folgte dieselben über ein nur wenige Fuß breites Felsenband (ähn¬ lich dem, wie es unsere Abbildung des Gemsenjagd-Abenteuers zeigt) bis zu einer Höhle, vor welcher der Pfad auslief. Da es schon spät am Tage war, und er nur eine leichte Büchse bei sich trug, so beschloß er den Angriff auf das Thier zu verschieben, und nahm seinen Rückweg mit der größten Vorsicht.
Am andern Morgen, zu rechter Jägerzeit, noch ehe es tagte, ging er, von seinem, damals zwölfjährigen Sohne begleitet, mit der besten Doppelbüchse bewaffnet, vor die Bärenhöhle; auch der Knabe trug eine gleiche Waffe. Nicht lange liegen Beide auf der Lauer, der Alte kniet zuvörderst, der Knabe dicht hinter ihm, als es da drinnen lebendig zu werden beginnt. Bald funkeln zwei Augen, den Kohlen gleich, aus dem Dunkel der Höhle hervor, und der alterfahrene Schütze sendet ihnen die erste, wohlgezielte Kugel entgegen. Sie hat getroffen, denn laut stöhnendes Geheul erschallt aus der Tiefe; zugleich aber auch entwickeln sich die dunkelen Um¬ risse immer mehr, und im nächsten Augenblick kriecht eine gewaltig große Bärenmutter aus der Höhle hervor. So wie Colani des Schusses sicher zu sein glaubt, giebt er die zweite Salve. Sie zerschmettert dem Ungethüm die rechte Vorderpfote, das mit don¬ nerndem Gebrüll zwar niederstürzt, jedoch sofort sich wieder erhebt, vollends hervorkriecht und sich zum Kampfe auf den beiden Hinter¬ beinen emporrichtet, da ihm die vorderen den Dienst versagen. -- "Vater! soll ich schießen?" ruft der über seines Vaters Rücken im Anschlag liegende Knabe, vor Begierde zitternd. Aber der alte Colani verliert nicht einen Augenblick seine entsetzliche Jäger-Ruhe und kalte Besonnenheit. Der nächste Schuß mußte unbedingt dem Thier ein Ende machen, sonst wars um ihn und sein Kind ge¬ schehen. -- "Gieb mir die Büchse!" herrscht er, ohne den Blick von seiner Beute zu verwenden, dem Knaben zu und wechselt, während der Bär nur wenig Schritte von ihm entfernt ist, mit fester Hand die Waffe. So läßt er das hochaufgerichtete Thier in
Auf der Jagd.
folgte dieſelben über ein nur wenige Fuß breites Felſenband (ähn¬ lich dem, wie es unſere Abbildung des Gemſenjagd-Abenteuers zeigt) bis zu einer Höhle, vor welcher der Pfad auslief. Da es ſchon ſpät am Tage war, und er nur eine leichte Büchſe bei ſich trug, ſo beſchloß er den Angriff auf das Thier zu verſchieben, und nahm ſeinen Rückweg mit der größten Vorſicht.
