Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Auf der Jagd.
den Grajischen Alpen bis hinaus nach Steyermark und Krain auf
etwa 500 Stück; doch ist diese Annahme um so unsicherer, als er¬
wiesen ist, daß der Bär in fortwährendem Wandern zwischen dem
Osten und Westen Europas begriffen ist und nur für unbestimmte
Zeit feste Standquartiere bezieht.

Münchhausen ist nicht blos ein Kollege der Jäger des Hügel-
und Flachlandes, er hat auch Niederlassung bei den Alpenjägern
gesucht und gefunden; daher kommts, daß eine Menge der über¬
triebensten Anekdoten von Bärenjagden existiren. Dies schließt
indessen nicht aus, daß es Jagdabenteuer giebt, die zu den wirk¬
lich drastischen gehören.

Eine höchst tragi-komische Bären-Attake trug sich im Sommer
1857 in der Tiefe des Engadiner Val d'Uina zu. Schon mehr¬
fach hatte ein hungeriger Mutz Herden angefallen, die unterm
Griankopfe und an den Abhängen des Piz Cornet weideten, so
daß man Jagd auf ihn machte. Ein Mann von Sins begegnet
in wilder Einöde dem zottigen Gesellen, legt auf ihn an und
brennt ihm eine Kugel auf den Pelz. Der Bär, zu gering ver¬
wundet, um durch den Schuß kampfesunfähig zu werden, wendet
sich zornig gegen den Jäger, der das Gefahrvolle seiner Lage sofort
erkennend, sich hinter einen großen, ringsum freien Felsblock flüch¬
tet. Während der laut brummende Bär hinkend ihn verfolgt,
ladet der Jäger aufs Neue, indem er den Felsen fortwährend um¬
läuft. Da, als die Büchse wieder schußfertig ist, stellt er sich zum
zweiten Mal, und trifft das Thier, abermals jedoch, ohne es tödtlich
verwundet niederzustrecken. Die Wuth des Bären wird dadurch
nur gesteigert, und bald rechts, bald links den Block umgehend,
entsteht nun ein Haschens- und Versteckens- Spiel zwischen dem
fortwährend blutenden Thiere und seinem flüchtenden Verfolger, das
von Augenblick zu Augenblick schrecklicher zu werden beginnt. Denn
weit und breit nur felsige, todte Einöde, -- kein rettender Freund,
kein kampfunterstützender Jagd-Genosse. Der Sinser Bauer ver¬

Auf der Jagd.
den Grajiſchen Alpen bis hinaus nach Steyermark und Krain auf
etwa 500 Stück; doch iſt dieſe Annahme um ſo unſicherer, als er¬
wieſen iſt, daß der Bär in fortwährendem Wandern zwiſchen dem
Oſten und Weſten Europas begriffen iſt und nur für unbeſtimmte
Zeit feſte Standquartiere bezieht.

Münchhauſen iſt nicht blos ein Kollege der Jäger des Hügel-
und Flachlandes, er hat auch Niederlaſſung bei den Alpenjägern
geſucht und gefunden; daher kommts, daß eine Menge der über¬
triebenſten Anekdoten von Bärenjagden exiſtiren. Dies ſchließt
indeſſen nicht aus, daß es Jagdabenteuer giebt, die zu den wirk¬
lich draſtiſchen gehören.

