den Kreis ihrer Studien gezogen, daß sich Gesetze aufstellen ließen wie im Bereiche der musikalischen Instrumente und ihrer akustischen Wirkungen.
Die Weise des Alphornes, das seine jungfräuliche Reinheit bewahrte und noch nicht zum konzertirenden Instrumente emporge¬ schraubt wurde, ist eine kleine, fanfarenartige Melodie von wenig Takten und variirt je nach der Laune, Fertigkeit oder "Phantasie" des Bläsers. Immerhin aber ist sie rhythmisch und zwar streng¬ rhythmisch, sogar herb, zerhackt zu nennen. Da das Alphorn nur für die großartigen Raum-Verhältnisse der Gebirgswelt geschaffen ist, so liegt auch sein Zweck nahe und schließt damit jede größere, melodisch ausgeführte Weise fast von selbst aus; das Echo ist sein Ziel. Diese wenigen Takte, mit dem in der Regel etwas länger und kräftiger gehaltenen Schlußton, sind hinreichend, ein prachtvolles "Natur-Konzertstück" mittelst des Echos zu erzeu¬ gen. Die Weise oder die Melodiefigur selbst ist so kurz, daß zwischen ihr und dem Widerhall eine merkliche Pause liegt, so daß das Echo dieselbe unverwischt und ungestört zu uns herübertragen kann. Gewöhnlich wählen die "Alphornkünstler", die sich in der Regel für die unermüdliche Bereitwilligkeit und modulirende Vir¬ tuosität des Echos mit einer Kleinigkeit honoriren lassen, solche Standpunkte, welche eine mehrmalige Repetition des Echos veran¬ lassen. Wie diese widerhallenden Felsenstimmen selber auftreten, ist sehr verschieden. Man hört deren, die drei- bis viermal rück¬ kehrend, immer voller und muthiger anschwellen, also im crescendo sich wiederholen, gleichsam als ob der Ton, an die Granitwände anschlagend, von deren festem, körnigem Wesen gekräftiget, etwas annehme; -- dann wieder, an anderen Orten, jauchzt das erste Echo hell und lebendig in reiner, freudiger Fülle wie ein wahres urchiges Alpenkind, ermattet dann aber von Stufe zu Stufe, und klingt die folgenden Repetitionen in elegisch aushallenden, weit, weit in die Berge hinein verfliegenden Reminiscenzen nach, wie
Das Alphorn.
den Kreis ihrer Studien gezogen, daß ſich Geſetze aufſtellen ließen wie im Bereiche der muſikaliſchen Inſtrumente und ihrer akuſtiſchen Wirkungen.
Die Weiſe des Alphornes, das ſeine jungfräuliche Reinheit bewahrte und noch nicht zum konzertirenden Inſtrumente emporge¬ ſchraubt wurde, iſt eine kleine, fanfarenartige Melodie von wenig Takten und variirt je nach der Laune, Fertigkeit oder „Phantaſie“ des Bläſers. Immerhin aber iſt ſie rhythmiſch und zwar ſtreng¬ rhythmiſch, ſogar herb, zerhackt zu nennen. Da das Alphorn nur für die großartigen Raum-Verhältniſſe der Gebirgswelt geſchaffen iſt, ſo liegt auch ſein Zweck nahe und ſchließt damit jede größere, melodiſch ausgeführte Weiſe faſt von ſelbſt aus; das Echo iſt ſein Ziel. Dieſe wenigen Takte, mit dem in der Regel etwas länger und kräftiger gehaltenen Schlußton, ſind hinreichend, ein prachtvolles „Natur-Konzertſtück“ mittelſt des Echos zu erzeu¬ gen. Die Weiſe oder die Melodiefigur ſelbſt iſt ſo kurz, daß zwiſchen ihr und dem Widerhall eine merkliche Pauſe liegt, ſo daß das Echo dieſelbe unverwiſcht und ungeſtört zu uns herübertragen kann. Gewöhnlich wählen die „Alphornkünſtler“, die ſich in der Regel für die unermüdliche Bereitwilligkeit und modulirende Vir¬ tuoſität des Echos mit einer Kleinigkeit honoriren laſſen, ſolche Standpunkte, welche eine mehrmalige Repetition des Echos veran¬ laſſen. Wie dieſe widerhallenden Felſenſtimmen ſelber auftreten, iſt ſehr verſchieden. Man hört deren, die drei- bis viermal rück¬ kehrend, immer voller und muthiger anſchwellen, alſo im crescendo ſich wiederholen, gleichſam als ob der Ton, an die Granitwände anſchlagend, von deren feſtem, körnigem Weſen gekräftiget, etwas annehme; — dann wieder, an anderen Orten, jauchzt das erſte Echo hell und lebendig in reiner, freudiger Fülle wie ein wahres urchiges Alpenkind, ermattet dann aber von Stufe zu Stufe, und klingt die folgenden Repetitionen in elegiſch aushallenden, weit, weit in die Berge hinein verfliegenden Reminiscenzen nach, wie
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Das Alphorn.
den Kreis ihrer Studien gezogen, daß ſich Geſetze aufſtellen ließen
wie im Bereiche der muſikaliſchen Inſtrumente und ihrer akuſtiſchen
Wirkungen.
Die Weiſe des Alphornes, das ſeine jungfräuliche Reinheit
bewahrte und noch nicht zum konzertirenden Inſtrumente emporge¬
ſchraubt wurde, iſt eine kleine, fanfarenartige Melodie von wenig
Takten und variirt je nach der Laune, Fertigkeit oder „Phantaſie“
des Bläſers. Immerhin aber iſt ſie rhythmiſch und zwar ſtreng¬
rhythmiſch, ſogar herb, zerhackt zu nennen. Da das Alphorn nur
für die großartigen Raum-Verhältniſſe der Gebirgswelt geſchaffen
iſt, ſo liegt auch ſein Zweck nahe und ſchließt damit jede größere,
melodiſch ausgeführte Weiſe faſt von ſelbſt aus; das Echo iſt
ſein Ziel. Dieſe wenigen Takte, mit dem in der Regel etwas
länger und kräftiger gehaltenen Schlußton, ſind hinreichend, ein
prachtvolles „Natur-Konzertſtück“ mittelſt des Echos zu erzeu¬
gen. Die Weiſe oder die Melodiefigur ſelbſt iſt ſo kurz, daß
zwiſchen ihr und dem Widerhall eine merkliche Pauſe liegt, ſo daß
das Echo dieſelbe unverwiſcht und ungeſtört zu uns herübertragen
kann. Gewöhnlich wählen die „Alphornkünſtler“, die ſich in der
Regel für die unermüdliche Bereitwilligkeit und modulirende Vir¬
tuoſität des Echos mit einer Kleinigkeit honoriren laſſen, ſolche
Standpunkte, welche eine mehrmalige Repetition des Echos veran¬
laſſen. Wie dieſe widerhallenden Felſenſtimmen ſelber auftreten,
iſt ſehr verſchieden. Man hört deren, die drei- bis viermal rück¬
kehrend, immer voller und muthiger anſchwellen, alſo im crescendo
ſich wiederholen, gleichſam als ob der Ton, an die Granitwände
anſchlagend, von deren feſtem, körnigem Weſen gekräftiget, etwas
annehme; — dann wieder, an anderen Orten, jauchzt das erſte
Echo hell und lebendig in reiner, freudiger Fülle wie ein wahres
urchiges Alpenkind, ermattet dann aber von Stufe zu Stufe, und
klingt die folgenden Repetitionen in elegiſch aushallenden, weit,
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/394>, abgerufen am 22.11.2024.
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