Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Bannwald. schauerig und doch anheimelnd, -- auch ein Schauplatz der unab¬lässig am Gebirgskörper nagenden Zerstörung, aber ganz anderer Art als alle übrigen. Bunte Gruppirungen in ungemeiner For¬ menmannigfaltigkeit von herabgewälzten Granitblöcken, glattge¬ schliffenen Kalksteintafeln und kleineren Geschiebe-Ablagerungen bauen sich im Bachbett auf, -- ornamentale Phantasiespiele der Natur, über welche das krystallene oder leuchtend hellgrüne Wald¬ wasser in Kaskadellen herabplätschert. Die Pygmäen der Pflanzenwelt, die Moose, Flechten und Der Bannwald. ſchauerig und doch anheimelnd, — auch ein Schauplatz der unab¬läſſig am Gebirgskörper nagenden Zerſtörung, aber ganz anderer Art als alle übrigen. Bunte Gruppirungen in ungemeiner For¬ menmannigfaltigkeit von herabgewälzten Granitblöcken, glattge¬ ſchliffenen Kalkſteintafeln und kleineren Geſchiebe-Ablagerungen bauen ſich im Bachbett auf, — ornamentale Phantaſieſpiele der Natur, über welche das kryſtallene oder leuchtend hellgrüne Wald¬ waſſer in Kaskadellen herabplätſchert. Die Pygmäen der Pflanzenwelt, die Mooſe, Flechten und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="77"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Bannwald</hi>.<lb/></fw>ſchauerig und doch anheimelnd, — auch ein Schauplatz der unab¬<lb/> läſſig am Gebirgskörper nagenden Zerſtörung, aber ganz anderer<lb/> Art als alle übrigen. Bunte Gruppirungen in ungemeiner For¬<lb/> menmannigfaltigkeit von herabgewälzten Granitblöcken, glattge¬<lb/> ſchliffenen Kalkſteintafeln und kleineren Geſchiebe-Ablagerungen<lb/> bauen ſich im Bachbett auf, — ornamentale Phantaſieſpiele der<lb/> Natur, über welche das kryſtallene oder leuchtend hellgrüne Wald¬<lb/> waſſer in Kaskadellen herabplätſchert.</p><lb/> <p>Die Pygmäen der Pflanzenwelt, die Mooſe, Flechten und<lb/> Saxifragen haben auch hier, auf den Felſen, ſich wieder ange¬<lb/> ſiedelt. Mit haardünnen Wurzelfingerchen klammern ſie ſich in<lb/> den Geſteinsporen feſt, bohren immer tiefer hinein, durchflechten<lb/> dieſelben aufs Emſigſte und umſchlingen jede kleine Erhabenheit<lb/> ſo innig, daß es oft Mühe koſtet, ſolch einen kleinen Eigenſinn<lb/> von ſeiner Scholle abzulöſen. Die Flechten ſaugen ſich noch viel<lb/> feſter ein, — ſie erſcheinen gleichſam wie aus dem Felſen heraus¬<lb/> gewachſene mineraliſche Blüthen. Alle aber ſind wieder andere<lb/> Arten als jene auf den vermodernden Bäumen vorkommenden.<lb/> Zunächſt iſt es das weitverbreitete <hi rendition="#g">Mohrenmoos</hi> (<hi rendition="#aq">Andreaea<lb/> rupestris</hi>) und das <hi rendition="#g">alpine Steinmoos</hi> (<hi rendition="#aq">A. alpina</hi>), das mit<lb/> ſeinem bronzeſchwarzen und ſchmutziggrünen Raſen die Felſen be¬<lb/> kleidet; — dann das <hi rendition="#g">gezackte Sternmoos</hi> (<hi rendition="#aq">Mnium serra¬<lb/> tum</hi>) mit den purpurroth gefärbten Blatträndern und Rippen und<lb/> das krummgeſpitzte <hi rendition="#g">Perlmoos</hi> (<hi rendition="#aq">Weisia curvirostris</hi>) u. a. m.<lb/> Die zähe Lebenskraft dieſer Felſenpflanzen iſt außerordentlich groß;<lb/> in heißen Sommern, wo die prallende Sonnenhitze die Stein¬<lb/> blöcke in dieſen tiefen eingeſchloſſenen Tobeln aufs Heftigſte er¬<lb/> hitzt, bekommen dieſe Steinmooſe mitunter wochenlang keinen<lb/> Tropfen Waſſer als Nahrung: lediglich an der nächtlichen Kühle<lb/> müſſen ſie neue Lebenskraft ſchöpfen. Dort, wo das Bachwaſſer<lb/> die Wände beſpritzt und immer feucht hält, kommen das <hi rendition="#g">bleiche<lb/> Knotenmoos</hi> (<hi rendition="#aq">Bryum pallens</hi>), ferner <hi rendition="#aq">Angstroemia virens</hi>,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [77/0099]
Der Bannwald.
ſchauerig und doch anheimelnd, — auch ein Schauplatz der unab¬
läſſig am Gebirgskörper nagenden Zerſtörung, aber ganz anderer
Art als alle übrigen. Bunte Gruppirungen in ungemeiner For¬
menmannigfaltigkeit von herabgewälzten Granitblöcken, glattge¬
ſchliffenen Kalkſteintafeln und kleineren Geſchiebe-Ablagerungen
bauen ſich im Bachbett auf, — ornamentale Phantaſieſpiele der
Natur, über welche das kryſtallene oder leuchtend hellgrüne Wald¬
waſſer in Kaskadellen herabplätſchert.
Die Pygmäen der Pflanzenwelt, die Mooſe, Flechten und
Saxifragen haben auch hier, auf den Felſen, ſich wieder ange¬
ſiedelt. Mit haardünnen Wurzelfingerchen klammern ſie ſich in
den Geſteinsporen feſt, bohren immer tiefer hinein, durchflechten
dieſelben aufs Emſigſte und umſchlingen jede kleine Erhabenheit
ſo innig, daß es oft Mühe koſtet, ſolch einen kleinen Eigenſinn
von ſeiner Scholle abzulöſen. Die Flechten ſaugen ſich noch viel
feſter ein, — ſie erſcheinen gleichſam wie aus dem Felſen heraus¬
gewachſene mineraliſche Blüthen. Alle aber ſind wieder andere
Arten als jene auf den vermodernden Bäumen vorkommenden.
Zunächſt iſt es das weitverbreitete Mohrenmoos (Andreaea
rupestris) und das alpine Steinmoos (A. alpina), das mit
ſeinem bronzeſchwarzen und ſchmutziggrünen Raſen die Felſen be¬
kleidet; — dann das gezackte Sternmoos (Mnium serra¬
tum) mit den purpurroth gefärbten Blatträndern und Rippen und
das krummgeſpitzte Perlmoos (Weisia curvirostris) u. a. m.
Die zähe Lebenskraft dieſer Felſenpflanzen iſt außerordentlich groß;
in heißen Sommern, wo die prallende Sonnenhitze die Stein¬
blöcke in dieſen tiefen eingeſchloſſenen Tobeln aufs Heftigſte er¬
hitzt, bekommen dieſe Steinmooſe mitunter wochenlang keinen
Tropfen Waſſer als Nahrung: lediglich an der nächtlichen Kühle
müſſen ſie neue Lebenskraft ſchöpfen. Dort, wo das Bachwaſſer
die Wände beſpritzt und immer feucht hält, kommen das bleiche
Knotenmoos (Bryum pallens), ferner Angstroemia virens,
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