Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Dorfleben im Gebirge. rock, oder in hellen, fröhlichen Farben, mit keck-genesteltem, malerischgeformtem Mieder und silbernem Kettlein gehen direkt ins Gottes¬ haus hinein, während die Buab'n und Männer noch draußen stehen bleiben und Revue halten, bis das "ganze Geläute" zu¬ sammen, als letztes Mahnzeichen, ertönt und nun der Orgel mäch¬ tige Stimmen anheben und in den Gassen Alles still und lauschig wird. -- Da ists Sonntag; da ist wirkliche Feier, mehr und er¬ greifender, als in den Städten. -- Und ist die Kirche dann zu Ende, so wandeln die, welche noch jüngst ein liebes Angehöriges der Familie verloren, auf die Gräber und schmücken sie mit frisch gepflückten Alpenrosen, oder zieren die einfachen, schwarzen Kreuze mit einem Immortellen-Kranz und Rosmarin und Nägelein. Die Burschen aber ziehen ins Wirthshaus, um sich zum weiten Heim¬ wege zu stärken, oder es findet Gemeindeversammlung vor der Kirche statt, wo Proklamen der Regierungen, Aufgebote zum Mi¬ litair-Dienst verlesen oder Orts-Beamtete gewählt werden. Der Nachmittag aber vereint die männliche Jugend auf dem Schützen¬ stand; denn die Büchse ist des Aelplers liebste Waffe, mit der er die Freiheit seiner Berge und seines Vaterlandes vertheidigt, wenn es irgend einem fremden Eindringlinge gelüsten sollte, Eroberungs¬ züge dorthin unternehmen zu wollen. Und ist das kleine, stille und bescheidene Leben der Alpen¬ Dorfleben im Gebirge. rock, oder in hellen, fröhlichen Farben, mit keck-geneſteltem, maleriſchgeformtem Mieder und ſilbernem Kettlein gehen direkt ins Gottes¬ haus hinein, während die Buab'n und Männer noch draußen ſtehen bleiben und Revue halten, bis das „ganze Geläute“ zu¬ ſammen, als letztes Mahnzeichen, ertönt und nun der Orgel mäch¬ tige Stimmen anheben und in den Gaſſen Alles ſtill und lauſchig wird. — Da iſts Sonntag; da iſt wirkliche Feier, mehr und er¬ greifender, als in den Städten. — Und iſt die Kirche dann zu Ende, ſo wandeln die, welche noch jüngſt ein liebes Angehöriges der Familie verloren, auf die Gräber und ſchmücken ſie mit friſch gepflückten Alpenroſen, oder zieren die einfachen, ſchwarzen Kreuze mit einem Immortellen-Kranz und Rosmarin und Nägelein. Die Burſchen aber ziehen ins Wirthshaus, um ſich zum weiten Heim¬ wege zu ſtärken, oder es findet Gemeindeverſammlung vor der Kirche ſtatt, wo Proklamen der Regierungen, Aufgebote zum Mi¬ litair-Dienſt verleſen oder Orts-Beamtete gewählt werden. Der Nachmittag aber vereint die männliche Jugend auf dem Schützen¬ ſtand; denn die Büchſe iſt des Aelplers liebſte Waffe, mit der er die Freiheit ſeiner Berge und ſeines Vaterlandes vertheidigt, wenn es irgend einem fremden Eindringlinge gelüſten ſollte, Eroberungs¬ züge dorthin unternehmen zu wollen. Und iſt das kleine, ſtille und beſcheidene Leben der Alpen¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0490" n="440"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Dorfleben im Gebirge</hi>.