Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Erratische Blöcke.
zeigen wie das Felsenbett, über welches die Gletscher der Jetztzeit
sich hinweg bewegen. Vermöge des Druckes der ungeheueren Eis¬
last ritzt diese nämlich bei ihrem Fortrutschen über den Gesteins¬
boden mit kleinen, sehr harten, scharfen Quarzkrystallen Linien ein,
die wie mit dem Glaser-Diamant geschnitten aussehen. Geröll-
Blöcke, die von den wilden Alpenströmen heruntergeschwemmt wur¬
den, tragen diese Kennzeichen nicht. Die erratischen Blöcke tragen
somit, in Folge dieser von der Natur ihnen selbst aufgedrückten
Schriftzüge, gleichsam den Reisepaß ihrer zurückgelegten Wander¬
tour bei sich, mit der Visa jeder Thalschaft versehen, durch
welche sie ihre Wege nahmen. -- Das dritte und bedeutendste
Argument für die Annahme, daß die Fündlinge durch Gletscher
transportirt wurden, fand man in den s. g. Rundhöckern
(Roches mutonnees). In den meisten Alpenthälern, deren
himmelanstrebende Wände aus schwer verwitterndem Gestein, aus
granitischen Massen, bestehen, erblickt man nämlich bis in gewisse
Höhen (oft bis zu tausend Fuß über der jetzigen Thalsohle) Ab¬
rundungen, regelmäßige Streifungen und geglättete Partieen, deren
Schliff oft so fein ausgeführt ist, daß er im Sonnenschein spiegel¬
blank glänzt. Beim Niedersteigen vom Todtensee auf der Pa߬
höhe der Grimsel nach dem Hospiz, dann weiter drunten bei der
s. g. Hählen-Platte, -- auf dem Trümmerfeld nächst dem Gott¬
hards-Hospiz, und an hundert anderen Stellen der Schweiz kann
man solche "Rundhöcker" besehen, befühlen und, -- wo sie nicht
mit der schwefelgelben Flechte Lecidea geographica überzogen
sind, deren Politur bewundern. Dieses gleiche Phänomen zeigt
sich uns aber auch unmittelbar neben dem Gletscher, neben einem
Gorner-, Viescher-, Aletsch-, Findelen- und Zinal-Gletscher; wir
können es verfolgen von dem Gestein an, welches unter dem Eis
hervorragt, bis weit hinauf an die Thalwand, -- wir können es
verfolgen in horizontaler Linie, stundenweit thalauswärts, ohne
Unterbrechung, gleichviel ob die Gesteinslagerungen und Gesteins¬

Erratiſche Blöcke.
zeigen wie das Felſenbett, über welches die Gletſcher der Jetztzeit
ſich hinweg bewegen. Vermöge des Druckes der ungeheueren Eis¬
laſt ritzt dieſe nämlich bei ihrem Fortrutſchen über den Geſteins¬
boden mit kleinen, ſehr harten, ſcharfen Quarzkryſtallen Linien ein,
die wie mit dem Glaſer-Diamant geſchnitten ausſehen. Geröll-
Blöcke, die von den wilden Alpenſtrömen heruntergeſchwemmt wur¬
den, tragen dieſe Kennzeichen nicht. Die erratiſchen Blöcke tragen
ſomit, in Folge dieſer von der Natur ihnen ſelbſt aufgedrückten
Schriftzüge, gleichſam den Reiſepaß ihrer zurückgelegten Wander¬
tour bei ſich, mit der Viſa jeder Thalſchaft verſehen, durch
welche ſie ihre Wege nahmen. — Das dritte und bedeutendſte
Argument für die Annahme, daß die Fündlinge durch Gletſcher
transportirt wurden, fand man in den ſ. g. Rundhöckern
(Roches mutonnées). In den meiſten Alpenthälern, deren
himmelanſtrebende Wände aus ſchwer verwitterndem Geſtein, aus
granitiſchen Maſſen, beſtehen, erblickt man nämlich bis in gewiſſe
