Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Dorfleben im Gebirge. drei Nächte dauert; zu diesem bringen die Tanzgäste selbst ihreSpeisen mit und entnehmen bei dem Wirthe blos den Wein. Die Lust am Tanzen (das meist nur an wenigen Tagen im Jahre ge¬ stattet wird) ist so groß beim Alpenvolke, daß die wunderbarsten Erscheinungen dabei vorkommen. So ists im Appenzeller Lande der Brauch, daß nach der s. g. "Trägete", d. h. nachdem das Heu von den Vorbergen herunter in die tiefer liegenden Gaden getragen ist, von dem Besitzer den ledigen Burschen, die sich bei der Trägete betheiligten, in einer Scheunen-Tenne ein Tanz mit einem sehr frugalen Essen als Entschädigung gegeben wird. Da drängt sich denn Alles herzu, an dieser Hilfeleistung sich zu betheiligen, -- nur um einige Stunden ausgelassen tanzen zu können. Auch die Winter-Abende sind lange nicht so still, als man Die winterlichen Abendzusammenkünfte, die Spinneten und Dorfleben im Gebirge. drei Nächte dauert; zu dieſem bringen die Tanzgäſte ſelbſt ihreSpeiſen mit und entnehmen bei dem Wirthe blos den Wein. Die Luſt am Tanzen (das meiſt nur an wenigen Tagen im Jahre ge¬ ſtattet wird) iſt ſo groß beim Alpenvolke, daß die wunderbarſten Erſcheinungen dabei vorkommen. So iſts im Appenzeller Lande der Brauch, daß nach der ſ. g. „Trägete“, d. h. nachdem das Heu von den Vorbergen herunter in die tiefer liegenden Gaden getragen iſt, von dem Beſitzer den ledigen Burſchen, die ſich bei der Trägete betheiligten, in einer Scheunen-Tenne ein Tanz mit einem ſehr frugalen Eſſen als Entſchädigung gegeben wird. Da drängt ſich denn Alles herzu, an dieſer Hilfeleiſtung ſich zu betheiligen, — nur um einige Stunden ausgelaſſen tanzen zu können. Auch die Winter-Abende ſind lange nicht ſo ſtill, als man Die winterlichen Abendzuſammenkünfte, die Spinneten und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0486" n="436"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Dorfleben im Gebirge</hi>.<lb/></fw> drei Nächte dauert; zu dieſem bringen die Tanzgäſte ſelbſt ihre<lb/> Speiſen mit und entnehmen bei dem Wirthe blos den Wein. Die<lb/> Luſt am Tanzen (das meiſt nur an wenigen Tagen im Jahre ge¬<lb/> ſtattet wird) iſt ſo groß beim Alpenvolke, daß die wunderbarſten<lb/> Erſcheinungen dabei vorkommen. So iſts im Appenzeller Lande<lb/> der Brauch, daß nach der ſ. g. „Trägete“, d. h. nachdem das Heu<lb/> von den Vorbergen herunter in die tiefer liegenden Gaden getragen<lb/> iſt, von dem Beſitzer den ledigen Burſchen, die ſich bei der Trägete<lb/> betheiligten, in einer Scheunen-Tenne ein Tanz mit einem ſehr<lb/> frugalen Eſſen als Entſchädigung gegeben wird. Da drängt ſich<lb/> denn Alles herzu, an dieſer Hilfeleiſtung ſich zu betheiligen, —<lb/> nur um einige Stunden ausgelaſſen tanzen zu können.