Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Dorfleben im Gebirge. schaften ein, deren unmittelbare Folge der "Kiltgang" ist. Erherrscht nicht überall, und selbst da, wo er besteht, ist er nach seinen Einwirkungen auf die sittlichen Zustände sehr verschieden. Kiltgang bezeichnet die Erlaubniß, welche ein lediges Mädchen (mit Wissen ihrer Eltern) ihrem Liebhaber giebt, sie Abends besuchen zu dürfen. Bald findet dieses tete-a-tete blos am Fenster statt, so daß der Bursch an einer vor dem Hause aufgebauten Beige Scheit¬ holzes hinaufklettert und so bis tief in die Nacht hinein mit dem Mädchen seiner Wahl sich traulich unterhält, weshalb es der Be¬ wohner in den Bayerischen und Salzburger Alpen "s' Fensterln" nennt, -- oder die Zusammenkunft erfolgt im Kämmerlein der Geliebten und währt oft bis gegen Tages Grauen. In beiden Fallen regalirt das Mädchen den Burschen mit Naschwerk und Wein oder anderen geistigen Getränken. -- Es ist eine uralte Sitte, die schon unendlich viel Unheil gestiftet hat, aber sich schwer¬ lich bannen läßt. Da die Knabenschaft eines Ortes, d. h. die Summe der jungen heirathsfähigen Burschen, es nicht duldet, daß Einer aus einem anderen Orte ihnen ins Gehege komme, beson¬ ders bei den Töchtern reicher Bauern, so hat der Kiltgang schon Mord und Todtschlag herbeigeführt, und leider haben die Kriminal- Gerichte fast alljährlich Prozesse abzuwandeln, die aus dieser alten Volkssitte resultiren. Mit List und Muth, mit Unerschrockenheit und tapferer Gegenwehr muß der Begünstigte, wenn er nicht zur Knabenschaft oder zu den "Nachtbuben" eines Ortes gehört, sich die Braut erkämpfen. Der Aelpler ist eben derb und kühn in Allem, was er thut und unternimmt. Der Festtag der Hochzeit hat nur in wenigen Alpenthälern Dorfleben im Gebirge. ſchaften ein, deren unmittelbare Folge der „Kiltgang“ iſt. Erherrſcht nicht überall, und ſelbſt da, wo er beſteht, iſt er nach ſeinen Einwirkungen auf die ſittlichen Zuſtände ſehr verſchieden. Kiltgang bezeichnet die Erlaubniß, welche ein lediges Mädchen (mit Wiſſen ihrer Eltern) ihrem Liebhaber giebt, ſie Abends beſuchen zu dürfen. Bald findet dieſes tête-a-tête blos am Fenſter ſtatt, ſo daß der Burſch an einer vor dem Hauſe aufgebauten Beige Scheit¬ holzes hinaufklettert und ſo bis tief in die Nacht hinein mit dem Mädchen ſeiner Wahl ſich traulich unterhält, weshalb es der Be¬ wohner in den Bayeriſchen und Salzburger Alpen „s' Fenſterln“ nennt, — oder die Zuſammenkunft erfolgt im Kämmerlein der Geliebten und währt oft bis gegen Tages Grauen. In beiden Fallen regalirt das Mädchen den Burſchen mit Naſchwerk und Wein oder anderen geiſtigen Getränken. — Es iſt eine uralte Sitte, die ſchon unendlich viel Unheil geſtiftet hat, aber ſich ſchwer¬ lich bannen läßt. Da die Knabenſchaft eines Ortes, d. h. die Summe der jungen heirathsfähigen Burſchen, es nicht duldet, daß Einer aus einem anderen Orte ihnen ins Gehege komme, beſon¬ ders bei den Töchtern reicher Bauern, ſo hat der Kiltgang ſchon Mord und Todtſchlag herbeigeführt, und leider haben die Kriminal- Gerichte faſt alljährlich Prozeſſe abzuwandeln, die aus dieſer alten Volksſitte reſultiren. Mit Liſt und Muth, mit Unerſchrockenheit und tapferer Gegenwehr muß der Begünſtigte, wenn er nicht zur Knabenſchaft oder zu den „Nachtbuben“ eines Ortes gehört, ſich die Braut erkämpfen. Der Aelpler iſt eben derb und kühn in Allem, was er thut und unternimmt. 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Dorfleben im Gebirge.
ſchaften ein, deren unmittelbare Folge der „Kiltgang“ iſt. Er
herrſcht nicht überall, und ſelbſt da, wo er beſteht, iſt er nach
ſeinen Einwirkungen auf die ſittlichen Zuſtände ſehr verſchieden.
Kiltgang bezeichnet die Erlaubniß, welche ein lediges Mädchen (mit
Wiſſen ihrer Eltern) ihrem Liebhaber giebt, ſie Abends beſuchen zu
dürfen. Bald findet dieſes tête-a-tête blos am Fenſter ſtatt, ſo
daß der Burſch an einer vor dem Hauſe aufgebauten Beige Scheit¬
holzes hinaufklettert und ſo bis tief in die Nacht hinein mit dem
Mädchen ſeiner Wahl ſich traulich unterhält, weshalb es der Be¬
wohner in den Bayeriſchen und Salzburger Alpen „s' Fenſterln“
nennt, — oder die Zuſammenkunft erfolgt im Kämmerlein der
Geliebten und währt oft bis gegen Tages Grauen. In beiden
Fallen regalirt das Mädchen den Burſchen mit Naſchwerk und
Wein oder anderen geiſtigen Getränken. — Es iſt eine uralte
Sitte, die ſchon unendlich viel Unheil geſtiftet hat, aber ſich ſchwer¬
lich bannen läßt. Da die Knabenſchaft eines Ortes, d. h. die
Summe der jungen heirathsfähigen Burſchen, es nicht duldet, daß
Einer aus einem anderen Orte ihnen ins Gehege komme, beſon¬
ders bei den Töchtern reicher Bauern, ſo hat der Kiltgang ſchon
Mord und Todtſchlag herbeigeführt, und leider haben die Kriminal-
Gerichte faſt alljährlich Prozeſſe abzuwandeln, die aus dieſer alten
Volksſitte reſultiren. Mit Liſt und Muth, mit Unerſchrockenheit
und tapferer Gegenwehr muß der Begünſtigte, wenn er nicht zur
Knabenſchaft oder zu den „Nachtbuben“ eines Ortes gehört, ſich die
Braut erkämpfen. Der Aelpler iſt eben derb und kühn in Allem,
was er thut und unternimmt.
Der Feſttag der Hochzeit hat nur in wenigen Alpenthälern
volksthümlichen, poetiſchen Duft und Reiz behalten, — in den
meiſten Gegenden iſt dieſer minnigſte Lebensmoment zu einem
ziemlich nüchternen, von der Nothwendigkeit und vom Geſetz be¬
dingten ſocialen Akt abgeblaßt, der nur materiell mit Eſſen, Trin¬
ken und Tanzen, ohne alles ſymboliſche Ceremoniell vollzogen
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