Höhen (oft bis zu tauſend Fuß über der jetzigen Thalſohle) Ab¬
rundungen, regelmäßige Streifungen und geglättete Partieen, deren
Schliff oft ſo fein ausgeführt iſt, daß er im Sonnenſchein ſpiegel¬
blank glänzt. Beim Niederſteigen vom Todtenſee auf der Pa߬
höhe der Grimſel nach dem Hospiz, dann weiter drunten bei der
ſ. g. Hählen-Platte, — auf dem Trümmerfeld nächſt dem Gott¬
hards-Hospiz, und an hundert anderen Stellen der Schweiz kann
man ſolche „Rundhöcker“ beſehen, befühlen und, — wo ſie nicht
mit der ſchwefelgelben Flechte Lecidea geographica überzogen
ſind, deren Politur bewundern. Dieſes gleiche Phänomen zeigt
ſich uns aber auch unmittelbar neben dem Gletſcher, neben einem
Gorner-, Vieſcher-, Aletſch-, Findelen- und Zinal-Gletſcher; wir
können es verfolgen von dem Geſtein an, welches unter dem Eis
hervorragt, bis weit hinauf an die Thalwand, — wir können es
verfolgen in horizontaler Linie, ſtundenweit thalauswärts, ohne
Unterbrechung, gleichviel ob die Geſteinslagerungen und Geſteins¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="30"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Errati&#x017F;che Blöcke</hi>.<lb/></fw>zeigen wie das Fel&#x017F;enbett, über welches die Glet&#x017F;cher der Jetztzeit<lb/>
&#x017F;ich hinweg bewegen. Vermöge des Druckes der ungeheueren Eis¬<lb/>
la&#x017F;t ritzt die&#x017F;e nämlich bei ihrem Fortrut&#x017F;chen über den Ge&#x017F;teins¬<lb/>
boden mit kleinen, &#x017F;ehr harten, &#x017F;charfen Quarzkry&#x017F;tallen Linien ein,<lb/>
die wie mit dem Gla&#x017F;er-Diamant ge&#x017F;chnitten aus&#x017F;ehen. Geröll-<lb/>
Blöcke, die von den wilden Alpen&#x017F;trömen herunterge&#x017F;chwemmt wur¬<lb/>
den, tragen die&#x017F;e Kennzeichen nicht. Die errati&#x017F;chen Blöcke tragen<lb/>
&#x017F;omit, in Folge die&#x017F;er von der Natur ihnen &#x017F;elb&#x017F;t aufgedrückten<lb/>
Schriftzüge, gleich&#x017F;am den Rei&#x017F;epaß ihrer zurückgelegten Wander¬<lb/>
tour bei &#x017F;ich, mit der Vi&#x017F;a jeder Thal&#x017F;chaft ver&#x017F;ehen, durch<lb/>
welche &#x017F;ie ihre Wege nahmen. &#x2014; Das dritte und bedeutend&#x017F;te<lb/>
Argument für die Annahme, daß die Fündlinge durch Glet&#x017F;cher<lb/>
transportirt wurden, fand man in den &#x017F;. g. <hi rendition="#g">Rundhöckern</hi><lb/>
(<hi rendition="#aq">Roches mutonnées</hi>). In den mei&#x017F;ten Alpenthälern, deren<lb/>
himmelan&#x017F;trebende Wände aus &#x017F;chwer verwitterndem Ge&#x017F;tein, aus<lb/>
graniti&#x017F;chen Ma&#x017F;&#x017F;en, be&#x017F;tehen, erblickt man nämlich bis in gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Höhen (oft bis zu tau&#x017F;end Fuß über der jetzigen Thal&#x017F;ohle) Ab¬<lb/>
rundungen, regelmäßige Streifungen und geglättete Partieen, deren<lb/>
Schliff oft &#x017F;o fein ausgeführt i&#x017F;t, daß er im Sonnen&#x017F;chein &#x017F;piegel¬<lb/>
blank glänzt. Beim Nieder&#x017F;teigen vom Todten&#x017F;ee auf der Pa߬<lb/>
höhe der Grim&#x017F;el nach dem Hospiz, dann weiter drunten bei der<lb/>
&#x017F;. g. Hählen-Platte, &#x2014; auf dem Trümmerfeld näch&#x017F;t dem Gott¬<lb/>