</p><lb/> <p>Auch die Winter-Abende ſind lange nicht ſo ſtill, als man<lb/> bei der zerſtreuten Lage der Häuſer wohl glauben ſollte. Die<lb/> Weiber halten ihre „Spinneten“, bei denen allerlei abenteuerliche<lb/> Geſchichten und abergläubiſcher Hokuspokus erzählt werden; und<lb/> haben ſie dann ihre Phantaſie aufs Aeußerſte erhitzt, dann begeg¬<lb/> nets in katholiſchen Thälern wohl, daß Alle ein gemeinſames Ge¬<lb/> bet, mitunter eine halbe Stunde lang, herzuſagen beginnen, um<lb/> ſich gegen die Einwirkungen böſer Mächte zu ſchirmen und zu pan¬<lb/> zern. Im Urner Mayenthale an der Gotthardsſtraße, das durch<lb/> Lauinenſtürze ſehr bedroht iſt, verſammeln ſich die Nachbarn bei<lb/> ſtürmiſchem Winterwetter in einer der größten Wohnungen, um<lb/> dort zu wachen und gemeinſchaftlich ans Werk gehen zu können, wenn<lb/> ein Alles begrabender Schneefall herniederwettern ſollte. Damit<lb/> aber den guten Leuten die Zeit nicht zu lang werde, durchtanzen<lb/> ſie die Schickſalsnacht beim Klange einer Geige oder Harmonika.<lb/> So ſtumpft Gewohnheit ſelbſt ein Schreckniß ab, an das der<lb/> Fremde nur mit Entſetzen denkt.</p><lb/> <p>Die winterlichen Abendzuſammenkünfte, die Spinneten und<lb/> Stubeten oder das „z' Liecht goh“, an denen junge Leute beiderlei<lb/> Geſchlechtes Theil nehmen, leiten gemeiniglich auch die Dorflieb¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [436/0486]
Dorfleben im Gebirge.
drei Nächte dauert; zu dieſem bringen die Tanzgäſte ſelbſt ihre
Speiſen mit und entnehmen bei dem Wirthe blos den Wein. Die
Luſt am Tanzen (das meiſt nur an wenigen Tagen im Jahre ge¬
ſtattet wird) iſt ſo groß beim Alpenvolke, daß die wunderbarſten
Erſcheinungen dabei vorkommen. So iſts im Appenzeller Lande
der Brauch, daß nach der ſ. g. „Trägete“, d. h. nachdem das Heu
von den Vorbergen herunter in die tiefer liegenden Gaden getragen
iſt, von dem Beſitzer den ledigen Burſchen, die ſich bei der Trägete
betheiligten, in einer Scheunen-Tenne ein Tanz mit einem ſehr
frugalen Eſſen als Entſchädigung gegeben wird. Da drängt ſich
denn Alles herzu, an dieſer Hilfeleiſtung ſich zu betheiligen, —
nur um einige Stunden ausgelaſſen tanzen zu können.
Auch die Winter-Abende ſind lange nicht ſo ſtill, als man
bei der zerſtreuten Lage der Häuſer wohl glauben ſollte. Die
Weiber halten ihre „Spinneten“, bei denen allerlei abenteuerliche
Geſchichten und abergläubiſcher Hokuspokus erzählt werden; und
haben ſie dann ihre Phantaſie aufs Aeußerſte erhitzt, dann begeg¬
nets in katholiſchen Thälern wohl, daß Alle ein gemeinſames Ge¬
bet, mitunter eine halbe Stunde lang, herzuſagen beginnen, um
ſich gegen die Einwirkungen böſer Mächte zu ſchirmen und zu pan¬
zern. Im Urner Mayenthale an der Gotthardsſtraße, das durch
Lauinenſtürze ſehr bedroht iſt, verſammeln ſich die Nachbarn bei
ſtürmiſchem Winterwetter in einer der größten Wohnungen, um
dort zu wachen und gemeinſchaftlich ans Werk gehen zu können, wenn
ein Alles begrabender Schneefall herniederwettern ſollte. Damit
aber den guten Leuten die Zeit nicht zu lang werde, durchtanzen
ſie die Schickſalsnacht beim Klange einer Geige oder Harmonika.
So ſtumpft Gewohnheit ſelbſt ein Schreckniß ab, an das der
Fremde nur mit Entſetzen denkt.
Die winterlichen Abendzuſammenkünfte, die Spinneten und
Stubeten oder das „z' Liecht goh“, an denen junge Leute beiderlei
Geſchlechtes Theil nehmen, leiten gemeiniglich auch die Dorflieb¬
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