Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Alpstubete oder Aelplerfest. noch mit Schnicken und Schnacken aus, lebt und zappelt am gan¬zen Körper, und stampft mit den Füßen metrisch den Takt zu seinen musikalischen Arabesken. Der arme Narr schwitzt über und über, und um bei seiner schweren Arbeit wenigstens einigen Schutz zu haben, so hat er den Baldachin eines großen, rothbaumwollenen Familien-Regenschirmes, an einen langen Stock gebunden, hinter sich aufgerichtet, in dessen leuchtendem Schatten er sein Tagewerk vollbringt. Just so ists dem Volke recht; das ist die Musik, die es sucht Alpſtubete oder Aelplerfeſt. noch mit Schnicken und Schnacken aus, lebt und zappelt am gan¬zen Körper, und ſtampft mit den Füßen metriſch den Takt zu ſeinen muſikaliſchen Arabesken. Der arme Narr ſchwitzt über und über, und um bei ſeiner ſchweren Arbeit wenigſtens einigen Schutz zu haben, ſo hat er den Baldachin eines großen, rothbaumwollenen Familien-Regenſchirmes, an einen langen Stock gebunden, hinter ſich aufgerichtet, in deſſen leuchtendem Schatten er ſein Tagewerk vollbringt. Juſt ſo iſts dem Volke recht; das iſt die Muſik, die es ſucht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0433" n="389"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpſtubete</hi><hi rendition="#fr">oder</hi><hi rendition="#fr #g">Aelplerfeſt</hi>.<lb/></fw> noch mit Schnicken und Schnacken aus, lebt und zappelt am gan¬<lb/> zen Körper, und ſtampft mit den Füßen metriſch den Takt zu ſeinen<lb/> muſikaliſchen Arabesken. Der arme Narr ſchwitzt über und über,<lb/> und um bei ſeiner ſchweren Arbeit wenigſtens einigen Schutz zu<lb/> haben, ſo hat er den Baldachin eines großen, rothbaumwollenen<lb/> Familien-Regenſchirmes, an einen langen Stock gebunden, hinter<lb/> ſich aufgerichtet, in deſſen leuchtendem Schatten er ſein Tagewerk<lb/> vollbringt.</p><lb/> <p>Juſt ſo iſts dem Volke recht; das iſt die Muſik, die es ſucht<lb/> und haben will. Stellt ihm die Virtuoſen einer fürſtlichen Kapelle<lb/> hin; — mit aller ihrer Präciſion und Glockenreinheit im Spiel<lb/> vermögen ſie es nicht, das ſinnenberauſchte Alpenvölklein ſo auf<lb/> dieſer zitternden Höhe der Glückſeligkeit zu erhalten und zu balan¬<lb/> ciren, als der verſchmitzte, diaboliſch-anſpannende Dorfgeiger. —<lb/> Und nun der Reigentanz ſelbſt, der uralte, den heute noch die<lb/> Indianer und wilden Völker bei ihren Feſten tanzen, der große,<lb/> runde Ring von Menſchen-Armen, die zu einer Kette verſchlungen,<lb/> den braunbemooſten Felſenklotz umjauchzen. Was iſt das noch ein<lb/> primitives Springen und Bewegen im Vergleich mit dem äſthetiſch¬<lb/> feenhaften Schweben der Kunſttänze auf unſeren Soireen und<lb/> Bällen! Und dennoch iſt Grazie und Anmuth darin, weil Natür¬<lb/> lichkeit aus jeder Körperwendung ſchaut. Die Buben haben ſich<lb/> bei den Händen gefaßt, und in jeder ſolcher männlichen Armfeſſel<lb/> lehnt, ſich ſicher wiegend, die Sennerin, indem ſie ihre Arme leicht<lb/> und nachläſſig auf die Schultern ihrer beiden Tanznachbarn legt.<lb/> Es liegt eine ſchelmiſche Koketterie in dieſem Geflecht, die unge¬<lb/> meinen Reiz hat und wellenhaft ſchöne Formen darbietet. Da¬<lb/> neben werden Extratouren gegeben. Ein Burſch, dems in den<lb/> Füßen zittert und zuckt, als ob ein galvaniſcher Strom ihn durch¬<lb/> brauſe, hat ſeine Tänzerin mit beiden Händen beim Mieder gefaßt,<lb/> rundwirbelt kreiſelartig auf einem Plätzchen, das eben groß genug<lb/> iſt, um vier menſchlichen Füßen Raum zu gewähren, durchbohrt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [389/0433]
Alpſtubete oder Aelplerfeſt.
noch mit Schnicken und Schnacken aus, lebt und zappelt am gan¬
zen Körper, und ſtampft mit den Füßen metriſch den Takt zu ſeinen
muſikaliſchen Arabesken. Der arme Narr ſchwitzt über und über,
und um bei ſeiner ſchweren Arbeit wenigſtens einigen Schutz zu
haben, ſo hat er den Baldachin eines großen, rothbaumwollenen
Familien-Regenſchirmes, an einen langen Stock gebunden, hinter
ſich aufgerichtet, in deſſen leuchtendem Schatten er ſein Tagewerk
vollbringt.
Juſt ſo iſts dem Volke recht; das iſt die Muſik, die es ſucht
und haben will. Stellt ihm die Virtuoſen einer fürſtlichen Kapelle
hin; — mit aller ihrer Präciſion und Glockenreinheit im Spiel
vermögen ſie es nicht, das ſinnenberauſchte Alpenvölklein ſo auf
dieſer zitternden Höhe der Glückſeligkeit zu erhalten und zu balan¬
ciren, als der verſchmitzte, diaboliſch-anſpannende Dorfgeiger. —
Und nun der Reigentanz ſelbſt, der uralte, den heute noch die
Indianer und wilden Völker bei ihren Feſten tanzen, der große,
runde Ring von Menſchen-Armen, die zu einer Kette verſchlungen,
den braunbemooſten Felſenklotz umjauchzen. Was iſt das noch ein
primitives Springen und Bewegen im Vergleich mit dem äſthetiſch¬
feenhaften Schweben der Kunſttänze auf unſeren Soireen und
Bällen! Und dennoch iſt Grazie und Anmuth darin, weil Natür¬
lichkeit aus jeder Körperwendung ſchaut. Die Buben haben ſich
bei den Händen gefaßt, und in jeder ſolcher männlichen Armfeſſel
lehnt, ſich ſicher wiegend, die Sennerin, indem ſie ihre Arme leicht
und nachläſſig auf die Schultern ihrer beiden Tanznachbarn legt.
Es liegt eine ſchelmiſche Koketterie in dieſem Geflecht, die unge¬
meinen Reiz hat und wellenhaft ſchöne Formen darbietet. Da¬
neben werden Extratouren gegeben. Ein Burſch, dems in den
Füßen zittert und zuckt, als ob ein galvaniſcher Strom ihn durch¬
brauſe, hat ſeine Tänzerin mit beiden Händen beim Mieder gefaßt,
rundwirbelt kreiſelartig auf einem Plätzchen, das eben groß genug
iſt, um vier menſchlichen Füßen Raum zu gewähren, durchbohrt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |