Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Auf der Jagd. liert immer noch nicht seine Geistes-Gegenwart und die gewißseltene Kaltblütigkeit; im Springen gelingt es ihm, die Büchse zum dritten Mal zu laden und den dritten Schuß auf seinen Gegner abzufeuern. Ob dieser traf, ist unbestimmt. Zu seinem Entsetzen entdeckt aber der Jäger nun, daß seine Munition zu Ende ist; wahrscheinlich hatte er einen Theil derselben während des springen¬ den Ladens verloren. Das Verfolgungsspiel beginnt gräßlich zu werden. Zwar zeigen sich die Blutverluste des Bären immer mächtiger, aber auch die Wuth desselben steigert sich immer mehr. Noch eine Zeitlang setzt der nun fast die Besinnung verlierende Aelpler das Fluchtspiel um den Felsenkloß fort und glaubt das Thier so zu ermatten, daß ihm zuletzt die Kraft zur weiteren Verfolgung fehle; -- aber vergeblich. Stets fort und fort sieht er sich von dem lautbrüllenden Ungeheuer auf Schritt und Tritt verfolgt, bald un¬ mittelbar dicht hinter sich, bald durch Umkehr ihm entgegenkommend. Die Kniee zittern ihm, der Fuß wird unsicher und strauchelt ein übers andere Mal, -- der Athem geht ihm aus, und in Schweiß gebadet wähnt er jede Sekunde ohnmächtig niederstürzen zu müssen. Da endlich ermattet auch das Raubthier, sein Gebrüll ertönt nur noch stoßweise, und Unterbrechungen im Laufe treten ein. Diesen Umstand benützt der auf den Tod geängstete Jäger und stürmt, mit letztem Aufwand aller seiner Kräfte, dem Thale zu, -- lange Zeit ohne umzuschauen, ob er verfolgt werde oder nicht. Er war gerettet, vermochte aber kaum seine Wohnung zu erreichen. Eine schwere Krankheit warf ihn aufs Siechbett. -- Nachbarn, die am andern Morgen gut bewaffnet an die bezeichnete Stelle gingen, fanden, den Blutspuren folgend, das Thier in ziemlicher Entfer¬ nung vom Schauplatze des entsetzlichen Jagdspieles verendet. Nicht mindere Geistesgegenwart und rettende Entschlossenheit 27*
Auf der Jagd. liert immer noch nicht ſeine Geiſtes-Gegenwart und die gewißſeltene Kaltblütigkeit; im Springen gelingt es ihm, die Büchſe zum dritten Mal zu laden und den dritten Schuß auf ſeinen Gegner abzufeuern. Ob dieſer traf, iſt unbeſtimmt. Zu ſeinem Entſetzen entdeckt aber der Jäger nun, daß ſeine Munition zu Ende iſt; wahrſcheinlich hatte er einen Theil derſelben während des ſpringen¬ den Ladens verloren. Das Verfolgungsſpiel beginnt gräßlich zu werden. Zwar zeigen ſich die Blutverluſte des Bären immer mächtiger, aber auch die Wuth deſſelben ſteigert ſich immer mehr. Noch eine Zeitlang ſetzt der nun faſt die Beſinnung verlierende Aelpler das Fluchtſpiel um den Felſenkloß fort und glaubt das Thier ſo zu ermatten, daß ihm zuletzt die Kraft zur weiteren Verfolgung fehle; — aber vergeblich. Stets fort und fort ſieht er ſich von dem lautbrüllenden Ungeheuer auf Schritt und Tritt verfolgt, bald un¬ mittelbar dicht hinter ſich, bald durch Umkehr ihm entgegenkommend. Die Kniee zittern ihm, der Fuß wird unſicher und ſtrauchelt ein übers andere Mal, — der Athem geht ihm aus, und in Schweiß gebadet wähnt er jede Sekunde ohnmächtig niederſtürzen zu müſſen. Da endlich ermattet auch das Raubthier, ſein Gebrüll ertönt nur noch ſtoßweiſe, und Unterbrechungen im Laufe treten ein. Dieſen Umſtand benützt der auf den Tod geängſtete Jäger und ſtürmt, mit letztem Aufwand aller ſeiner Kräfte, dem Thale zu, — lange Zeit ohne umzuſchauen, ob er verfolgt werde oder nicht. Er war gerettet, vermochte aber kaum ſeine Wohnung zu erreichen. Eine ſchwere Krankheit warf ihn aufs Siechbett. — Nachbarn, die am andern Morgen gut bewaffnet an die bezeichnete Stelle gingen, fanden, den Blutſpuren folgend, das Thier in ziemlicher Entfer¬ nung vom Schauplatze des entſetzlichen Jagdſpieles verendet. Nicht mindere Geiſtesgegenwart und rettende Entſchloſſenheit 27*
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Auf der Jagd.
liert immer noch nicht ſeine Geiſtes-Gegenwart und die gewiß
ſeltene Kaltblütigkeit; im Springen gelingt es ihm, die Büchſe zum
dritten Mal zu laden und den dritten Schuß auf ſeinen Gegner
abzufeuern. Ob dieſer traf, iſt unbeſtimmt. Zu ſeinem Entſetzen
entdeckt aber der Jäger nun, daß ſeine Munition zu Ende iſt;
wahrſcheinlich hatte er einen Theil derſelben während des ſpringen¬
den Ladens verloren. Das Verfolgungsſpiel beginnt gräßlich zu
werden. Zwar zeigen ſich die Blutverluſte des Bären immer
mächtiger, aber auch die Wuth deſſelben ſteigert ſich immer mehr.
Noch eine Zeitlang ſetzt der nun faſt die Beſinnung verlierende
Aelpler das Fluchtſpiel um den Felſenkloß fort und glaubt das Thier
ſo zu ermatten, daß ihm zuletzt die Kraft zur weiteren Verfolgung
fehle; — aber vergeblich. Stets fort und fort ſieht er ſich von dem
lautbrüllenden Ungeheuer auf Schritt und Tritt verfolgt, bald un¬
mittelbar dicht hinter ſich, bald durch Umkehr ihm entgegenkommend.
Die Kniee zittern ihm, der Fuß wird unſicher und ſtrauchelt ein
übers andere Mal, — der Athem geht ihm aus, und in Schweiß
gebadet wähnt er jede Sekunde ohnmächtig niederſtürzen zu müſſen.
Da endlich ermattet auch das Raubthier, ſein Gebrüll ertönt nur
noch ſtoßweiſe, und Unterbrechungen im Laufe treten ein. Dieſen
Umſtand benützt der auf den Tod geängſtete Jäger und ſtürmt,
mit letztem Aufwand aller ſeiner Kräfte, dem Thale zu, — lange
Zeit ohne umzuſchauen, ob er verfolgt werde oder nicht. Er war
gerettet, vermochte aber kaum ſeine Wohnung zu erreichen. Eine
ſchwere Krankheit warf ihn aufs Siechbett. — Nachbarn, die am
andern Morgen gut bewaffnet an die bezeichnete Stelle gingen,
fanden, den Blutſpuren folgend, das Thier in ziemlicher Entfer¬
nung vom Schauplatze des entſetzlichen Jagdſpieles verendet.
Nicht mindere Geiſtesgegenwart und rettende Entſchloſſenheit
entwickelte einſt der als Gemſenjäger hoch berühmte Colani von
Pontreſina im Ober-Engadin. Auf ſeinen Streifzügen entdeckte er
eines Tages die unverkennbaren Fährten eines Bären, und ver¬
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