Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Auf der Jagd. kamen früher an der Stelle an, wo das gemeinschaftliche Schießenbeginnen sollte. Ersterer sieht die Thiere auf sich zukommen, ihm direkt in den Schuß gehen, wartet und wartet und erblickt immer noch nicht den auf dem Rasenband treibenden Jäger. Die Gemsen kommen immer näher; er befürchtet um den Schuß zu kommen, legt fieberhaft aufgeregt an, drückt los und -- aufgeschreckt durch den Knall, kehren die Thiere sofort um und fliehen in jagendster Hast auf dem Rasenbande den Weg zurück, den sie gekommen waren. Just an einer sehr schmalen, abschüssigen Stelle von kaum etwas mehr Breite, als für einen Menschen zum Gehen nöthig ist, da, wo es um eine Felsen-Ecke biegt, stoßen sie in wildester Flucht auf den mühsam emporkletternden Jäger. Ein Begegnen Beider in aufrechter Stellung, auf diesem schwindelnden Felsenbande, hätte unfehlbar zum Sturze des Jägers in eine mehr als hundert Fuß absinkende Klippentiefe führen müssen, da die Gemsen instinkt¬ mäßig, in der Angst der Verzweiflung den Durchpaß zwischen der Felsenwand und dem Jäger gesucht haben würden. Dies erkennt der besonnene Mann, und um sein Leben zu retten, wirft er sich nieder, und läßt das ganze Rudel in flüchtigem Sprunge über sich hinwegbrausen. -- Ein anderer Jäger, im Glarnerlande, in ähn¬ licher Lage an kritischer Stelle, glaubte dennoch durch raschen Ent¬ schluß seine Beute erlegen zu können und kauerte sich sitzend, fest an die Felsenwand gestemmt, nieder und schoß. Die Ladung ging fehl, die Gemse setzte über ihn hinweg, berührte ihn aber im schnellenden, elastischen Sprung mit einem der Hinterläufe an seiner Jacke und riß ihm das oberste Knopfloch aus; ein Hängen¬ bleiben hätte unfehlbar zum zerschmetternden Sturze Beider geführt. Von einem tessiner Gemsenjäger aus dem Val Blegno wird Auf der Jagd. kamen früher an der Stelle an, wo das gemeinſchaftliche Schießenbeginnen ſollte. Erſterer ſieht die Thiere auf ſich zukommen, ihm direkt in den Schuß gehen, wartet und wartet und erblickt immer noch nicht den auf dem Raſenband treibenden Jäger. Die Gemſen kommen immer näher; er befürchtet um den Schuß zu kommen, legt fieberhaft aufgeregt an, drückt los und — aufgeſchreckt durch den Knall, kehren die Thiere ſofort um und fliehen in jagendſter Haſt auf dem Raſenbande den Weg zurück, den ſie gekommen waren. Juſt an einer ſehr ſchmalen, abſchüſſigen Stelle von kaum etwas mehr Breite, als für einen Menſchen zum Gehen nöthig iſt, da, wo es um eine Felſen-Ecke biegt, ſtoßen ſie in wildeſter Flucht auf den mühſam emporkletternden Jäger. Ein Begegnen Beider in aufrechter Stellung, auf dieſem ſchwindelnden Felſenbande, hätte unfehlbar zum Sturze des Jägers in eine mehr als hundert Fuß abſinkende Klippentiefe führen müſſen, da die Gemſen inſtinkt¬ mäßig, in der Angſt der Verzweiflung den Durchpaß zwiſchen der Felſenwand und dem Jäger geſucht haben würden. Dies erkennt der beſonnene Mann, und um ſein Leben zu retten, wirft er ſich nieder, und läßt das ganze Rudel in flüchtigem Sprunge über ſich hinwegbrauſen. — Ein anderer Jäger, im Glarnerlande, in ähn¬ licher Lage an kritiſcher Stelle, glaubte dennoch durch raſchen Ent¬ ſchluß ſeine Beute erlegen zu können und kauerte ſich ſitzend, feſt an die Felſenwand geſtemmt, nieder und ſchoß. Die Ladung ging fehl, die Gemſe ſetzte über ihn hinweg, berührte ihn aber im ſchnellenden, elaſtiſchen Sprung mit einem der Hinterläufe an ſeiner Jacke und riß ihm das oberſte Knopfloch aus; ein Hängen¬ bleiben hätte unfehlbar zum zerſchmetternden Sturze Beider geführt. 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Auf der Jagd.
kamen früher an der Stelle an, wo das gemeinſchaftliche Schießen
beginnen ſollte. Erſterer ſieht die Thiere auf ſich zukommen, ihm
direkt in den Schuß gehen, wartet und wartet und erblickt immer
noch nicht den auf dem Raſenband treibenden Jäger. Die Gemſen
kommen immer näher; er befürchtet um den Schuß zu kommen,
legt fieberhaft aufgeregt an, drückt los und — aufgeſchreckt durch
den Knall, kehren die Thiere ſofort um und fliehen in jagendſter
Haſt auf dem Raſenbande den Weg zurück, den ſie gekommen
waren. Juſt an einer ſehr ſchmalen, abſchüſſigen Stelle von kaum
etwas mehr Breite, als für einen Menſchen zum Gehen nöthig iſt,
da, wo es um eine Felſen-Ecke biegt, ſtoßen ſie in wildeſter Flucht
auf den mühſam emporkletternden Jäger. Ein Begegnen Beider
in aufrechter Stellung, auf dieſem ſchwindelnden Felſenbande, hätte
unfehlbar zum Sturze des Jägers in eine mehr als hundert Fuß
abſinkende Klippentiefe führen müſſen, da die Gemſen inſtinkt¬
mäßig, in der Angſt der Verzweiflung den Durchpaß zwiſchen der
Felſenwand und dem Jäger geſucht haben würden. Dies erkennt
der beſonnene Mann, und um ſein Leben zu retten, wirft er ſich
nieder, und läßt das ganze Rudel in flüchtigem Sprunge über
ſich hinwegbrauſen. — Ein anderer Jäger, im Glarnerlande, in ähn¬
licher Lage an kritiſcher Stelle, glaubte dennoch durch raſchen Ent¬
ſchluß ſeine Beute erlegen zu können und kauerte ſich ſitzend, feſt
an die Felſenwand geſtemmt, nieder und ſchoß. Die Ladung ging
fehl, die Gemſe ſetzte über ihn hinweg, berührte ihn aber im
ſchnellenden, elaſtiſchen Sprung mit einem der Hinterläufe an
ſeiner Jacke und riß ihm das oberſte Knopfloch aus; ein Hängen¬
bleiben hätte unfehlbar zum zerſchmetternden Sturze Beider geführt.
Von einem teſſiner Gemſenjäger aus dem Val Blegno wird
folgende verbürgte Force-Tour erzählt. Ihrer Zwei waren aufs
Treiben ausgegangen. Da kommt der Eine von ihnen zum Schuß,
trifft den Gemsbock gut ins Vorderblatt, der verwundet und blu¬
tend, dennoch fortrennt und dem anderen Jäger in einem Defilé
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