hards-Hospiz, und an hundert anderen Stellen der Schweiz kann<lb/>
man &#x017F;olche &#x201E;Rundhöcker&#x201C; be&#x017F;ehen, befühlen und, &#x2014; wo &#x017F;ie nicht<lb/>
mit der &#x017F;chwefelgelben Flechte <hi rendition="#aq">Lecidea geographica</hi> überzogen<lb/>
&#x017F;ind, deren Politur bewundern. Die&#x017F;es gleiche Phänomen zeigt<lb/>
&#x017F;ich uns aber auch unmittelbar <hi rendition="#g">neben</hi> dem Glet&#x017F;cher, neben einem<lb/>
Gorner-, Vie&#x017F;cher-, Alet&#x017F;ch-, Findelen- und Zinal-Glet&#x017F;cher; wir<lb/>
können es verfolgen von dem Ge&#x017F;tein an, welches unter dem Eis<lb/>
hervorragt, bis weit hinauf an die Thalwand, &#x2014; wir können es<lb/>
verfolgen in horizontaler Linie, &#x017F;tundenweit thalauswärts, ohne<lb/>
Unterbrechung, gleichviel ob die Ge&#x017F;teinslagerungen und Ge&#x017F;teins¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0048] Erratiſche Blöcke. zeigen wie das Felſenbett, über welches die Gletſcher der Jetztzeit ſich hinweg bewegen. Vermöge des Druckes der ungeheueren Eis¬ laſt ritzt dieſe nämlich bei ihrem Fortrutſchen über den Geſteins¬ boden mit kleinen, ſehr harten, ſcharfen Quarzkryſtallen Linien ein, die wie mit dem Glaſer-Diamant geſchnitten ausſehen. Geröll- Blöcke, die von den wilden Alpenſtrömen heruntergeſchwemmt wur¬ den, tragen dieſe Kennzeichen nicht. Die erratiſchen Blöcke tragen ſomit, in Folge dieſer von der Natur ihnen ſelbſt aufgedrückten Schriftzüge, gleichſam den Reiſepaß ihrer zurückgelegten Wander¬ tour bei ſich, mit der Viſa jeder Thalſchaft verſehen, durch welche ſie ihre Wege nahmen. — Das dritte und bedeutendſte Argument für die Annahme, daß die Fündlinge durch Gletſcher transportirt wurden, fand man in den ſ. g. Rundhöckern (Roches mutonnées). In den meiſten Alpenthälern, deren himmelanſtrebende Wände aus ſchwer verwitterndem Geſtein, aus granitiſchen Maſſen, beſtehen, erblickt man nämlich bis in gewiſſe Höhen (oft bis zu tauſend Fuß über der jetzigen Thalſohle) Ab¬ rundungen, regelmäßige Streifungen und geglättete Partieen, deren Schliff oft ſo fein ausgeführt iſt, daß er im Sonnenſchein ſpiegel¬ blank glänzt. Beim Niederſteigen vom Todtenſee auf der Pa߬ höhe der Grimſel nach dem Hospiz, dann weiter drunten bei der ſ. g. Hählen-Platte, — auf dem Trümmerfeld nächſt dem Gott¬ hards-Hospiz, und an hundert anderen Stellen der Schweiz kann man ſolche „Rundhöcker“ beſehen, befühlen und, — wo ſie nicht mit der ſchwefelgelben Flechte Lecidea geographica überzogen ſind, deren Politur bewundern. Dieſes gleiche Phänomen zeigt ſich uns aber auch unmittelbar neben dem Gletſcher, neben einem Gorner-, Vieſcher-, Aletſch-, Findelen- und Zinal-Gletſcher; wir können es verfolgen von dem Geſtein an, welches unter dem Eis hervorragt, bis weit hinauf an die Thalwand, — wir können es verfolgen in horizontaler Linie, ſtundenweit thalauswärts, ohne Unterbrechung, gleichviel ob die Geſteinslagerungen und Geſteins¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/48
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/48>, abgerufen am 21.11.2024.