Lüfte, von einer Schluchtseite zur anderen, Seitenstücke zu den kühnsten Brückenbauten. Ueberall aber reservirt er sich dabei mög¬ lichst bequeme Zugänge, die freilich mitunter zu Standpunkten führen, auf denen nur der an schwindelnde Tiefen gewöhnte Ge¬ birgsbauer zu arbeiten vermag.
Ist nun dieses ingenieuse, gefährliche und kostspielige Bauwerk hergestellt, das in den östlichen Alpen, in Tyrol und Steyermark "Las" oder "Laaß" genannt wird, so warten die Borratori und ihre Knechte den Winter ab. So wie der erste feste Frost eintritt, eilen sie hinauf zu ihren Holzrinnen, begießen sie fleißig mit Wasser, daß die Klunsen und Spalten sich mit Eis ausfüllen, und die ganze innere Fläche des Leitungskanales mit einer glatten Eis¬ rinde überzogen wird. Oft, wenn der Föhn unvermuthet eintritt, schmilzt über Nacht die ganze, sorgsam-erzeugte Spiegelfläche wieder hinweg, und die Arbeit muß von Neuem wiederholt werden. Ist nun Alles in dieser Weise vorbereitet, so beginnt endlich der Transport. Abgehärtet, den eisigen Winden, den wildesten Wettern trotzend, klimmt er an den steilen Schneehalden empor bis zur Lagerstätte der Blöcke. Der Winter hat sein weißes Flockenkleid darüber geworfen, und nur undeutliche Umrisse verrathen die Tief¬ vergrabenen. Das erste Geschäft ist nun der "portarunt", d. h. das Herbeischaffen des Holzes zur Gleite. Dies geschieht auf ver¬ schiedene Weise. Entweder, wenn der Schnee eine glatte, gefrorene Oberfläche hat, genügt es, die Blöcke in Bewegung zu setzen, die dann über die winterliche Rutschbahn hinabgleiten bis zur Stelle, wo sie auf die "Strüsone" gebracht werden, oder ein Knecht kuppelt deren einige in Form eines Triangels aneinander, setzt sich auf die Spitze, und mit den Füßen steuernd fährt er herab, oder es weiden, wie in den übrigen Alpen beim winterlichen Hernieder¬ schlitten des Heues oder Holzes, kleine Schlitten benutzt. Es muß diese Arbeit des Herbeischaffens an die Bahnlinie meist für den Winter aufgespart werden, weil die Blöcke als schwere, rauhe
HolzſchlägerundFlößer.
Lüfte, von einer Schluchtſeite zur anderen, Seitenſtücke zu den kühnſten Brückenbauten. Ueberall aber reſervirt er ſich dabei mög¬ lichſt bequeme Zugänge, die freilich mitunter zu Standpunkten führen, auf denen nur der an ſchwindelnde Tiefen gewöhnte Ge¬ birgsbauer zu arbeiten vermag.
