Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Bannwald. wesungsstätten der Natur, wo Leben und Zerstörung in materiellerWechselwirkung unmittelbar in einander übergreifen. In düsterer Schwermuth umstehen die zähen, dunkelgrünen Arven und schlanken Lärchenbäume die modernden Leichen ihrer Vorfahren, -- parasitisch, saugt und trinkt der wuchernde Schwamm Lebenskraft und Leibes¬ nahrung aus dem Zellengerippe seines abgestorbenen Stammes. Und endlich gar das Thierleben, das kreischende, flatternde, schreiende, brüllende Thierleben des amerikanischen Waldes gegen die monotone, öde, schaurige Stille des alpinen Gebirgsforstes! Welch grelle Gegensätze! Dort tumultuarischer Lärm zankender Pa¬ pageien, akkompagnirt vom schauerlichen, schrillen Geschrei raufen¬ der, bösartiger Affen, widerliche Figurationen in der ergreifenden Harmonie der Cicaden, die das großartigste Conzert in den bra¬ silianischen Urwäldern aufführen; dazwischen das wimmelnde Leben unzähliger Libellen und metallblanker Fliegen, die wie blitzende Juwelen die Luft durchsummen, das unheimliche Huschen fliehender großer Echsen, das Rascheln ringelnder Vipern und Schlangen und die schauerweckenden heulenden Klagetöne einer Menge unge¬ sehener Thiere aus dem Innern des ungeheuerlichen Pflanzenlaby¬ rinths, -- während der Alpen-Hochwald höchstens vom hohlen, hämmernden Takte der Spechte widertönt, oder aus hoher Luft der pfeifende, gezogene Ruf der Adler und Geier die lautlose Stille unterbricht. Nur bisweilen rafft die todte Natur sich auf und stimmt Donnerakkorde an, wenn die Elemente im Streit liegen, die Waldbäche schäumend austreten und über Felsentrüm¬ mer ihre Sturzwellen peitschen, oder die Lauinen in die Tiefe her¬ niederwettern und der Sturm brausend durch die Wipfel fegt. So arm und finster, so verschlossen und rauh der Alpenurwald Nicht jeder Bannwald ist ein Urwald. Der letzteren giebt es 5*
Der Bannwald. weſungsſtätten der Natur, wo Leben und Zerſtörung in materiellerWechſelwirkung unmittelbar in einander übergreifen. In düſterer Schwermuth umſtehen die zähen, dunkelgrünen Arven und ſchlanken Lärchenbäume die modernden Leichen ihrer Vorfahren, — paraſitiſch, ſaugt und trinkt der wuchernde Schwamm Lebenskraft und Leibes¬ nahrung aus dem Zellengerippe ſeines abgeſtorbenen Stammes. Und endlich gar das Thierleben, das kreiſchende, flatternde, ſchreiende, brüllende Thierleben des amerikaniſchen Waldes gegen die monotone, öde, ſchaurige Stille des alpinen Gebirgsforſtes! Welch grelle Gegenſätze! Dort tumultuariſcher Lärm zankender Pa¬ pageien, akkompagnirt vom ſchauerlichen, ſchrillen Geſchrei raufen¬ der, bösartiger Affen, widerliche Figurationen in der ergreifenden Harmonie der Cicaden, die das großartigſte Conzert in den bra¬ ſilianiſchen Urwäldern aufführen; dazwiſchen das wimmelnde Leben unzähliger Libellen und metallblanker Fliegen, die wie blitzende Juwelen die Luft durchſummen, das unheimliche Huſchen fliehender großer Echſen, das Raſcheln ringelnder Vipern und Schlangen und die ſchauerweckenden heulenden Klagetöne einer Menge unge¬ ſehener Thiere aus dem Innern des ungeheuerlichen Pflanzenlaby¬ rinths, — während der Alpen-Hochwald höchſtens vom hohlen, hämmernden Takte der Spechte widertönt, oder aus hoher Luft der pfeifende, gezogene Ruf der Adler und Geier die lautloſe Stille unterbricht. Nur bisweilen rafft die todte Natur ſich auf und ſtimmt Donnerakkorde an, wenn die Elemente im Streit liegen, die Waldbäche ſchäumend austreten und über Felſentrüm¬ mer ihre Sturzwellen peitſchen, oder die Lauinen in die Tiefe her¬ niederwettern und der Sturm brauſend durch die Wipfel fegt. So arm und finſter, ſo verſchloſſen und rauh der Alpenurwald Nicht jeder Bannwald iſt ein Urwald. Der letzteren giebt es 5*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0089" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Bannwald</hi>.<lb/></fw> weſungsſtätten der Natur, wo Leben und Zerſtörung in materieller<lb/> Wechſelwirkung unmittelbar in einander übergreifen. In düſterer<lb/> Schwermuth umſtehen die zähen, dunkelgrünen Arven und ſchlanken<lb/> Lärchenbäume die modernden Leichen ihrer Vorfahren, — paraſitiſch,<lb/> ſaugt und trinkt der wuchernde Schwamm Lebenskraft und Leibes¬<lb/> nahrung aus dem Zellengerippe ſeines abgeſtorbenen Stammes.