<lb/></fw>rock, oder in hellen, fröhlichen Farben, mit keck-geneſteltem, maleriſch<lb/> geformtem Mieder und ſilbernem Kettlein gehen direkt ins Gottes¬<lb/> haus hinein, während die Buab'n und Männer noch draußen<lb/> ſtehen bleiben und Revue halten, bis das „ganze Geläute“ zu¬<lb/> ſammen, als letztes Mahnzeichen, ertönt und nun der Orgel mäch¬<lb/> tige Stimmen anheben und in den Gaſſen Alles ſtill und lauſchig<lb/> wird. — Da iſts Sonntag; da iſt wirkliche Feier, mehr und er¬<lb/> greifender, als in den Städten. — Und iſt die Kirche dann zu<lb/> Ende, ſo wandeln die, welche noch jüngſt ein liebes Angehöriges<lb/> der Familie verloren, auf die Gräber und ſchmücken ſie mit friſch<lb/> gepflückten Alpenroſen, oder zieren die einfachen, ſchwarzen Kreuze<lb/> mit einem Immortellen-Kranz und Rosmarin und Nägelein. 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Drunten im<lb/> Lande, wo alle Nachbarn beiſammen wohnen und ihre Häuſer um<lb/> des Dorfes Kirchlein gruppirt haben, da iſt (das landesübliche<lb/> Zeremoniell abgerechnet) das Begräbniß eine Handlung, die ſich<lb/> faſt allenthalben gleicht. Anders in den Alpen, wenn droben,<lb/> ſtundenweit von der gemeinſamen Ruheſtätte, der Erdenbürger zur<lb/> Ewigkeit eingebt. Den Weg. den er allſonntäglich als Lebender<lb/> zum Kirchlein machte, muß jetzt ſein Leichnam im engen Bretter¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [440/0490]
Dorfleben im Gebirge.
rock, oder in hellen, fröhlichen Farben, mit keck-geneſteltem, maleriſch
geformtem Mieder und ſilbernem Kettlein gehen direkt ins Gottes¬
haus hinein, während die Buab'n und Männer noch draußen
ſtehen bleiben und Revue halten, bis das „ganze Geläute“ zu¬
ſammen, als letztes Mahnzeichen, ertönt und nun der Orgel mäch¬
tige Stimmen anheben und in den Gaſſen Alles ſtill und lauſchig
wird. — Da iſts Sonntag; da iſt wirkliche Feier, mehr und er¬
greifender, als in den Städten. — Und iſt die Kirche dann zu
Ende, ſo wandeln die, welche noch jüngſt ein liebes Angehöriges
der Familie verloren, auf die Gräber und ſchmücken ſie mit friſch
gepflückten Alpenroſen, oder zieren die einfachen, ſchwarzen Kreuze
mit einem Immortellen-Kranz und Rosmarin und Nägelein. Die
Burſchen aber ziehen ins Wirthshaus, um ſich zum weiten Heim¬
wege zu ſtärken, oder es findet Gemeindeverſammlung vor der
Kirche ſtatt, wo Proklamen der Regierungen, Aufgebote zum Mi¬
litair-Dienſt verleſen oder Orts-Beamtete gewählt werden. Der
Nachmittag aber vereint die männliche Jugend auf dem Schützen¬
ſtand; denn die Büchſe iſt des Aelplers liebſte Waffe, mit der er
die Freiheit ſeiner Berge und ſeines Vaterlandes vertheidigt, wenn
es irgend einem fremden Eindringlinge gelüſten ſollte, Eroberungs¬
züge dorthin unternehmen zu wollen.
Und iſt das kleine, ſtille und beſcheidene Leben der Alpen¬
einſamkeit durchgelebt, wird der Körper der Erde wieder anvertraut,
von der er kam, dann tritt uns auch in dieſer letzten Feierlichkeit
wieder ein ganz eigenthümlicher Moment entgegen. Drunten im
Lande, wo alle Nachbarn beiſammen wohnen und ihre Häuſer um
des Dorfes Kirchlein gruppirt haben, da iſt (das landesübliche
Zeremoniell abgerechnet) das Begräbniß eine Handlung, die ſich
faſt allenthalben gleicht. Anders in den Alpen, wenn droben,
ſtundenweit von der gemeinſamen Ruheſtätte, der Erdenbürger zur
Ewigkeit eingebt. Den Weg. den er allſonntäglich als Lebender
zum Kirchlein machte, muß jetzt ſein Leichnam im engen Bretter¬
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