Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Holzschläger und Flößer. Bis hierher hat das Fällen des Baumes, die Gefährlichkeit desStandortes abgerechnet, wenig Eigenthümliches; so ähnlich kommts auch in anderen Wäldern vor. Nun aber kommt die Arbeit der Borratori. Die schweren, festen Walzen würden nur mit außergewöhnlichem Kraft-Aufwande stundenweit bis an den Fluß geschafft werden können, wenn nicht der Scharfsinn ein anderes, viel leichteres Transportmittel erfunden hätte. Dies sind die "Sovenden" oder "Seguenden" d. h. Holzleitungen, die in Kühnheit ihrer Bauart den antiken Wasserleitungen nicht nur oft gleichkommen, sondern dieselben noch übertreffen. Mit vortrefflich ausgebildetem Orientirungs-Sinn, mit richtig taxirendem Augen¬ maß, und mit einem Scharfblick, der manchem Ingenieur zu wün¬ schen wäre, erspähen sie, ohne Hilfe von Kompaß oder Situations¬ plänen, ohne Vermessungstafeln und hypsometrische Angaben, stundenweite, ideale Linien über Abgründe, durch Wälder, an Felsenwänden hin, bald in gerader Flucht, bald in einer Menge von Wendungen, die immer das richtige Fall-Verhältniß einhal¬ tend, endlich im Hauptthale auslaufen. Dabei benutzen sie jeden kleinen sich darbietenden Vortheil; ein einzelner, weit hervorragender Baum, eine überhängende Steinwand, ja sogar die Dächer von Sennhütten müssen ihren Construktionen als Stützpunkte dienen. Diese Strüsone oder Holzrinnen werden ungemein präcis aus je 6 bis 7 glatten Baum-Stämmen gebaut; sie sind 3 bis 5 Fuß breit, muldenförmig, also an den beiden Seiten mit aufstehenden Rändern versehen und müssen immer ein Abdachungsverhältniß von mindestens zehn Procent einhalten. So lange es möglich ist, laufen sie auf festem Boden, über den Rücken der Berge; wo dann die Richtung dem Borratore nicht mehr konvenirt, verläßt er die sichere Unterlage und hängt seine Bahn an die nackten Gneis- oder Granitwände, gleich wie die Regenrinne unter der Traufe eines Daches schwebt, und wo auch dies nicht mehr thunlich ist, da spannt er in verwegenem Wurfe sein Geleise, thurmhoch durch die 26*
Holzſchläger und Flößer. Bis hierher hat das Fällen des Baumes, die Gefährlichkeit desStandortes abgerechnet, wenig Eigenthümliches; ſo ähnlich kommts auch in anderen Wäldern vor. Nun aber kommt die Arbeit der Borratori. Die ſchweren, feſten Walzen würden nur mit außergewöhnlichem Kraft-Aufwande ſtundenweit bis an den Fluß geſchafft werden können, wenn nicht der Scharfſinn ein anderes, viel leichteres Transportmittel erfunden hätte. Dies ſind die „Sovenden“ oder „Seguenden“ d. h. Holzleitungen, die in Kühnheit ihrer Bauart den antiken Waſſerleitungen nicht nur oft gleichkommen, ſondern dieſelben noch übertreffen. Mit vortrefflich ausgebildetem Orientirungs-Sinn, mit richtig taxirendem Augen¬ maß, und mit einem Scharfblick, der manchem Ingenieur zu wün¬ ſchen wäre, erſpähen ſie, ohne Hilfe von Kompaß oder Situations¬ plänen, ohne Vermeſſungstafeln und hypſometriſche Angaben, ſtundenweite, ideale Linien über Abgründe, durch Wälder, an Felſenwänden hin, bald in gerader Flucht, bald in einer Menge von Wendungen, die immer das richtige Fall-Verhältniß einhal¬ tend, endlich im Hauptthale auslaufen. Dabei benutzen ſie jeden kleinen ſich darbietenden Vortheil; ein einzelner, weit hervorragender Baum, eine überhängende Steinwand, ja ſogar die Dächer von Sennhütten müſſen ihren Conſtruktionen als Stützpunkte dienen. Dieſe Strüsone oder Holzrinnen werden ungemein präcis aus je 6 bis 7 glatten Baum-Stämmen gebaut; ſie ſind 3 bis 5 Fuß breit, muldenförmig, alſo an den beiden Seiten mit aufſtehenden Rändern verſehen und müſſen immer ein Abdachungsverhältniß von mindeſtens zehn Procent einhalten. So lange es möglich iſt, laufen ſie auf feſtem Boden, über den Rücken der Berge; wo dann die Richtung dem Borratore nicht mehr konvenirt, verläßt er die ſichere Unterlage und hängt ſeine Bahn an die nackten Gneis- oder Granitwände, gleich wie die Regenrinne unter der Traufe eines Daches ſchwebt, und wo auch dies nicht mehr thunlich iſt, da ſpannt er in verwegenem Wurfe ſein Geleiſe, thurmhoch durch die 26*
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Holzſchläger und Flößer.
Bis hierher hat das Fällen des Baumes, die Gefährlichkeit des
Standortes abgerechnet, wenig Eigenthümliches; ſo ähnlich kommts
auch in anderen Wäldern vor. Nun aber kommt die Arbeit
der Borratori. Die ſchweren, feſten Walzen würden nur mit
außergewöhnlichem Kraft-Aufwande ſtundenweit bis an den Fluß
geſchafft werden können, wenn nicht der Scharfſinn ein anderes,
viel leichteres Transportmittel erfunden hätte. Dies ſind die
„Sovenden“ oder „Seguenden“ d. h. Holzleitungen, die in
Kühnheit ihrer Bauart den antiken Waſſerleitungen nicht nur oft
gleichkommen, ſondern dieſelben noch übertreffen. Mit vortrefflich
ausgebildetem Orientirungs-Sinn, mit richtig taxirendem Augen¬
maß, und mit einem Scharfblick, der manchem Ingenieur zu wün¬
ſchen wäre, erſpähen ſie, ohne Hilfe von Kompaß oder Situations¬
plänen, ohne Vermeſſungstafeln und hypſometriſche Angaben,
ſtundenweite, ideale Linien über Abgründe, durch Wälder, an
Felſenwänden hin, bald in gerader Flucht, bald in einer Menge
von Wendungen, die immer das richtige Fall-Verhältniß einhal¬
tend, endlich im Hauptthale auslaufen. Dabei benutzen ſie jeden
kleinen ſich darbietenden Vortheil; ein einzelner, weit hervorragender
Baum, eine überhängende Steinwand, ja ſogar die Dächer von
Sennhütten müſſen ihren Conſtruktionen als Stützpunkte dienen.
Dieſe Strüsone oder Holzrinnen werden ungemein präcis aus je
6 bis 7 glatten Baum-Stämmen gebaut; ſie ſind 3 bis 5 Fuß
breit, muldenförmig, alſo an den beiden Seiten mit aufſtehenden
Rändern verſehen und müſſen immer ein Abdachungsverhältniß
von mindeſtens zehn Procent einhalten. So lange es möglich iſt,
laufen ſie auf feſtem Boden, über den Rücken der Berge; wo dann
die Richtung dem Borratore nicht mehr konvenirt, verläßt er die
ſichere Unterlage und hängt ſeine Bahn an die nackten Gneis- oder
Granitwände, gleich wie die Regenrinne unter der Traufe eines
Daches ſchwebt, und wo auch dies nicht mehr thunlich iſt, da
ſpannt er in verwegenem Wurfe ſein Geleiſe, thurmhoch durch die
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