Iſt nun dieſes ingenieuſe, gefährliche und koſtſpielige Bauwerk hergeſtellt, das in den öſtlichen Alpen, in Tyrol und Steyermark „Las“ oder „Laaß“ genannt wird, ſo warten die Borratori und ihre Knechte den Winter ab. So wie der erſte feſte Froſt eintritt, eilen ſie hinauf zu ihren Holzrinnen, begießen ſie fleißig mit Waſſer, daß die Klunſen und Spalten ſich mit Eis ausfüllen, und die ganze innere Fläche des Leitungskanales mit einer glatten Eis¬ rinde überzogen wird. Oft, wenn der Föhn unvermuthet eintritt, ſchmilzt über Nacht die ganze, ſorgſam-erzeugte Spiegelfläche wieder hinweg, und die Arbeit muß von Neuem wiederholt werden. Iſt nun Alles in dieſer Weiſe vorbereitet, ſo beginnt endlich der Transport. Abgehärtet, den eiſigen Winden, den wildeſten Wettern trotzend, klimmt er an den ſteilen Schneehalden empor bis zur Lagerſtätte der Blöcke. Der Winter hat ſein weißes Flockenkleid darüber geworfen, und nur undeutliche Umriſſe verrathen die Tief¬ vergrabenen. Das erſte Geſchäft iſt nun der „portarùnt“, d. h. das Herbeiſchaffen des Holzes zur Gleite. Dies geſchieht auf ver¬ ſchiedene Weiſe. Entweder, wenn der Schnee eine glatte, gefrorene Oberfläche hat, genügt es, die Blöcke in Bewegung zu ſetzen, die dann über die winterliche Rutſchbahn hinabgleiten bis zur Stelle, wo ſie auf die „Strüsone“ gebracht werden, oder ein Knecht kuppelt deren einige in Form eines Triangels aneinander, ſetzt ſich auf die Spitze, und mit den Füßen ſteuernd fährt er herab, oder es weiden, wie in den übrigen Alpen beim winterlichen Hernieder¬ ſchlitten des Heues oder Holzes, kleine Schlitten benutzt. Es muß dieſe Arbeit des Herbeiſchaffens an die Bahnlinie meiſt für den Winter aufgeſpart werden, weil die Blöcke als ſchwere, rauhe
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Holzſchläger und Flößer.
Lüfte, von einer Schluchtſeite zur anderen, Seitenſtücke zu den
kühnſten Brückenbauten. Ueberall aber reſervirt er ſich dabei mög¬
lichſt bequeme Zugänge, die freilich mitunter zu Standpunkten
führen, auf denen nur der an ſchwindelnde Tiefen gewöhnte Ge¬
birgsbauer zu arbeiten vermag.
Iſt nun dieſes ingenieuſe, gefährliche und koſtſpielige Bauwerk
hergeſtellt, das in den öſtlichen Alpen, in Tyrol und Steyermark
„Las“ oder „Laaß“ genannt wird, ſo warten die Borratori und
ihre Knechte den Winter ab. So wie der erſte feſte Froſt eintritt,
eilen ſie hinauf zu ihren Holzrinnen, begießen ſie fleißig mit
Waſſer, daß die Klunſen und Spalten ſich mit Eis ausfüllen, und
die ganze innere Fläche des Leitungskanales mit einer glatten Eis¬
rinde überzogen wird. Oft, wenn der Föhn unvermuthet eintritt,
ſchmilzt über Nacht die ganze, ſorgſam-erzeugte Spiegelfläche wieder
hinweg, und die Arbeit muß von Neuem wiederholt werden. Iſt
nun Alles in dieſer Weiſe vorbereitet, ſo beginnt endlich der
Transport. Abgehärtet, den eiſigen Winden, den wildeſten Wettern
trotzend, klimmt er an den ſteilen Schneehalden empor bis zur
Lagerſtätte der Blöcke. Der Winter hat ſein weißes Flockenkleid
darüber geworfen, und nur undeutliche Umriſſe verrathen die Tief¬
vergrabenen. Das erſte Geſchäft iſt nun der „portarùnt“, d. h.
das Herbeiſchaffen des Holzes zur Gleite. Dies geſchieht auf ver¬
ſchiedene Weiſe. Entweder, wenn der Schnee eine glatte, gefrorene
Oberfläche hat, genügt es, die Blöcke in Bewegung zu ſetzen, die
dann über die winterliche Rutſchbahn hinabgleiten bis zur Stelle,
wo ſie auf die „Strüsone“ gebracht werden, oder ein Knecht kuppelt
deren einige in Form eines Triangels aneinander, ſetzt ſich auf
die Spitze, und mit den Füßen ſteuernd fährt er herab, oder es
weiden, wie in den übrigen Alpen beim winterlichen Hernieder¬
ſchlitten des Heues oder Holzes, kleine Schlitten benutzt. Es muß
dieſe Arbeit des Herbeiſchaffens an die Bahnlinie meiſt für den
Winter aufgeſpart werden, weil die Blöcke als ſchwere, rauhe
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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