Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Geißbub. Stricken anzubinden, als Heiland aufzurichten und dann seineHerde davor zu treiben, mit der er Kirche halten wollte. Dieser Frevel wurde aber augenblicklich bestraft. Ein furchtbares Ge¬ witter zog herauf, jagte mit schrecklichem Donner und Blitz die Herde auseinander und erschlug den Buben sammt dem gekreuzig¬ ten Bock, so daß Aelpler ihn am anderen Tage mit gräßlich ver¬ zogenem Gesicht und über und über schwarz am Körper fanden. Zur Strafe aber für seinen gottlosen Muthwillen müsse er nun Nachts als "wilder Geißler" umgehen. Im Walde bei Adlenbach im Kanton Glarus hört man ihn Abends pfeifen, von wo aus er dann über die Alpen treibt. So meldets der Volksglauben. -- Aber es giebt auch verhexte und verzauberte Ziegen. Corrodi's Hannbischli erzählte auf der Ebenalp wörtlich folgende Geschichte: "Eben im Herbst ist en Roßma (Roßhirt) uf de Siegel ui (auf den Alpsiegel hinauf), ebe daß er e Roß hät müsse suche. So hät er das Roß nit gfunde, 's ist niene gsi (es ist nirgends gewesen), und so ist er in e Stadel ie cho (in einen Stall hineingekommen) ufem Siegel. Chuebode häßts. So sind siebe Motschgäße (un¬ gehörnte Ziegen) drin gsi i dem Stadel. So hät's e ghungeret; so denkt er, er wöll suge (er wolle saugen, d. h. melken), und so wie-n-er wott suge, het's ke Milch ge, het's ke Strich gha (es hat keine Milch gegeben, keinen Strich gehabt); do sät er: "du Oflat du, bisch gad e Bock!" (du Unflath du, bist nur ein Bock). Und so händ die andere Gäße nebet ihm zue glachet. So hei's em gfürcht und so hei er gsät, das seiid Onghür (das seien Ungeheuer), da göng er wieder. Und so lauf er e halb Viertelstond wit abe und d'Gäße seiid em naheglaufe und heiid en all usglachet. Und so ist er halt in Sämtis abi und hät's Roß gfunde und ist mit i's Land usi gfahre (hinaus gefahren), und het's verzellt, wie's em im Chue¬ bode gange sei: es seiid Onghür dobe, es sei nöd ganz richtig, 's hei em grusam gfürcht, er sei glaufe, daß er d'Füß fast ver¬ lore hei." Der Geißbub. Stricken anzubinden, als Heiland aufzurichten und dann ſeineHerde davor zu treiben, mit der er Kirche halten wollte. Dieſer Frevel wurde aber augenblicklich beſtraft. Ein furchtbares Ge¬ witter zog herauf, jagte mit ſchrecklichem Donner und Blitz die Herde auseinander und erſchlug den Buben ſammt dem gekreuzig¬ ten Bock, ſo daß Aelpler ihn am anderen Tage mit gräßlich ver¬ zogenem Geſicht und über und über ſchwarz am Körper fanden. Zur Strafe aber für ſeinen gottloſen Muthwillen müſſe er nun Nachts als „wilder Geißler“ umgehen. Im Walde bei Adlenbach im Kanton Glarus hört man ihn Abends pfeifen, von wo aus er dann über die Alpen treibt. So meldets der Volksglauben. — Aber es giebt auch verhexte und verzauberte Ziegen. Corrodi's Hannbiſchli erzählte auf der Ebenalp wörtlich folgende Geſchichte: „Eben im Herbſt iſt en Roßma (Roßhirt) uf de Siegel ui (auf den Alpſiegel hinauf), ebe daß er e Roß hät müſſe ſuche. So hät er das Roß nit gfunde, 's iſt niene gſi (es iſt nirgends geweſen), und ſo iſt er in e Stadel ie cho (in einen Stall hineingekommen) ufem Siegel. Chuebode häßts. So ſind ſiebe Motſchgäße (un¬ gehörnte Ziegen) drin gſi i dem Stadel. So hät's e ghungeret; ſo denkt er, er wöll ſuge (er wolle ſaugen, d. h. melken), und ſo wie-n-er wott ſuge, het's ke Milch ge, het's ke Strich gha (es hat keine Milch gegeben, keinen Strich gehabt); do ſät er: „du Oflat du, biſch gad e Bock!