Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Sennenleben in den Alpen. die Thäler hinab und ist selig im träumerischen Nichtsthun. Giltsaber, das Vieh auf steiler Alp zu hüten, dann muß er am schwin¬ delnden Abgrunde gehen, zu äußerst, wohin das weidende Thier sich nicht getraut, -- und auf Schritt und Tritt geht der Tod dicht neben ihm. Beim Sturm und Hochgewitter, im strömenden Regen und zu jeder Tageszeit muß er seinen lebensgefährlichen Beruf erfüllen, und da ist's nicht selten, daß er Tage lang in völlig durch¬ näßten Kleidern verbleiben muß. Dies ist die Kehrseite des so reizend geschilderten Hirtenlebens. Aber auch der Senn bekommt sein Theil davon, wenns Wochen lang regnet, Nebel wie böse Geister des Gebirges sich grau und unheimlich um die Hütte lagern, das nasse Holz nicht brennen will und Wind und eisiger Luftzug durch die Hütte fegen, daß die Glieder erstarren, oder wenns gar im Juli schneit und fußhoch Flocken wirft, daß das Vieh Tage lang kein Hälmlein Futter findet, vor Hunger brüllt und keine Milch giebt. So auffallend und sichtbarlich die Herde auf der Alp wäh¬ rend eines guten Sommers sich mästet, so sehr verelendet und magert sie in einem kalten, nassen Sommer ab. Des Aelplers Tagesordnung ist höchst einförmig, Sonntag Sennenleben in den Alpen. die Thäler hinab und iſt ſelig im träumeriſchen Nichtsthun. Giltsaber, das Vieh auf ſteiler Alp zu hüten, dann muß er am ſchwin¬ delnden Abgrunde gehen, zu äußerſt, wohin das weidende Thier ſich nicht getraut, — und auf Schritt und Tritt geht der Tod dicht neben ihm. Beim Sturm und Hochgewitter, im ſtrömenden Regen und zu jeder Tageszeit muß er ſeinen lebensgefährlichen Beruf erfüllen, und da iſt's nicht ſelten, daß er Tage lang in völlig durch¬ näßten Kleidern verbleiben muß. Dies iſt die Kehrſeite des ſo reizend geſchilderten Hirtenlebens. Aber auch der Senn bekommt ſein Theil davon, wenns Wochen lang regnet, Nebel wie böſe Geiſter des Gebirges ſich grau und unheimlich um die Hütte lagern, das naſſe Holz nicht brennen will und Wind und eiſiger Luftzug durch die Hütte fegen, daß die Glieder erſtarren, oder wenns gar im Juli ſchneit und fußhoch Flocken wirft, daß das Vieh Tage lang kein Hälmlein Futter findet, vor Hunger brüllt und keine Milch giebt. So auffallend und ſichtbarlich die Herde auf der Alp wäh¬ rend eines guten Sommers ſich mäſtet, ſo ſehr verelendet und magert ſie in einem kalten, naſſen Sommer ab. Des Aelplers Tagesordnung iſt höchſt einförmig, Sonntag <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0381" n="343"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sennenleben in den Alpen</hi>.<lb/></fw> die Thäler hinab und iſt ſelig im träumeriſchen Nichtsthun. Gilts<lb/> aber, das Vieh auf ſteiler Alp zu hüten, dann muß er am ſchwin¬<lb/> delnden Abgrunde gehen, zu äußerſt, wohin das weidende Thier<lb/> ſich nicht getraut, — und auf Schritt und Tritt geht der Tod dicht<lb/> neben ihm. Beim Sturm und Hochgewitter, im ſtrömenden Regen<lb/> und zu jeder Tageszeit muß er ſeinen lebensgefährlichen Beruf<lb/> erfüllen, und da iſt's nicht ſelten, daß er Tage lang in völlig durch¬<lb/> näßten Kleidern verbleiben muß. Dies iſt die Kehrſeite des ſo<lb/> reizend geſchilderten Hirtenlebens. Aber auch der Senn bekommt<lb/> ſein Theil davon, wenns Wochen lang regnet, Nebel wie böſe Geiſter<lb/> des Gebirges ſich grau und unheimlich um die Hütte lagern, das<lb/> naſſe Holz nicht brennen will und Wind und eiſiger Luftzug durch<lb/> die Hütte fegen, daß die Glieder erſtarren, oder wenns gar im<lb/> Juli ſchneit und fußhoch Flocken wirft, daß das Vieh Tage lang<lb/> kein Hälmlein Futter findet, vor Hunger brüllt und keine Milch<lb/> giebt. So auffallend und ſichtbarlich die Herde auf der Alp wäh¬<lb/> rend eines guten Sommers ſich mäſtet, ſo ſehr verelendet und<lb/> magert ſie in einem kalten, naſſen Sommer ab.