Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Sennenleben in den Alpen. -- ein matter, sinnebethörender Ambradunst steigt auf; -- was ister gegen den großen Weihrauchduft des Sommermorgens, der die hohen, hehren Gebilde der Alpenklippen umwogt? -- Jetzt kündet des Glöckleins weittönender Schall, fern hinab in des Seealpsee- Thals Tiefen es an, daß das Mysterium der "Wandlung" hoch droben an jäher Felsenwand vor sich gegangen ist, und der einsame Tauner auf Maarwies oder ob der Felsenbastei des Alpsiegleten, der nicht zum Fest herüberkommen konnte, weil der Dienst ihn an seine Hütte bannt, hört des Glöckleins mahnenden Ruf, schlägt an die Brust und murmelt gewohnheitsgemäß seinen Spruch dazu. Drunten in der Schwendi sitzt die Matrone auf den Treppensteinen, vor ihres Tochtermannes Haus, die Rosenkranz-Schnur zwischen den dürren, zitternden Händen. Auch sie hört des Glöckleins Schall und betet; aber ihre Gedanken weilen nicht im Heiligthume des ererbten Glaubens. Ihre Erhebung schweift wohl hinauf, aber nicht in die glanzerfüllten Räume des Alls, wo nach ihrer kind¬ lichen Meinung, jenseit der Wolken, die Gebenedeite auf dem Strahlenthrone weilt, umgeben von Engelschaaren: -- ihr Sinnen und geistiges Empfinden erhebt sich nur zur Ebenalp. Sie denkt des heute zu feiernden Festes, wie es in seiner ländlichen Pracht vor ihrer Mädchenzeit freudevoll vorüberrauschte. Damals vor fünfzig Jahren war sie die Schönste der ganzen Inneren Rhoden; des Franz-Antoni's Mareieli mußte bei allen Tanzspinnenen und winterlichen Abendversammlungen sein, die es weit umher gab, -- sie war die Zierde jeder Alpstubete und der Urnäscher Chilbi, des leidenschaftlich-fröhlichsten Hirtenfestes im ganzen Appenzeller Lande. Im Kranze der singenden Mädchen war sie Tonangeberin; ihre helle, glockenreine Stimme jauchzte am Freudigsten hinaus gegen die Bergwände und -- als ob das Echo Mareieli bevorzugend zu seinem Lieb erkoren hätte, gab es nur ihren "Juchzger" freudevoll accentuirt, überlaut zurück, während der Widerhall vom Gesang der Uebrigen nur wie Folie klang, von der Mareielis Jubel dia¬ Sennenleben in den Alpen. — ein matter, ſinnebethörender Ambradunſt ſteigt auf; — was iſter gegen den großen Weihrauchduft des Sommermorgens, der die hohen, hehren Gebilde der Alpenklippen umwogt? — Jetzt kündet des Glöckleins weittönender Schall, fern hinab in des Seealpſee- Thals Tiefen es an, daß das Myſterium der „Wandlung“ hoch droben an jäher Felſenwand vor ſich gegangen iſt, und der einſame Tauner auf Maarwies oder ob der Felſenbaſtei des Alpſiegleten, der nicht zum Feſt herüberkommen konnte, weil der Dienſt ihn an ſeine Hütte bannt, hört des Glöckleins mahnenden Ruf, ſchlägt an die Bruſt und murmelt gewohnheitsgemäß ſeinen Spruch dazu. Drunten in der Schwendi ſitzt die Matrone auf den Treppenſteinen, vor ihres Tochtermannes Haus, die Roſenkranz-Schnur zwiſchen den dürren, zitternden Händen. Auch ſie hört des Glöckleins Schall und betet; aber ihre Gedanken weilen nicht im Heiligthume des ererbten Glaubens. Ihre Erhebung ſchweift wohl hinauf, aber nicht in die glanzerfüllten Räume des Alls, wo nach ihrer kind¬ lichen Meinung, jenſeit der Wolken, die Gebenedeite auf dem Strahlenthrone weilt, umgeben von Engelſchaaren: — ihr Sinnen und geiſtiges Empfinden erhebt ſich nur zur Ebenalp. Sie denkt des heute zu feiernden Feſtes, wie es in ſeiner ländlichen Pracht vor ihrer Mädchenzeit freudevoll vorüberrauſchte. Damals vor fünfzig Jahren war ſie die Schönſte der ganzen Inneren Rhoden; des Franz-Antoni's Mareieli mußte bei allen Tanzſpinnenen und winterlichen Abendverſammlungen ſein, die es weit umher gab, — ſie war die