Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Auf der Jagd. Alpenjäger soll ein guter, ausdauernder Berggänger sein. Dennauf flinkem Jagdroß kann man nicht in die Flühenen reiten, wo das Wild haust; der eigene, feste Fuß muß den Alpenschützen hinauf in die zackige Gebirgs-Wildniß zum Waidwerk tragen. Dann ferner soll er vertraut mit den Revieren sein, in denen er sein Glück versuchen will. Er muß die Gebirgs-Stöcke und ihre Sippschaft, die Grate, Joche, Zinken und Kämme, den inneren Zusammenhang der Schluchten und gewundenen Felsengassen kennen, um sich nicht zu versteigen, wie weiland Kaiser Max an der Mar¬ tinswand im Tyrol, oder Rudolph Bläsi von Schwanden, dessen haarsträubendes Jagdabenteuer der Dichter Reithard in seiner be¬ kannten poetischen Erzählung: "Die beiden Gemsjäger" aufbe¬ wahrt hat. Es ist wohl kaum ein rechter Bergschütz, der nicht schon oft in ähnliche Lagen gerieth und nur durch einen Verzweif¬ lungs-Sprung sein Leben rettete. Wie viele schon dabei zu Tode stürzten oder einsam verhungerten, ist nicht zu berechnen. -- Und endlich muß er entbehren können, entbehren Speise und Trank, Ruhe und Wärme. Wer bedenkt, daß die Jagd in den Bergen meist erst aufgeht, wenn die Alpen von den Herden verlassen sind, daß also in den Hütten keine labende, kuhwarme Milch, kein Imbiß Brod zu haben ist, wer bedenkt, daß der Schütze oft vier bis fünf Tage in der Einöde umherschweift, ohne inzwischen zu seiner tief unten im Thale liegenden Wohnung hinabzusteigen, daß er also seine Mahlzeiten knapp eintheilen muß, um mit dem wenigen trock¬ nen Brod und Käse und seinem Fläschchen "Chriesiwasser" (Kirsch¬ geist) auszureichen, -- wer endlich erwägt, daß nicht einmal der rauhe Wildheusack in dürftiger Alphütte ihm eine gegen Kälte und Wetter schützende Lagerstätte bietet, sondern daß der Mann auf hartem Stein, in irgend einer Felsenspalte gar oft zu übernachten gezwungen wird, wenn ihn die Nebel in den Höhen überfallen, und er ohne äußerste Gefahr nicht von der Stelle gehen darf, -- der wird zugestehen, daß ein ungemein an Entbehrungen gewöhnter Auf der Jagd. Alpenjäger ſoll ein guter, ausdauernder Berggänger ſein. Dennauf flinkem Jagdroß kann man nicht in die Flühenen reiten, wo das Wild hauſt; der eigene, feſte Fuß muß den Alpenſchützen hinauf in die zackige Gebirgs-Wildniß zum Waidwerk tragen. Dann ferner ſoll er vertraut mit den Revieren ſein, in denen er ſein Glück verſuchen will. Er muß die Gebirgs-Stöcke und ihre Sippſchaft, die Grate, Joche, Zinken und Kämme, den inneren Zuſammenhang der Schluchten und gewundenen Felſengaſſen kennen, um ſich nicht zu verſteigen, wie weiland Kaiſer Max an der Mar¬ tinswand im Tyrol, oder Rudolph Bläſi von Schwanden, deſſen haarſträubendes Jagdabenteuer der Dichter Reithard in ſeiner be¬ kannten poetiſchen Erzählung: „Die beiden Gemsjäger“ aufbe¬ wahrt hat. Es iſt wohl kaum ein rechter Bergſchütz, der nicht ſchon oft in ähnliche Lagen gerieth und nur durch einen Verzweif¬ lungs-Sprung ſein Leben rettete. Wie viele ſchon dabei zu Tode ſtürzten oder einſam verhungerten, iſt nicht zu berechnen. — Und endlich muß er entbehren können, entbehren Speiſe und Trank, Ruhe und Wärme. Wer bedenkt, daß die Jagd in den Bergen meiſt erſt