch¬
meſſer, laufen nach unten ſchmaler zuſammen und verurſachen ſolch
einen heilloſen, trommelähnlich-alarmirenden und doch nicht unhar¬
moniſchen Lärm, daß man ihn bei geeigneter Luft eine Stunde
weit hört. Man legt dieſe Rieſen-Schellen den Kühen nur für
die Dauer an, während welcher der Zug durch die Dörfer geht,
um Pracht mit der Herde zu treiben und alles Volk herbeizulocken.
Iſt dieſer Zweck erreicht, dann wird das gewichtige Spektakel-In¬
ſtrument den Kühen wieder vom Halſe genommen, weil erfahrungsge¬
mäß das lange Tragen derſelben den Lungen der Thiere nachtheilig iſt.
Jetzt entſtehen in den Dörfern, durch welche der Zug kommt,
völlige Volksaufläufe; denn Alt und Jung will des „Korde Urche-
Bübli's“ (Konrad Ulrich) oder des „Franz-Antony-Lismer-Seppelis“
ſchöne „Chüena“ (Kühe) die Revüe paſſiren laſſen und mit Ken¬
nermiene deren Bau und „G'ſchlachtheit“ prüfen. — Der Berg¬
bauer hat ſeine Kuh-Aeſthetik, die mit den feinſten Nüancirungen
ungemein „heikel“ und wähleriſch in Farbe, Stellung der Füße,
Hörner und anderer Eigenſchaften diſtinguirt. Blökend und ſprin¬
gend, gleich als ob ſie es wiſſe, daß es hinauf gehe zu den gewür¬
zigen, nahrhaften Alpweiden, folgt nun, in lange Reihe aufgelöſt,
die ganze Herde der Kühe, Galtlinge, Ziegen und Lämmer, —
mitten darunter brummend und mürriſch der Sultan des Stall-
Serails, der „Muni“, heute der Sündenbock des allgemeinen
Spottes; denn der Volkswitz bindet altherkömmlich dieſem „Sen¬
tenpfaar“ (Zuchtſtier) den Melkſtuhl, mit Blumen geſchmückt, zwiſchen
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