Zierde jeder Alpſtubete und der Urnäſcher Chilbi, des leidenſchaftlich-fröhlichſten Hirtenfeſtes im ganzen Appenzeller Lande. Im Kranze der ſingenden Mädchen war ſie Tonangeberin; ihre helle, glockenreine Stimme jauchzte am Freudigſten hinaus gegen die Bergwände und — als ob das Echo Mareieli bevorzugend zu ſeinem Lieb erkoren hätte, gab es nur ihren „Juchzger“ freudevoll accentuirt, überlaut zurück, während der Widerhall vom Geſang der Uebrigen nur wie Folie klang, von der Mareielis Jubel dia¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0385" n="347"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Sennenleben in den Alpen.</hi><lb/></fw>— ein matter, ſinnebethörender Ambradunſt ſteigt auf; — was iſt<lb/> er gegen den großen Weihrauchduft des Sommermorgens, der die<lb/> hohen, hehren Gebilde der Alpenklippen umwogt? — Jetzt kündet<lb/> des Glöckleins weittönender Schall, fern hinab in des Seealpſee-<lb/> Thals Tiefen es an, daß das Myſterium der „Wandlung“ hoch<lb/> droben an jäher Felſenwand vor ſich gegangen iſt, und der einſame<lb/> Tauner auf Maarwies oder ob der Felſenbaſtei des Alpſiegleten,<lb/> der nicht zum Feſt herüberkommen konnte, weil der Dienſt ihn an<lb/> ſeine Hütte bannt, hört des Glöckleins mahnenden Ruf, ſchlägt an<lb/> die Bruſt und murmelt gewohnheitsgemäß ſeinen Spruch dazu.<lb/> Drunten in der Schwendi ſitzt die Matrone auf den Treppenſteinen,<lb/> vor ihres Tochtermannes Haus, die Roſenkranz-Schnur zwiſchen den<lb/> dürren, zitternden Händen. 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Sennenleben in den Alpen.
— ein matter, ſinnebethörender Ambradunſt ſteigt auf; — was iſt
er gegen den großen Weihrauchduft des Sommermorgens, der die
hohen, hehren Gebilde der Alpenklippen umwogt? — Jetzt kündet
des Glöckleins weittönender Schall, fern hinab in des Seealpſee-
Thals Tiefen es an, daß das Myſterium der „Wandlung“ hoch
droben an jäher Felſenwand vor ſich gegangen iſt, und der einſame
Tauner auf Maarwies oder ob der Felſenbaſtei des Alpſiegleten,
der nicht zum Feſt herüberkommen konnte, weil der Dienſt ihn an
ſeine Hütte bannt, hört des Glöckleins mahnenden Ruf, ſchlägt an
die Bruſt und murmelt gewohnheitsgemäß ſeinen Spruch dazu.
Drunten in der Schwendi ſitzt die Matrone auf den Treppenſteinen,
vor ihres Tochtermannes Haus, die Roſenkranz-Schnur zwiſchen den
dürren, zitternden Händen. Auch ſie hört des Glöckleins Schall
und betet; aber ihre Gedanken weilen nicht im Heiligthume des
ererbten Glaubens. Ihre Erhebung ſchweift wohl hinauf, aber
nicht in die glanzerfüllten Räume des Alls, wo nach ihrer kind¬
lichen Meinung, jenſeit der Wolken, die Gebenedeite auf dem
Strahlenthrone weilt, umgeben von Engelſchaaren: — ihr Sinnen
und geiſtiges Empfinden erhebt ſich nur zur Ebenalp. Sie denkt
des heute zu feiernden Feſtes, wie es in ſeiner ländlichen Pracht
vor ihrer Mädchenzeit freudevoll vorüberrauſchte. Damals vor
fünfzig Jahren war ſie die Schönſte der ganzen Inneren Rhoden;
des Franz-Antoni's Mareieli mußte bei allen Tanzſpinnenen und
winterlichen Abendverſammlungen ſein, die es weit umher gab, —
ſie war die Zierde jeder Alpſtubete und der Urnäſcher Chilbi, des
leidenſchaftlich-fröhlichſten Hirtenfeſtes im ganzen Appenzeller Lande.
Im Kranze der ſingenden Mädchen war ſie Tonangeberin; ihre
helle, glockenreine Stimme jauchzte am Freudigſten hinaus gegen
die Bergwände und — als ob das Echo Mareieli bevorzugend zu
ſeinem Lieb erkoren hätte, gab es nur ihren „Juchzger“ freudevoll
accentuirt, überlaut zurück, während der Widerhall vom Geſang
der Uebrigen nur wie Folie klang, von der Mareielis Jubel dia¬
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