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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Wildheuer.
Vorräthe vollende ins Thal hinab zu bringen. Oft aber fehlen
auch diese armseligen Nomaden-Magazine, und vertrauend auf gut
Glück und den Rechtlichkeitssinn seiner Nachbarn, speichert er die
errungene Habe im Freien auf, wo einiger Schutz gegen Sturm
und Unwetter ist. Solche "Heu-Feimen" werden um einge¬
rammte Stangen festgetreten und mit großen Steinen beschwert.
Nicht selten aber ists der Fall, daß, wenn der arme Mann um
Weihnachten sein gewonnenes Futter holen will, die Berghasen
oder anderes hungeriges Wild, seine Vorräthe halb aufgezehrt
haben.

Im Winter, wenn dann Weg und Steg dick eingeschneit sind
und alle Felsenvorsprünge unter der großen allgemeinen weißen
Decke verschwimmen, wenn

Eisblumen starr krystallen an den Scheiben
Wie ein Gehege gen der Sturmnacht Tosen, --
    A. Grün.
dann geht der Wildheuer mit seinem "Hornschlitten" auf dem
Rücken, sobald der "Schnee trägt", d. h. sich fest gesetzt und eine
harte Kruste bekommen hat, hinauf zu seinen Magazinen, ladet
einen derben "Schochen" festgeschnürt auf, stellt sich dann zwischen
die hoch heraufgehenden Kufen an die Stirn seines Fahrzeuges,
und dieses gleitend in Bewegung setzend, jagt er mit Lokomotiven-
Geschwindigkeit über die Abhänge hinab. Auch dieser letzte Theil
der sorgenvollen Arbeit ist noch mit großer Gefahr verbunden, weil
gar häufig, wenn drunten im Thal Alles pickelhart gefroren ist,
in der Höhe weit mildere Lüfte wehen oder gar der warme Föhn
regiert und dann Lauinen losbrechen, die den Mann sammt seinem
Geschirr begraben. Darum bereitet sich der Tyroler, wenn er mit
seinen Gefährten zum "Hatzen oder Heuziehen" in die Berge
geht, auf alle Schicksalsfälle vor, und ein gemeinsames Gebet er¬
öffnet das bedrohliche Tagewerk. Glückt das oft wiederholte Wag¬
stück, kehren Alle wohlerhalten und frischen Sinnes heim, dann wird
das Gelingen durch eine gemeinsame Zeche, das "Hatzermahl" gefeiert.

Der Wildheuer.
Vorräthe vollende ins Thal hinab zu bringen. Oft aber fehlen
auch dieſe armſeligen Nomaden-Magazine, und vertrauend auf gut
Glück und den Rechtlichkeitsſinn ſeiner Nachbarn, ſpeichert er die
errungene Habe im Freien auf, wo einiger Schutz gegen Sturm
und Unwetter iſt. Solche „Heu-Feimen“ werden um einge¬
rammte Stangen feſtgetreten und mit großen Steinen beſchwert.
Nicht ſelten aber iſts der Fall, daß, wenn der arme Mann um
Weihnachten ſein gewonnenes Futter holen will, die Berghaſen
oder anderes hungeriges Wild, ſeine Vorräthe halb aufgezehrt
haben.

Im Winter, wenn dann Weg und Steg dick eingeſchneit ſind
und alle Felſenvorſprünge unter der großen allgemeinen weißen
Decke verſchwimmen, wenn

Eisblumen ſtarr kryſtallen an den Scheiben
Wie ein Gehege gen der Sturmnacht Toſen, —
    A. Grün.
dann geht der Wildheuer mit ſeinem „Hornſchlitten“ auf dem
Rücken, ſobald der „Schnee trägt“, d. h. ſich feſt geſetzt und eine
harte Kruſte bekommen hat, hinauf zu ſeinen Magazinen, ladet
einen derben „Schochen“ feſtgeſchnürt auf, ſtellt ſich dann zwiſchen
die hoch heraufgehenden Kufen an die Stirn ſeines Fahrzeuges,
und dieſes gleitend in Bewegung ſetzend, jagt er mit Lokomotiven-
Geſchwindigkeit über die Abhänge hinab. Auch dieſer letzte Theil
der ſorgenvollen Arbeit iſt noch mit großer Gefahr verbunden, weil
gar häufig, wenn drunten im Thal Alles pickelhart gefroren iſt,
in der Höhe weit mildere Lüfte wehen oder gar der warme Föhn
regiert und dann Lauinen losbrechen, die den Mann ſammt ſeinem
Geſchirr begraben. Darum bereitet ſich der Tyroler, wenn er mit
ſeinen Gefährten zum „Hatzen oder Heuziehen“ in die Berge
geht, auf alle Schickſalsfälle vor, und ein gemeinſames Gebet er¬
öffnet das bedrohliche Tagewerk. Glückt das oft wiederholte Wag¬
ſtück, kehren Alle wohlerhalten und friſchen Sinnes heim, dann wird
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[382/0424] Der Wildheuer. Vorräthe vollende ins Thal hinab zu bringen. Oft aber fehlen auch dieſe armſeligen Nomaden-Magazine, und vertrauend auf gut Glück und den Rechtlichkeitsſinn ſeiner Nachbarn, ſpeichert er die errungene Habe im Freien auf, wo einiger Schutz gegen Sturm und Unwetter iſt. Solche „Heu-Feimen“ werden um einge¬ rammte Stangen feſtgetreten und mit großen Steinen beſchwert. Nicht ſelten aber iſts der Fall, daß, wenn der arme Mann um Weihnachten ſein gewonnenes Futter holen will, die Berghaſen oder anderes hungeriges Wild, ſeine Vorräthe halb aufgezehrt haben. Im Winter, wenn dann Weg und Steg dick eingeſchneit ſind und alle Felſenvorſprünge unter der großen allgemeinen weißen Decke verſchwimmen, wenn Eisblumen ſtarr kryſtallen an den Scheiben Wie ein Gehege gen der Sturmnacht Toſen, — A. Grün. dann geht der Wildheuer mit ſeinem „Hornſchlitten“ auf dem Rücken, ſobald der „Schnee trägt“, d. h. ſich feſt geſetzt und eine harte Kruſte bekommen hat, hinauf zu ſeinen Magazinen, ladet einen derben „Schochen“ feſtgeſchnürt auf, ſtellt ſich dann zwiſchen die hoch heraufgehenden Kufen an die Stirn ſeines Fahrzeuges, und dieſes gleitend in Bewegung ſetzend, jagt er mit Lokomotiven- Geſchwindigkeit über die Abhänge hinab. Auch dieſer letzte Theil der ſorgenvollen Arbeit iſt noch mit großer Gefahr verbunden, weil gar häufig, wenn drunten im Thal Alles pickelhart gefroren iſt, in der Höhe weit mildere Lüfte wehen oder gar der warme Föhn regiert und dann Lauinen losbrechen, die den Mann ſammt ſeinem Geſchirr begraben. Darum bereitet ſich der Tyroler, wenn er mit ſeinen Gefährten zum „Hatzen oder Heuziehen“ in die Berge geht, auf alle Schickſalsfälle vor, und ein gemeinſames Gebet er¬ öffnet das bedrohliche Tagewerk. Glückt das oft wiederholte Wag¬ ſtück, kehren Alle wohlerhalten und friſchen Sinnes heim, dann wird das Gelingen durch eine gemeinſame Zeche, das „Hatzermahl“ gefeiert.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/424>, abgerufen am 22.11.2024.