Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Wildheuer. und Rudolph der Harras sie darauf fragt:"Wer seid Ihr? Wer ist Euer Mann? da antwortet sie mit zitternder Stimme: "Ein armer Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge, "Der überm Abgrund weg das freie Gras "Abmähet von den schroffen Felsenwänden, "Wohin das Vieh sich nicht getraut zu steigen." -- und der stolze Ritter, wohl wissend, welch trauriges Loos dieser Erwerb ist, bittet nun selbst für den Mann: "Bei Gott! ein elend und erbärmlich Leben! "Ich bitt' Euch, gebt ihn los, den armen Mann! "Was er auch Schweres mag verschuldet haben, "Strafe genug ist sein entsetzlich Handwerk." Ja, wahrlich, es ist ein armselig Leben, ein mühesam Tagewerk, Hierher, wo höchstens der Wagesprung der schwindelfreien Der Wildheuer. und Rudolph der Harras ſie darauf fragt:„Wer ſeid Ihr? Wer iſt Euer Mann? da antwortet ſie mit zitternder Stimme: „Ein armer Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge, „Der überm Abgrund weg das freie Gras „Abmähet von den ſchroffen Felſenwänden, „Wohin das Vieh ſich nicht getraut zu ſteigen.“ — und der ſtolze Ritter, wohl wiſſend, welch trauriges Loos dieſer Erwerb iſt, bittet nun ſelbſt für den Mann: „Bei Gott! ein elend und erbärmlich Leben! „Ich bitt' Euch, gebt ihn los, den armen Mann! „Was er auch Schweres mag verſchuldet haben, „Strafe genug iſt ſein entſetzlich Handwerk.“ Ja, wahrlich, es iſt ein armſelig Leben, ein müheſam Tagewerk, Hierher, wo höchſtens der Wageſprung der ſchwindelfreien <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0416" n="374"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Wildheuer</hi>.<lb/></fw> und Rudolph der Harras ſie darauf fragt:<lb/><hi rendition="#et">„Wer ſeid Ihr? Wer iſt Euer Mann?</hi><lb/> da antwortet ſie mit zitternder Stimme:<lb/><hi rendition="#et">„Ein armer Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge,<lb/> „Der überm Abgrund weg das freie Gras<lb/> „Abmähet von den ſchroffen Felſenwänden,<lb/> „Wohin das Vieh ſich nicht getraut zu ſteigen.“ —</hi><lb/> und der ſtolze Ritter, wohl wiſſend, welch trauriges Loos dieſer<lb/> Erwerb iſt, bittet nun ſelbſt für den Mann:<lb/><hi rendition="#et">„Bei Gott! ein elend und erbärmlich Leben!<lb/> „Ich bitt' Euch, gebt ihn los, den armen Mann!<lb/> „Was er auch Schweres mag verſchuldet haben,<lb/> „Strafe genug iſt ſein entſetzlich Handwerk.“</hi></p><lb/> <p>Ja, wahrlich, es iſt ein armſelig Leben, ein müheſam Tagewerk,<lb/> voller Entbehrungen, gegen Wind und Wetter kämpfend, ſtets mit<lb/> einem Fuße auf der Gränzlinie zwiſchen Leben und Tod ſchreitend.<lb/> Denn zu Wildheuplätzen werden lediglich jene ſchwer nahbaren<lb/> Grashalden im Hochgebirge, meiſt über der Waldregion gelegen,<lb/> alſo in einer Höhe von 6000 Fuß und darüber, erklärt, die ihrer<lb/> ſteilen Böſchung halber weder mit Schaafen noch Ziegen, viel weni¬<lb/> ger mit ſchwerem Großvieh betrieben werden können, oder zu denen<lb/> der Aufgang für eine Herde völlig unpraktikabel iſt.</p><lb/> <p>Hierher, wo höchſtens der Wageſprung der ſchwindelfreien<lb/> Gemſe noch Boden findet, anklammernd ſich feſtzuhalten, — hier¬<lb/> her wagt der Menſch ſich im Kampfe um ſeine Exiſtenz, hier ſucht<lb/> er Winterfutter für das, ihn und die Seinen ernährende Stall¬<lb/> thier; — und wenn das Bibelwort Moſis dem Arbeiter ſein hartes<lb/> Loos prophezeit: „Im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein<lb/> Brod eſſen“, — ſo muß man beim Wildheuer hinzufügen: „als<lb/> Lohn deines Arbeitsmuthes und deiner Todesverachtung, darfſt du<lb/> deine Milch trinken.“ Denn es giebt Wildheuplätze, wo der er¬<lb/> werbungsluſtige Wagehals den ganzen Tag über die Fußeiſen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [374/0416]
Der Wildheuer.
und Rudolph der Harras ſie darauf fragt:
„Wer ſeid Ihr? Wer iſt Euer Mann?
da antwortet ſie mit zitternder Stimme:
„Ein armer Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge,
„Der überm Abgrund weg das freie Gras
„Abmähet von den ſchroffen Felſenwänden,
„Wohin das Vieh ſich nicht getraut zu ſteigen.“ —
und der ſtolze Ritter, wohl wiſſend, welch trauriges Loos dieſer
Erwerb iſt, bittet nun ſelbſt für den Mann:
„Bei Gott! ein elend und erbärmlich Leben!
„Ich bitt' Euch, gebt ihn los, den armen Mann!
„Was er auch Schweres mag verſchuldet haben,
„Strafe genug iſt ſein entſetzlich Handwerk.“
Ja, wahrlich, es iſt ein armſelig Leben, ein müheſam Tagewerk,
voller Entbehrungen, gegen Wind und Wetter kämpfend, ſtets mit
einem Fuße auf der Gränzlinie zwiſchen Leben und Tod ſchreitend.
Denn zu Wildheuplätzen werden lediglich jene ſchwer nahbaren
Grashalden im Hochgebirge, meiſt über der Waldregion gelegen,
alſo in einer Höhe von 6000 Fuß und darüber, erklärt, die ihrer
ſteilen Böſchung halber weder mit Schaafen noch Ziegen, viel weni¬
ger mit ſchwerem Großvieh betrieben werden können, oder zu denen
der Aufgang für eine Herde völlig unpraktikabel iſt.
Hierher, wo höchſtens der Wageſprung der ſchwindelfreien
Gemſe noch Boden findet, anklammernd ſich feſtzuhalten, — hier¬
her wagt der Menſch ſich im Kampfe um ſeine Exiſtenz, hier ſucht
er Winterfutter für das, ihn und die Seinen ernährende Stall¬
thier; — und wenn das Bibelwort Moſis dem Arbeiter ſein hartes
Loos prophezeit: „Im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein
Brod eſſen“, — ſo muß man beim Wildheuer hinzufügen: „als
Lohn deines Arbeitsmuthes und deiner Todesverachtung, darfſt du
deine Milch trinken.“ Denn es giebt Wildheuplätze, wo der er¬
werbungsluſtige Wagehals den ganzen Tag über die Fußeiſen
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