aufgeht, wenn die Alpen von den Herden verlaſſen ſind, daß alſo in den Hütten keine labende, kuhwarme Milch, kein Imbiß Brod zu haben iſt, wer bedenkt, daß der Schütze oft vier bis fünf Tage in der Einöde umherſchweift, ohne inzwiſchen zu ſeiner tief unten im Thale liegenden Wohnung hinabzuſteigen, daß er alſo ſeine Mahlzeiten knapp eintheilen muß, um mit dem wenigen trock¬ nen Brod und Käſe und ſeinem Fläſchchen „Chrieſiwaſſer“ (Kirſch¬ geiſt) auszureichen, — wer endlich erwägt, daß nicht einmal der rauhe Wildheuſack in dürftiger Alphütte ihm eine gegen Kälte und Wetter ſchützende Lagerſtätte bietet, ſondern daß der Mann auf hartem Stein, in irgend einer Felſenſpalte gar oft zu übernachten gezwungen wird, wenn ihn die Nebel in den Höhen überfallen, und er ohne äußerſte Gefahr nicht von der Stelle gehen darf, — der wird zugeſtehen, daß ein ungemein an Entbehrungen gewöhnter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0459" n="411"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Auf der Jagd</hi>.<lb/></fw>Alpenjäger ſoll ein guter, ausdauernder Berggänger ſein. 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Auf der Jagd.
Alpenjäger ſoll ein guter, ausdauernder Berggänger ſein. Denn
auf flinkem Jagdroß kann man nicht in die Flühenen reiten, wo
das Wild hauſt; der eigene, feſte Fuß muß den Alpenſchützen
hinauf in die zackige Gebirgs-Wildniß zum Waidwerk tragen.
Dann ferner ſoll er vertraut mit den Revieren ſein, in denen er
ſein Glück verſuchen will. Er muß die Gebirgs-Stöcke und ihre
Sippſchaft, die Grate, Joche, Zinken und Kämme, den inneren
Zuſammenhang der Schluchten und gewundenen Felſengaſſen kennen,
um ſich nicht zu verſteigen, wie weiland Kaiſer Max an der Mar¬
tinswand im Tyrol, oder Rudolph Bläſi von Schwanden, deſſen
haarſträubendes Jagdabenteuer der Dichter Reithard in ſeiner be¬
kannten poetiſchen Erzählung: „Die beiden Gemsjäger“ aufbe¬
wahrt hat. Es iſt wohl kaum ein rechter Bergſchütz, der nicht
ſchon oft in ähnliche Lagen gerieth und nur durch einen Verzweif¬
lungs-Sprung ſein Leben rettete. Wie viele ſchon dabei zu Tode
ſtürzten oder einſam verhungerten, iſt nicht zu berechnen. — Und
endlich muß er entbehren können, entbehren Speiſe und Trank,
Ruhe und Wärme. Wer bedenkt, daß die Jagd in den Bergen
meiſt erſt aufgeht, wenn die Alpen von den Herden verlaſſen ſind,
daß alſo in den Hütten keine labende, kuhwarme Milch, kein Imbiß
Brod zu haben iſt, wer bedenkt, daß der Schütze oft vier bis fünf
Tage in der Einöde umherſchweift, ohne inzwiſchen zu ſeiner tief
unten im Thale liegenden Wohnung hinabzuſteigen, daß er alſo
ſeine Mahlzeiten knapp eintheilen muß, um mit dem wenigen trock¬
nen Brod und Käſe und ſeinem Fläſchchen „Chrieſiwaſſer“ (Kirſch¬
geiſt) auszureichen, — wer endlich erwägt, daß nicht einmal der
rauhe Wildheuſack in dürftiger Alphütte ihm eine gegen Kälte und
Wetter ſchützende Lagerſtätte bietet, ſondern daß der Mann auf
hartem Stein, in irgend einer Felſenſpalte gar oft zu übernachten
gezwungen wird, wenn ihn die Nebel in den Höhen überfallen,
und er ohne äußerſte Gefahr nicht von der Stelle gehen darf, —
der wird zugeſtehen, daß ein ungemein an Entbehrungen gewöhnter
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