“ (du Unflath du, biſt nur ein Bock). Und ſo händ die andere Gäße nebet ihm zue glachet. So hei's em gfürcht und ſo hei er gſät, das ſeiid Onghür (das ſeien Ungeheuer), da göng er wieder. Und ſo lauf er e halb Viertelſtond wit abe und d'Gäße ſeiid em naheglaufe und heiid en all usglachet. Und ſo iſt er halt in Sämtis abi und hät's Roß gfunde und iſt mit i's Land uſi gfahre (hinaus gefahren), und het's verzellt, wie's em im Chue¬ bode gange ſei: es ſeiid Onghür dobe, es ſei nöd ganz richtig, 's hei em gruſam gfürcht, er ſei glaufe, daß er d'Füß faſt ver¬ lore hei.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0410" n="370"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Geißbub</hi>.<lb/></fw> Stricken anzubinden, als Heiland aufzurichten und dann ſeine<lb/> Herde davor zu treiben, mit der er Kirche halten wollte. Dieſer<lb/> Frevel wurde aber augenblicklich beſtraft. Ein furchtbares Ge¬<lb/> witter zog herauf, jagte mit ſchrecklichem Donner und Blitz die<lb/> Herde auseinander und erſchlug den Buben ſammt dem gekreuzig¬<lb/> ten Bock, ſo daß Aelpler ihn am anderen Tage mit gräßlich ver¬<lb/> zogenem Geſicht und über und über ſchwarz am Körper fanden.<lb/> Zur Strafe aber für ſeinen gottloſen Muthwillen müſſe er nun<lb/> Nachts als „wilder Geißler“ umgehen. Im Walde bei Adlenbach<lb/> im Kanton Glarus hört man ihn Abends pfeifen, von wo aus er<lb/> dann über die Alpen treibt. So meldets der Volksglauben. —<lb/> Aber es giebt auch verhexte und verzauberte Ziegen. Corrodi's<lb/> Hannbiſchli erzählte auf der Ebenalp wörtlich folgende Geſchichte:<lb/> „Eben im Herbſt iſt en Roßma (Roßhirt) uf de Siegel ui (auf<lb/> den Alpſiegel hinauf), ebe daß er e Roß hät müſſe ſuche. So hät<lb/> er das Roß nit gfunde, 's iſt niene gſi (es iſt nirgends geweſen),<lb/> und ſo iſt er in e Stadel ie cho (in einen Stall hineingekommen)<lb/> ufem Siegel. Chuebode häßts. 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Der Geißbub.
Stricken anzubinden, als Heiland aufzurichten und dann ſeine
Herde davor zu treiben, mit der er Kirche halten wollte. Dieſer
Frevel wurde aber augenblicklich beſtraft. Ein furchtbares Ge¬
witter zog herauf, jagte mit ſchrecklichem Donner und Blitz die
Herde auseinander und erſchlug den Buben ſammt dem gekreuzig¬
ten Bock, ſo daß Aelpler ihn am anderen Tage mit gräßlich ver¬
zogenem Geſicht und über und über ſchwarz am Körper fanden.
Zur Strafe aber für ſeinen gottloſen Muthwillen müſſe er nun
Nachts als „wilder Geißler“ umgehen. Im Walde bei Adlenbach
im Kanton Glarus hört man ihn Abends pfeifen, von wo aus er
dann über die Alpen treibt. So meldets der Volksglauben. —
Aber es giebt auch verhexte und verzauberte Ziegen. Corrodi's
Hannbiſchli erzählte auf der Ebenalp wörtlich folgende Geſchichte:
„Eben im Herbſt iſt en Roßma (Roßhirt) uf de Siegel ui (auf
den Alpſiegel hinauf), ebe daß er e Roß hät müſſe ſuche. So hät
er das Roß nit gfunde, 's iſt niene gſi (es iſt nirgends geweſen),
und ſo iſt er in e Stadel ie cho (in einen Stall hineingekommen)
ufem Siegel. Chuebode häßts. So ſind ſiebe Motſchgäße (un¬
gehörnte Ziegen) drin gſi i dem Stadel. So hät's e ghungeret;
ſo denkt er, er wöll ſuge (er wolle ſaugen, d. h. melken), und ſo
wie-n-er wott ſuge, het's ke Milch ge, het's ke Strich gha (es hat
keine Milch gegeben, keinen Strich gehabt); do ſät er: „du Oflat
du, biſch gad e Bock!“ (du Unflath du, biſt nur ein Bock). Und ſo
händ die andere Gäße nebet ihm zue glachet. So hei's em gfürcht
und ſo hei er gſät, das ſeiid Onghür (das ſeien Ungeheuer), da
göng er wieder. Und ſo lauf er e halb Viertelſtond wit abe und
d'Gäße ſeiid em naheglaufe und heiid en all usglachet. Und ſo iſt er
halt in Sämtis abi und hät's Roß gfunde und iſt mit i's Land uſi
gfahre (hinaus gefahren), und het's verzellt, wie's em im Chue¬
bode gange ſei: es ſeiid Onghür dobe, es ſei nöd ganz richtig,
's hei em gruſam gfürcht, er ſei glaufe, daß er d'Füß faſt ver¬
lore hei.“
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