</p><lb/> <p>Des Aelplers Tagesordnung iſt höchſt einförmig, Sonntag<lb/> und Wochentag die gleiche, kein Glockenklang läutet die Sabbath¬<lb/> ruhe ein, kein ſchmuckes Kleid bezeichnet den Feiertag, kein Schluck<lb/> Wein netzt am Wirthstiſch den durſtigen Gaumen am Abend.<lb/> Während die ganze Landſchaft noch träumeriſch nebelblau dem<lb/> frühen Morgen in den Armen ruht, die Thäler tief drunten däm¬<lb/> mernd dampfen und Streifen weißen Nebelrauches durch die<lb/> Schluchten und Tobel ſchleichen<lb/><cit><quote><lg type="poem"><l>Als wälzte fraßesmatt, träg, auf dem Bauch<lb/></l><l>Dahin die Schlange ſich, der Ewigkeit, —</l></lg></quote><space dim="horizontal"/><bibl><hi rendition="#g">Lenau</hi>.<lb/></bibl></cit> während die Nacht durchs Morgenſternlein ihren Scheidegruß ſendet<lb/> und des Himmels frohes Antlitz und der Eisberge Schneegipfel von<lb/> des Tages erſtem Kuſſe leiſe erröthen, erhebt ſich der Senn von<lb/> ſeinem harten Heulager und melkt, während der Handbub Feuer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [343/0381]
Sennenleben in den Alpen.
die Thäler hinab und iſt ſelig im träumeriſchen Nichtsthun. Gilts
aber, das Vieh auf ſteiler Alp zu hüten, dann muß er am ſchwin¬
delnden Abgrunde gehen, zu äußerſt, wohin das weidende Thier
ſich nicht getraut, — und auf Schritt und Tritt geht der Tod dicht
neben ihm. Beim Sturm und Hochgewitter, im ſtrömenden Regen
und zu jeder Tageszeit muß er ſeinen lebensgefährlichen Beruf
erfüllen, und da iſt's nicht ſelten, daß er Tage lang in völlig durch¬
näßten Kleidern verbleiben muß. Dies iſt die Kehrſeite des ſo
reizend geſchilderten Hirtenlebens. Aber auch der Senn bekommt
ſein Theil davon, wenns Wochen lang regnet, Nebel wie böſe Geiſter
des Gebirges ſich grau und unheimlich um die Hütte lagern, das
naſſe Holz nicht brennen will und Wind und eiſiger Luftzug durch
die Hütte fegen, daß die Glieder erſtarren, oder wenns gar im
Juli ſchneit und fußhoch Flocken wirft, daß das Vieh Tage lang
kein Hälmlein Futter findet, vor Hunger brüllt und keine Milch
giebt. So auffallend und ſichtbarlich die Herde auf der Alp wäh¬
rend eines guten Sommers ſich mäſtet, ſo ſehr verelendet und
magert ſie in einem kalten, naſſen Sommer ab.
Des Aelplers Tagesordnung iſt höchſt einförmig, Sonntag
und Wochentag die gleiche, kein Glockenklang läutet die Sabbath¬
ruhe ein, kein ſchmuckes Kleid bezeichnet den Feiertag, kein Schluck
Wein netzt am Wirthstiſch den durſtigen Gaumen am Abend.
Während die ganze Landſchaft noch träumeriſch nebelblau dem
frühen Morgen in den Armen ruht, die Thäler tief drunten däm¬
mernd dampfen und Streifen weißen Nebelrauches durch die
Schluchten und Tobel ſchleichen
Als wälzte fraßesmatt, träg, auf dem Bauch
Dahin die Schlange ſich, der Ewigkeit, —
Lenau.
während die Nacht durchs Morgenſternlein ihren Scheidegruß ſendet
und des Himmels frohes Antlitz und der Eisberge Schneegipfel von
des Tages erſtem Kuſſe leiſe erröthen, erhebt ſich der Senn von
ſeinem harten Heulager und melkt, während der Handbub Feuer
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