Eine höchſt tragi-komiſche Bären-Attake trug ſich im Sommer
1857 in der Tiefe des Engadiner Val d'Uina zu. Schon mehr¬
fach hatte ein hungeriger Mutz Herden angefallen, die unterm
Griankopfe und an den Abhängen des Piz Cornet weideten, ſo
daß man Jagd auf ihn machte. Ein Mann von Sins begegnet
in wilder Einöde dem zottigen Geſellen, legt auf ihn an und
brennt ihm eine Kugel auf den Pelz. Der Bär, zu gering ver¬
wundet, um durch den Schuß kampfesunfähig zu werden, wendet
ſich zornig gegen den Jäger, der das Gefahrvolle ſeiner Lage ſofort
erkennend, ſich hinter einen großen, ringsum freien Felsblock flüch¬
tet. Während der laut brummende Bär hinkend ihn verfolgt,
ladet der Jäger aufs Neue, indem er den Felſen fortwährend um¬
läuft. Da, als die Büchſe wieder ſchußfertig iſt, ſtellt er ſich zum
zweiten Mal, und trifft das Thier, abermals jedoch, ohne es tödtlich
verwundet niederzuſtrecken. Die Wuth des Bären wird dadurch
nur geſteigert, und bald rechts, bald links den Block umgehend,
entſteht nun ein Haſchens- und Verſteckens- Spiel zwiſchen dem
fortwährend blutenden Thiere und ſeinem flüchtenden Verfolger, das
von Augenblick zu Augenblick ſchrecklicher zu werden beginnt. Denn
weit und breit nur felſige, todte Einöde, — kein rettender Freund,
kein kampfunterſtützender Jagd-Genoſſe. Der Sinſer Bauer ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0466" n="418"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Auf der Jagd</hi>.<lb/></fw> den Graji&#x017F;chen Alpen bis hinaus nach Steyermark und Krain auf<lb/>
etwa 500 Stück; doch i&#x017F;t die&#x017F;e Annahme um &#x017F;o un&#x017F;icherer, als er¬<lb/>
wie&#x017F;en i&#x017F;t, daß der Bär in fortwährendem Wandern zwi&#x017F;chen dem<lb/>
O&#x017F;ten und We&#x017F;ten Europas begriffen i&#x017F;t und nur für unbe&#x017F;timmte<lb/>
Zeit fe&#x017F;te Standquartiere bezieht.</p><lb/>
        <p>Münchhau&#x017F;en i&#x017F;t nicht blos ein Kollege der Jäger des Hügel-<lb/>
und Flachlandes, er hat auch Niederla&#x017F;&#x017F;ung bei den Alpenjägern<lb/>
ge&#x017F;ucht und gefunden; daher kommts, daß eine Menge der über¬<lb/>
trieben&#x017F;ten Anekdoten von Bärenjagden exi&#x017F;tiren. Dies &#x017F;chließt<lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en nicht aus, daß es Jagdabenteuer giebt, die zu den wirk¬<lb/>
lich dra&#x017F;ti&#x017F;chen gehören.</p><lb/>
        <p>Eine höch&#x017F;t tragi-komi&#x017F;che Bären-Attake trug &#x017F;ich im Sommer<lb/>
1857 in der Tiefe des Engadiner Val d'Uina zu. Schon mehr¬<lb/>
fach hatte ein hungeriger Mutz Herden angefallen, die unterm<lb/>
Griankopfe und an den Abhängen des Piz Cornet weideten, &#x017F;o<lb/>
daß man Jagd auf ihn machte. Ein Mann von Sins begegnet<lb/>
in wilder Einöde dem zottigen Ge&#x017F;ellen, legt auf ihn an und<lb/>
brennt ihm eine Kugel auf den Pelz. Der Bär, zu gering ver¬<lb/>
wundet, um durch den Schuß kampfesunfähig zu werden, wendet<lb/>
&#x017F;ich zornig gegen den Jäger, der das Gefahrvolle &#x017F;einer Lage &#x017F;ofort<lb/>
erkennend, &#x017F;ich hinter einen großen, ringsum freien Felsblock flüch¬<lb/>
tet. Während der laut brummende Bär hinkend ihn verfolgt,<lb/>
ladet der Jäger aufs Neue, indem er den Fel&#x017F;en fortwährend um¬<lb/>
läuft. Da, als die Büch&#x017F;e wieder &#x017F;chußfertig i&#x017F;t, &#x017F;tellt er &#x017F;ich zum<lb/>
zweiten Mal, und trifft das Thier, abermals jedoch, ohne es tödtlich<lb/>
verwundet niederzu&#x017F;trecken. Die Wuth des Bären wird dadurch<lb/>
nur ge&#x017F;teigert, und bald rechts, bald links den Block umgehend,<lb/>
ent&#x017F;teht nun ein Ha&#x017F;chens- und Ver&#x017F;teckens- Spiel zwi&#x017F;chen dem<lb/>
fortwährend blutenden Thiere und &#x017F;einem flüchtenden Verfolger, das<lb/>
von Augenblick zu Augenblick &#x017F;chrecklicher zu werden beginnt. Denn<lb/>
weit und breit nur fel&#x017F;ige, todte Einöde, &#x2014; kein rettender Freund,<lb/>
kein kampfunter&#x017F;tützender Jagd-Geno&#x017F;&#x017F;e. Der Sin&#x017F;er Bauer ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[418/0466] Auf der Jagd. den Grajiſchen Alpen bis hinaus nach Steyermark und Krain auf etwa 500 Stück; doch iſt dieſe Annahme um ſo unſicherer, als er¬ wieſen iſt, daß der Bär in fortwährendem Wandern zwiſchen dem Oſten und Weſten Europas begriffen iſt und nur für unbeſtimmte Zeit feſte Standquartiere bezieht. Münchhauſen iſt nicht blos ein Kollege der Jäger des Hügel- und Flachlandes, er hat auch Niederlaſſung bei den Alpenjägern geſucht und gefunden; daher kommts, daß eine Menge der über¬ triebenſten Anekdoten von Bärenjagden exiſtiren. Dies ſchließt indeſſen nicht aus, daß es Jagdabenteuer giebt, die zu den wirk¬ lich draſtiſchen gehören. Eine höchſt tragi-komiſche Bären-Attake trug ſich im Sommer 1857 in der Tiefe des Engadiner Val d'Uina zu. Schon mehr¬ fach hatte ein hungeriger Mutz Herden angefallen, die unterm Griankopfe und an den Abhängen des Piz Cornet weideten, ſo daß man Jagd auf ihn machte. Ein Mann von Sins begegnet in wilder Einöde dem zottigen Geſellen, legt auf ihn an und brennt ihm eine Kugel auf den Pelz. Der Bär, zu gering ver¬ wundet, um durch den Schuß kampfesunfähig zu werden, wendet ſich zornig gegen den Jäger, der das Gefahrvolle ſeiner Lage ſofort erkennend, ſich hinter einen großen, ringsum freien Felsblock flüch¬ tet. Während der laut brummende Bär hinkend ihn verfolgt, ladet der Jäger aufs Neue, indem er den Felſen fortwährend um¬ läuft. Da, als die Büchſe wieder ſchußfertig iſt, ſtellt er ſich zum zweiten Mal, und trifft das Thier, abermals jedoch, ohne es tödtlich verwundet niederzuſtrecken. Die Wuth des Bären wird dadurch nur geſteigert, und bald rechts, bald links den Block umgehend, entſteht nun ein Haſchens- und Verſteckens- Spiel zwiſchen dem fortwährend blutenden Thiere und ſeinem flüchtenden Verfolger, das von Augenblick zu Augenblick ſchrecklicher zu werden beginnt. Denn weit und breit nur felſige, todte Einöde, — kein rettender Freund, kein kampfunterſtützender Jagd-Genoſſe. Der Sinſer Bauer ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/466
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/466>, abgerufen am 14.05.2024.