<lb/> Und endlich gar das Thierleben, das kreiſchende, flatternde,<lb/> ſchreiende, brüllende Thierleben des amerikaniſchen Waldes gegen<lb/> die monotone, öde, ſchaurige Stille des alpinen Gebirgsforſtes!<lb/> Welch grelle Gegenſätze! Dort tumultuariſcher Lärm zankender Pa¬<lb/> pageien, akkompagnirt vom ſchauerlichen, ſchrillen Geſchrei raufen¬<lb/> der, bösartiger Affen, widerliche Figurationen in der ergreifenden<lb/> Harmonie der Cicaden, die das großartigſte Conzert in den bra¬<lb/> ſilianiſchen Urwäldern aufführen; dazwiſchen das wimmelnde Leben<lb/> unzähliger Libellen und metallblanker Fliegen, die wie blitzende<lb/> Juwelen die Luft durchſummen, das unheimliche Huſchen fliehender<lb/> großer Echſen, das Raſcheln ringelnder Vipern und Schlangen<lb/> und die ſchauerweckenden heulenden Klagetöne einer Menge unge¬<lb/> ſehener Thiere aus dem Innern des ungeheuerlichen Pflanzenlaby¬<lb/> rinths, — während der Alpen-Hochwald höchſtens vom hohlen,<lb/> hämmernden Takte der Spechte widertönt, oder aus hoher Luft<lb/> der pfeifende, gezogene Ruf der Adler und Geier die lautloſe<lb/> Stille unterbricht. Nur bisweilen rafft die todte Natur ſich auf<lb/> und ſtimmt Donnerakkorde an, wenn die Elemente im Streit<lb/> liegen, die Waldbäche ſchäumend austreten und über Felſentrüm¬<lb/> mer ihre Sturzwellen peitſchen, oder die Lauinen in die Tiefe her¬<lb/> niederwettern und der Sturm brauſend durch die Wipfel fegt.</p><lb/> <p>So arm und finſter, ſo verſchloſſen und rauh der Alpenurwald<lb/> ſeinem Milchbruder jenſeit des Weltmeeres nachzuſtehen ſcheint, —<lb/> ſo wunderbar geheimnißvolle Eigenthümlichkeiten und ſeltſame,<lb/> wilde Reize birgt ſeine ſchauerliche Tiefe.</p><lb/> <p>Nicht jeder Bannwald iſt ein Urwald. Der letzteren giebt es<lb/> <fw place="bottom" type="sig">5*<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [67/0089]
Der Bannwald.
weſungsſtätten der Natur, wo Leben und Zerſtörung in materieller
Wechſelwirkung unmittelbar in einander übergreifen. In düſterer
Schwermuth umſtehen die zähen, dunkelgrünen Arven und ſchlanken
Lärchenbäume die modernden Leichen ihrer Vorfahren, — paraſitiſch,
ſaugt und trinkt der wuchernde Schwamm Lebenskraft und Leibes¬
nahrung aus dem Zellengerippe ſeines abgeſtorbenen Stammes.
Und endlich gar das Thierleben, das kreiſchende, flatternde,
ſchreiende, brüllende Thierleben des amerikaniſchen Waldes gegen
die monotone, öde, ſchaurige Stille des alpinen Gebirgsforſtes!
Welch grelle Gegenſätze! Dort tumultuariſcher Lärm zankender Pa¬
pageien, akkompagnirt vom ſchauerlichen, ſchrillen Geſchrei raufen¬
der, bösartiger Affen, widerliche Figurationen in der ergreifenden
Harmonie der Cicaden, die das großartigſte Conzert in den bra¬
ſilianiſchen Urwäldern aufführen; dazwiſchen das wimmelnde Leben
unzähliger Libellen und metallblanker Fliegen, die wie blitzende
Juwelen die Luft durchſummen, das unheimliche Huſchen fliehender
großer Echſen, das Raſcheln ringelnder Vipern und Schlangen
und die ſchauerweckenden heulenden Klagetöne einer Menge unge¬
ſehener Thiere aus dem Innern des ungeheuerlichen Pflanzenlaby¬
rinths, — während der Alpen-Hochwald höchſtens vom hohlen,
hämmernden Takte der Spechte widertönt, oder aus hoher Luft
der pfeifende, gezogene Ruf der Adler und Geier die lautloſe
Stille unterbricht. Nur bisweilen rafft die todte Natur ſich auf
und ſtimmt Donnerakkorde an, wenn die Elemente im Streit
liegen, die Waldbäche ſchäumend austreten und über Felſentrüm¬
mer ihre Sturzwellen peitſchen, oder die Lauinen in die Tiefe her¬
niederwettern und der Sturm brauſend durch die Wipfel fegt.
So arm und finſter, ſo verſchloſſen und rauh der Alpenurwald
ſeinem Milchbruder jenſeit des Weltmeeres nachzuſtehen ſcheint, —
ſo wunderbar geheimnißvolle Eigenthümlichkeiten und ſeltſame,
wilde Reize birgt ſeine ſchauerliche Tiefe.
Nicht jeder Bannwald iſt ein Urwald. Der letzteren giebt es
5*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |