Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Sennenleben in den Alpen. der Pfarrhelfer von Spiringen im Schächenthal (Tells Heimaths-Thal) liest dort den zahlreich versammelten Sennen die Messe. Gleichen Ursprunges ist das Kirchlein mit dem Kloster "Maria zum Schnee" am Rigi. Dann steckt ganz hinten im Kalfeuserthal des St. Galler Oberlandes die reizend, zwischen zahlreichen Fels¬ sturztrümmern gelegene kleine Kapelle St. Martin, -- und im Martell-Thale (Vintschgau, Tyrol) steht einsam die Kapelle "Maria- Schmelz", ursprünglich für die Ofenknechte des eingegangenen Schmelzwerkes gebaut; jetzt kommt im Sommer allsonntäglich der Kaplan von Thal hierher. Der originellste Tempel dieser Art ist das "Wildkirchli" im Sennenleben in den Alpen. der Pfarrhelfer von Spiringen im Schächenthal (Tells Heimaths-Thal) lieſt dort den zahlreich verſammelten Sennen die Meſſe. Gleichen Urſprunges iſt das Kirchlein mit dem Kloſter „Maria zum Schnee“ am Rigi. Dann ſteckt ganz hinten im Kalfeuſerthal des St. Galler Oberlandes die reizend, zwiſchen zahlreichen Fels¬ ſturztrümmern gelegene kleine Kapelle St. Martin, — und im Martell-Thale (Vintſchgau, Tyrol) ſteht einſam die Kapelle „Maria- Schmelz“, urſprünglich für die Ofenknechte des eingegangenen Schmelzwerkes gebaut; jetzt kommt im Sommer allſonntäglich der Kaplan von Thal hierher. Der originellſte Tempel dieſer Art iſt das „Wildkirchli“ im <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0384" n="346"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Sennenleben in den Alpen</hi>.<lb/></fw> der Pfarrhelfer von Spiringen im Schächenthal (Tells Heimaths-<lb/> Thal) lieſt dort den zahlreich verſammelten Sennen die Meſſe.<lb/> Gleichen Urſprunges iſt das Kirchlein mit dem Kloſter „Maria<lb/> zum Schnee“ am Rigi. Dann ſteckt ganz hinten im Kalfeuſerthal<lb/> des St. Galler Oberlandes die reizend, zwiſchen zahlreichen Fels¬<lb/> ſturztrümmern gelegene kleine Kapelle St. Martin, — und im<lb/> Martell-Thale (Vintſchgau, Tyrol) ſteht einſam die Kapelle „Maria-<lb/> Schmelz“, urſprünglich für die Ofenknechte des eingegangenen<lb/> Schmelzwerkes gebaut; jetzt kommt im Sommer allſonntäglich der<lb/> Kaplan von Thal hierher.</p><lb/> <p>Der originellſte Tempel dieſer Art iſt das „Wildkirchli“ im<lb/> Appenzeller Lande. Eine Felſenhöhle an hoher, ſenkrechter Berg¬<lb/> wand (unter der ſchönen Ebenalp), in die ſich, wäre ſie nicht von<lb/> den Altvätern zu einer Stätte der Gottes-Verehrung geweiht, der<lb/> Gaisbub mit ſeiner Herde vor dem Gewitterſturme flüchten würde,<lb/> giebt die Hallen des Gotteshauſes ab, — ſchlicht, kunſtlos, ein<lb/> Naturgewölbe, wie es aus der Hand der geſtaltenden Schöpfung<lb/> hervorging. Kein Marmoraltar, kein Gebilde von Künſtlerhand<lb/> trägt die geweihten Geräthe; — ein ſchlichter Schragen, von des<lb/> Zimmerers Beil bearbeitet, verſieht den Dienſt, — der Altar iſt<lb/> mit einem Teppich verhangen, und neben friſch gepflückten Alpen¬<lb/> roſen in den Vaſen flackern die Kerzen im Zugwinde gegen die<lb/> Tiefe der Höhle, das Marterkreuz andampfend, vor dem die Menge<lb/> in den Staub ſinkt. Das „Wildkirchli“ iſt dem heiligen Michael<lb/> geweiht, und alljährlich am Schutzengel-Feſt hält ein Kapuziner<lb/> droben Gottesdienſt. Da liegt das Volk auf den Knieen, ſchlägt<lb/> reuig an die Bruſt und murmelt ſeine Gebete. Ob die Einkehr<lb/> in des Gemüthes Tiefen ihm wohl erſchloſſen iſt? Ob es nach<lb/> ſeiner Weiſe Selbſtſchau hält in dem Herz-erſchütternden, alle<lb/> Quellen der Seele öffnenden Augenblicke? Das Weihrauchfaß<lb/> dampft; mechaniſch, dienſtbefliſſen, unberührt von der Gewalt des<lb/> Gott-geweihten Augenblickes, ſchwingt es der miniſtrirende Knabe,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [346/0384]
Sennenleben in den Alpen.
der Pfarrhelfer von Spiringen im Schächenthal (Tells Heimaths-
Thal) lieſt dort den zahlreich verſammelten Sennen die Meſſe.
Gleichen Urſprunges iſt das Kirchlein mit dem Kloſter „Maria
zum Schnee“ am Rigi. Dann ſteckt ganz hinten im Kalfeuſerthal
des St. Galler Oberlandes die reizend, zwiſchen zahlreichen Fels¬
ſturztrümmern gelegene kleine Kapelle St. Martin, — und im
Martell-Thale (Vintſchgau, Tyrol) ſteht einſam die Kapelle „Maria-
Schmelz“, urſprünglich für die Ofenknechte des eingegangenen
Schmelzwerkes gebaut; jetzt kommt im Sommer allſonntäglich der
Kaplan von Thal hierher.
Der originellſte Tempel dieſer Art iſt das „Wildkirchli“ im
Appenzeller Lande. Eine Felſenhöhle an hoher, ſenkrechter Berg¬
wand (unter der ſchönen Ebenalp), in die ſich, wäre ſie nicht von
den Altvätern zu einer Stätte der Gottes-Verehrung geweiht, der
Gaisbub mit ſeiner Herde vor dem Gewitterſturme flüchten würde,
giebt die Hallen des Gotteshauſes ab, — ſchlicht, kunſtlos, ein
Naturgewölbe, wie es aus der Hand der geſtaltenden Schöpfung
hervorging. Kein Marmoraltar, kein Gebilde von Künſtlerhand
trägt die geweihten Geräthe; — ein ſchlichter Schragen, von des
Zimmerers Beil bearbeitet, verſieht den Dienſt, — der Altar iſt
mit einem Teppich verhangen, und neben friſch gepflückten Alpen¬
roſen in den Vaſen flackern die Kerzen im Zugwinde gegen die
Tiefe der Höhle, das Marterkreuz andampfend, vor dem die Menge
in den Staub ſinkt. Das „Wildkirchli“ iſt dem heiligen Michael
geweiht, und alljährlich am Schutzengel-Feſt hält ein Kapuziner
droben Gottesdienſt. Da liegt das Volk auf den Knieen, ſchlägt
reuig an die Bruſt und murmelt ſeine Gebete. Ob die Einkehr
in des Gemüthes Tiefen ihm wohl erſchloſſen iſt? Ob es nach
ſeiner Weiſe Selbſtſchau hält in dem Herz-erſchütternden, alle
Quellen der Seele öffnenden Augenblicke? Das Weihrauchfaß
dampft; mechaniſch, dienſtbefliſſen, unberührt von der Gewalt des
Gott-geweihten Augenblickes, ſchwingt es der miniſtrirende Knabe,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |