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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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Durch volle zwei Monate war dann das Befinden
der Mrs. L. A. ein recht befriedigendes. Wohl bemerkte
ich an ihrem Gesichte zuweilen -- besonders nach Brief-
schreiben und längeren Besuchen etc. -- ein eigenthüm-
liches Zittern am Mundwinkel und an den Augenlidern
linkerseits, welches ich, in höherem Grade oscillirende
Krämpfe nennen würde. Appetit und Schlaf waren sehr
gut. Patientin fuhr regelmässig im Rollwagen und ging
auch im Monate December schon länger, als ich zu er-
lauben wagte, zu Fuss. Nachdem sie sich mehrere Tage
hintereinander mit Einkaufen von Christgeschenken ganz
besonders abgehetzt hatte, erfolgte in der Nacht vom
23. auf den 24. December eine Apoplexie cerebri mit
vollständiger motorischer Lähmung der linksseitigen oberen
und unteren Extremitäten. Anfangs war auch die Sensi-
bilität fast ganz aufgehoben, dieselbe bildete sich aber
sehr rasch wieder aus. Einige Wochen nach dem Anfalle
wurde in vorsichtiger Weise Electricität angewendet. Nach
8--10 Tagen konnte Patientin schon wieder Finger und
Zehen, nach einigen Wochen Arm und Fuss bewegen
und nach 5 Monaten allein im Zimmer umhergehen. In
der Zwischenzeit hatte sie 3 oder 4 Anfälle von Con-
vulsionen mit Bewusstlosigkeit, welche gewöhnlich durch
Ruhe, Senfteig und Klystire schnell beseitigt wurden."

Ende Mai 1882 begleitete Herr Dr. Prünster die
Patientin in ihre Heimath nach New-York. Inzwischen
hatten wir über das Befinden derselben keine weitere
Nachricht erhalten. Im September 1883 ist sie einem
weiteren Schlaganfalle innerhalb 24 Stunden erlegen.
Nähere Details fehlen.

VI. Herr B., 43 Jahre alt, Handelsmann in Stuttgart,
bemerkte um Ostern 1882, während er eine Zeitung zur
Hand nahm, plötzlich, dass er nicht mehr ordentlich
lesen konnte. Obgleich er nur auf dem linken Auge
sah -- das rechte war in Folge früherer Entzündungen

Durch volle zwei Monate war dann das Befinden
der Mrs. L. A. ein recht befriedigendes. Wohl bemerkte
ich an ihrem Gesichte zuweilen — besonders nach Brief-
schreiben und längeren Besuchen etc. — ein eigenthüm-
liches Zittern am Mundwinkel und an den Augenlidern
linkerseits, welches ich, in höherem Grade oscillirende
Krämpfe nennen würde. Appetit und Schlaf waren sehr
gut. Patientin fuhr regelmässig im Rollwagen und ging
auch im Monate December schon länger, als ich zu er-
lauben wagte, zu Fuss. Nachdem sie sich mehrere Tage
hintereinander mit Einkaufen von Christgeschenken ganz
besonders abgehetzt hatte, erfolgte in der Nacht vom
23. auf den 24. December eine Apoplexie cerebri mit
vollständiger motorischer Lähmung der linksseitigen oberen
und unteren Extremitäten. Anfangs war auch die Sensi-
bilität fast ganz aufgehoben, dieselbe bildete sich aber
sehr rasch wieder aus. Einige Wochen nach dem Anfalle
wurde in vorsichtiger Weise Electricität angewendet. Nach
8—10 Tagen konnte Patientin schon wieder Finger und
Zehen, nach einigen Wochen Arm und Fuss bewegen
und nach 5 Monaten allein im Zimmer umhergehen. In
der Zwischenzeit hatte sie 3 oder 4 Anfälle von Con-
vulsionen mit Bewusstlosigkeit, welche gewöhnlich durch
Ruhe, Senfteig und Klystire schnell beseitigt wurden.“

Ende Mai 1882 begleitete Herr Dr. Prünster die
Patientin in ihre Heimath nach New-York. Inzwischen
hatten wir über das Befinden derselben keine weitere
Nachricht erhalten. Im September 1883 ist sie einem
weiteren Schlaganfalle innerhalb 24 Stunden erlegen.
Nähere Détails fehlen.

VI. Herr B., 43 Jahre alt, Handelsmann in Stuttgart,
bemerkte um Ostern 1882, während er eine Zeitung zur
Hand nahm, plötzlich, dass er nicht mehr ordentlich
lesen konnte. Obgleich er nur auf dem linken Auge
sah — das rechte war in Folge früherer Entzündungen

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[21/0025] Durch volle zwei Monate war dann das Befinden der Mrs. L. A. ein recht befriedigendes. Wohl bemerkte ich an ihrem Gesichte zuweilen — besonders nach Brief- schreiben und längeren Besuchen etc. — ein eigenthüm- liches Zittern am Mundwinkel und an den Augenlidern linkerseits, welches ich, in höherem Grade oscillirende Krämpfe nennen würde. Appetit und Schlaf waren sehr gut. Patientin fuhr regelmässig im Rollwagen und ging auch im Monate December schon länger, als ich zu er- lauben wagte, zu Fuss. Nachdem sie sich mehrere Tage hintereinander mit Einkaufen von Christgeschenken ganz besonders abgehetzt hatte, erfolgte in der Nacht vom 23. auf den 24. December eine Apoplexie cerebri mit vollständiger motorischer Lähmung der linksseitigen oberen und unteren Extremitäten. Anfangs war auch die Sensi- bilität fast ganz aufgehoben, dieselbe bildete sich aber sehr rasch wieder aus. Einige Wochen nach dem Anfalle wurde in vorsichtiger Weise Electricität angewendet. Nach 8—10 Tagen konnte Patientin schon wieder Finger und Zehen, nach einigen Wochen Arm und Fuss bewegen und nach 5 Monaten allein im Zimmer umhergehen. In der Zwischenzeit hatte sie 3 oder 4 Anfälle von Con- vulsionen mit Bewusstlosigkeit, welche gewöhnlich durch Ruhe, Senfteig und Klystire schnell beseitigt wurden.“ Ende Mai 1882 begleitete Herr Dr. Prünster die Patientin in ihre Heimath nach New-York. Inzwischen hatten wir über das Befinden derselben keine weitere Nachricht erhalten. Im September 1883 ist sie einem weiteren Schlaganfalle innerhalb 24 Stunden erlegen. Nähere Détails fehlen. VI. Herr B., 43 Jahre alt, Handelsmann in Stuttgart, bemerkte um Ostern 1882, während er eine Zeitung zur Hand nahm, plötzlich, dass er nicht mehr ordentlich lesen konnte. Obgleich er nur auf dem linken Auge sah — das rechte war in Folge früherer Entzündungen

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/25>, abgerufen am 23.11.2024.