anzündet. Die gewonnene Milch wird sogleich in dem großen "Kessi" erhitzt, und mit "Etscher" (sauere Schotte) geschieden, daß sie gerinnt und sich ausscheidet in "Käsbulderen" und Molke. In¬ dessen ist auf morgenheiteren Schwingen der volle Tag herabgeschwebt.
Sonnenaufgang! Goldne Pfeile Schießen nach den weißen Nebeln, Die sich röthen, wie verwundet, Und im Glanz und Licht zerrinnen. Endlich ist der Sieg erfochten Und der Tag, der Triumphator, Tritt in strahlend voller Glorie Auf den Nacken des Gebirges.
H. Heine.
Das Sennenvolk hat zu Morgen gegessen, der Hirt treibt aus, der Handbub säubert seine Geräthe, und der Senn fährt fort, seine Milchprodukte zu bearbeiten. Häusliche Arbeiten füllen den Tag reichlich aus. -- Ists dann Abend geworden, entschläft der müde Tag allmählig, sinkt das ewige "Flammenherz der Welt", die Sonne, hinter den Bergen nieder, dann lockt der Hirt oder der Senn mit dem "Ruggüßler" oder mit dem "Kuhreihen" die Thiere zur Hütte, entleert die strotzenden Euter von der fetten, rahm¬ ähnlichen Milch, und die Procedur vom Morgen, sammt Abendessen und Reinigen der Geräthe, schließen die Tagesgeschäfte. Bei ein¬ brechender Nacht tritt dann in den katholischen Gegenden der Senn vor seine Hütte hinaus, singt mit lauter Stimme durch einen großen hölzernen Milchtrichter (die "Volle" genannt) in der Choral- Melodie der Präfation ein Gebet, meist Strophen aus dem Evan¬ gelium Johannis, und den englischen Gruß. Die anderen Hirten im Gebirge und die im Freien übernachtenden Wildheuer oder Wurzelgräber, die es hören, knieen fromm nieder und beten ein Pater noster und Ave Maria dabei. Dieser späte Ruf ersetzt in den stillen, einsamen Alpen die Abendglocke, welche in den Thälern zum Dankgebet für die Segnungen des verlebten Tages auffordert, und dient zugleich dem von der Nacht überraschten, vielleicht ver¬
Sennenleben in den Alpen.
anzündet. Die gewonnene Milch wird ſogleich in dem großen „Keſſi“ erhitzt, und mit „Etſcher“ (ſauere Schotte) geſchieden, daß ſie gerinnt und ſich ausſcheidet in „Käsbulderen“ und Molke. In¬ deſſen iſt auf morgenheiteren Schwingen der volle Tag herabgeſchwebt.
Sonnenaufgang! Goldne Pfeile Schießen nach den weißen Nebeln, Die ſich röthen, wie verwundet, Und im Glanz und Licht zerrinnen. Endlich iſt der Sieg erfochten Und der Tag, der Triumphator, Tritt in ſtrahlend voller Glorie Auf den Nacken des Gebirges.
H. Heine.
Das Sennenvolk hat zu Morgen gegeſſen, der Hirt treibt aus, der Handbub ſäubert ſeine Geräthe, und der Senn fährt fort, ſeine Milchprodukte zu bearbeiten. Häusliche Arbeiten füllen den Tag reichlich aus. — Iſts dann Abend geworden, entſchläft der müde Tag allmählig, ſinkt das ewige „Flammenherz der Welt“, die Sonne, hinter den Bergen nieder, dann lockt der Hirt oder der Senn mit dem „Ruggüßler“ oder mit dem „Kuhreihen“ die Thiere zur Hütte, entleert die ſtrotzenden Euter von der fetten, rahm¬ ähnlichen Milch, und die Procedur vom Morgen, ſammt Abendeſſen und Reinigen der Geräthe, ſchließen die Tagesgeſchäfte. Bei ein¬ brechender Nacht tritt dann in den katholiſchen Gegenden der Senn vor ſeine Hütte hinaus, ſingt mit lauter Stimme durch einen großen hölzernen Milchtrichter (die „Volle“ genannt) in der Choral- Melodie der Präfation ein Gebet, meiſt Strophen aus dem Evan¬ gelium Johannis, und den engliſchen Gruß. Die anderen Hirten im Gebirge und die im Freien übernachtenden Wildheuer oder Wurzelgräber, die es hören, knieen fromm nieder und beten ein Pater noſter und Ave Maria dabei. Dieſer ſpäte Ruf erſetzt in den ſtillen, einſamen Alpen die Abendglocke, welche in den Thälern zum Dankgebet für die Segnungen des verlebten Tages auffordert, und dient zugleich dem von der Nacht überraſchten, vielleicht ver¬
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Sennenleben in den Alpen.
anzündet. Die gewonnene Milch wird ſogleich in dem großen
„Keſſi“ erhitzt, und mit „Etſcher“ (ſauere Schotte) geſchieden, daß
ſie gerinnt und ſich ausſcheidet in „Käsbulderen“ und Molke. In¬
deſſen iſt auf morgenheiteren Schwingen der volle Tag herabgeſchwebt.
Sonnenaufgang! Goldne Pfeile
Schießen nach den weißen Nebeln,
Die ſich röthen, wie verwundet,
Und im Glanz und Licht zerrinnen.
Endlich iſt der Sieg erfochten
Und der Tag, der Triumphator,
Tritt in ſtrahlend voller Glorie
Auf den Nacken des Gebirges.
H. Heine.
Das Sennenvolk hat zu Morgen gegeſſen, der Hirt treibt aus,
der Handbub ſäubert ſeine Geräthe, und der Senn fährt fort, ſeine
Milchprodukte zu bearbeiten. Häusliche Arbeiten füllen den Tag
reichlich aus. — Iſts dann Abend geworden, entſchläft der müde
Tag allmählig, ſinkt das ewige „Flammenherz der Welt“, die
Sonne, hinter den Bergen nieder, dann lockt der Hirt oder der
Senn mit dem „Ruggüßler“ oder mit dem „Kuhreihen“ die Thiere
zur Hütte, entleert die ſtrotzenden Euter von der fetten, rahm¬
ähnlichen Milch, und die Procedur vom Morgen, ſammt Abendeſſen
und Reinigen der Geräthe, ſchließen die Tagesgeſchäfte. Bei ein¬
brechender Nacht tritt dann in den katholiſchen Gegenden der Senn
vor ſeine Hütte hinaus, ſingt mit lauter Stimme durch einen
großen hölzernen Milchtrichter (die „Volle“ genannt) in der Choral-
Melodie der Präfation ein Gebet, meiſt Strophen aus dem Evan¬
gelium Johannis, und den engliſchen Gruß. Die anderen Hirten
im Gebirge und die im Freien übernachtenden Wildheuer oder
Wurzelgräber, die es hören, knieen fromm nieder und beten ein
Pater noſter und Ave Maria dabei. Dieſer ſpäte Ruf erſetzt in
den ſtillen, einſamen Alpen die Abendglocke, welche in den Thälern
zum Dankgebet für die Segnungen des verlebten Tages auffordert,
und dient zugleich dem von der Nacht überraſchten, vielleicht ver¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/382>, abgerufen am 25.11.2024.
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