Am andern Morgen, zu rechter Jägerzeit, noch ehe es tagte, ging er, von ſeinem, damals zwölfjährigen Sohne begleitet, mit der beſten Doppelbüchſe bewaffnet, vor die Bärenhöhle; auch der Knabe trug eine gleiche Waffe. Nicht lange liegen Beide auf der Lauer, der Alte kniet zuvörderſt, der Knabe dicht hinter ihm, als es da drinnen lebendig zu werden beginnt. Bald funkeln zwei Augen, den Kohlen gleich, aus dem Dunkel der Höhle hervor, und der alterfahrene Schütze ſendet ihnen die erſte, wohlgezielte Kugel entgegen. Sie hat getroffen, denn laut ſtöhnendes Geheul erſchallt aus der Tiefe; zugleich aber auch entwickeln ſich die dunkelen Um¬ riſſe immer mehr, und im nächſten Augenblick kriecht eine gewaltig große Bärenmutter aus der Höhle hervor. So wie Colani des Schuſſes ſicher zu ſein glaubt, giebt er die zweite Salve. Sie zerſchmettert dem Ungethüm die rechte Vorderpfote, das mit don¬ nerndem Gebrüll zwar niederſtürzt, jedoch ſofort ſich wieder erhebt, vollends hervorkriecht und ſich zum Kampfe auf den beiden Hinter¬ beinen emporrichtet, da ihm die vorderen den Dienſt verſagen. — „Vater! ſoll ich ſchießen?“ ruft der über ſeines Vaters Rücken im Anſchlag liegende Knabe, vor Begierde zitternd. Aber der alte Colani verliert nicht einen Augenblick ſeine entſetzliche Jäger-Ruhe und kalte Beſonnenheit. Der nächſte Schuß mußte unbedingt dem Thier ein Ende machen, ſonſt wars um ihn und ſein Kind ge¬ ſchehen. — „Gieb mir die Büchſe!“ herrſcht er, ohne den Blick von ſeiner Beute zu verwenden, dem Knaben zu und wechſelt, während der Bär nur wenig Schritte von ihm entfernt iſt, mit feſter Hand die Waffe. So läßt er das hochaufgerichtete Thier in
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Auf der Jagd.
folgte dieſelben über ein nur wenige Fuß breites Felſenband (ähn¬
lich dem, wie es unſere Abbildung des Gemſenjagd-Abenteuers
zeigt) bis zu einer Höhle, vor welcher der Pfad auslief. Da es
ſchon ſpät am Tage war, und er nur eine leichte Büchſe bei ſich
trug, ſo beſchloß er den Angriff auf das Thier zu verſchieben, und
nahm ſeinen Rückweg mit der größten Vorſicht.
Am andern Morgen, zu rechter Jägerzeit, noch ehe es tagte,
ging er, von ſeinem, damals zwölfjährigen Sohne begleitet, mit
der beſten Doppelbüchſe bewaffnet, vor die Bärenhöhle; auch der
Knabe trug eine gleiche Waffe. Nicht lange liegen Beide auf der
Lauer, der Alte kniet zuvörderſt, der Knabe dicht hinter ihm, als
es da drinnen lebendig zu werden beginnt. Bald funkeln zwei
Augen, den Kohlen gleich, aus dem Dunkel der Höhle hervor, und
der alterfahrene Schütze ſendet ihnen die erſte, wohlgezielte Kugel
entgegen. Sie hat getroffen, denn laut ſtöhnendes Geheul erſchallt
aus der Tiefe; zugleich aber auch entwickeln ſich die dunkelen Um¬
riſſe immer mehr, und im nächſten Augenblick kriecht eine gewaltig
große Bärenmutter aus der Höhle hervor. So wie Colani des
Schuſſes ſicher zu ſein glaubt, giebt er die zweite Salve. Sie
zerſchmettert dem Ungethüm die rechte Vorderpfote, das mit don¬
nerndem Gebrüll zwar niederſtürzt, jedoch ſofort ſich wieder erhebt,
vollends hervorkriecht und ſich zum Kampfe auf den beiden Hinter¬
beinen emporrichtet, da ihm die vorderen den Dienſt verſagen. —
„Vater! ſoll ich ſchießen?“ ruft der über ſeines Vaters Rücken im
Anſchlag liegende Knabe, vor Begierde zitternd. Aber der alte
Colani verliert nicht einen Augenblick ſeine entſetzliche Jäger-Ruhe
und kalte Beſonnenheit. Der nächſte Schuß mußte unbedingt dem
Thier ein Ende machen, ſonſt wars um ihn und ſein Kind ge¬
ſchehen. — „Gieb mir die Büchſe!“ herrſcht er, ohne den Blick
von ſeiner Beute zu verwenden, dem Knaben zu und wechſelt,
während der Bär nur wenig Schritte von ihm entfernt iſt, mit
feſter Hand die Waffe. So läßt er das hochaufgerichtete Thier in
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/468>, abgerufen am 21.11.2024.
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