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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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berichtete Herr Dr. Königshöfer über eine frühere Be-
obachtung von ihm aus dem Jahre 1880, in welcher er
der Dyslexie ähnliche Functionsstörungen gefunden hatte.
Es ergiebt sich bei dieser Gelegenheit, dass sein Fall
mit einem der Steiner'schen identisch war und ich er-
laube mir hiermit, den wesentlichen Inhalt der mir von
beiden Herrn zur Verfügung gestellten Krankheits- resp.
Sections-Berichte, welche in dem Sitzungs-Referate nur
andeutungsweise mitgetheilt sind, in authentischer Form
wiederzugeben:

"Am 5. December 1880 stellte sich Herrn Dr. Königs-
höfer
eine 54 jährige Dame vor, mit der Angabe, dass
sie seit einiger Zeit eine Zunahme ihrer Myopie auf dem
linken Auge bemerkt habe, gleichzeitig seien auch Con-
gestionen zum Kopf und Anfälle von Bewusstlosigkeit
mit Krämpfen eingetreten. Sonst sei ihr körperliches Be-
finden gut, nur die Menses, vor welchen die Anfälle be-
sonders stark auftraten, seien unregelmässig; die Um-
gebung der Kranken sagt aus, dass sie geistig nicht mehr
ganz so rege sei, wie früher.

Die Untersuchung der Augen ergiebt: Rechts Myopie
5,5 bis 6 D, S = 2/3 bis ; links Myopie 4,5 D, S = 1/3 .
Gesichtsfeld und Farbenperception normal; der Augen-
spiegel erweist beiderseits grosse ringförmige Sclerectasien.

Beim Lesen zeigt sich, dass Patientin mit dem lin-
ken Auge Snellen
0,5 auffallend zögernd liest. Ver-
suche mit grösseren Druckproben ergaben dasselbe. Daraus
wird geschlossen, dass es sich bei der Patientin nicht um
einen Mangel der Perceptionsfähigkeit, sondern um einen
Mangel in der Leitung handelte.

Im Laufe der weiteren Beobachtungen war vor Allem
auffallend, dass die Myopie auf dem rechten Auge binnen
3 Wochen auf 7,0 D stieg, ohne, dass das Sehvermögen
nennenswert beeinträchtigt wurde. Links blieb Sehver-
mögen und Myopie gleich.

berichtete Herr Dr. Königshöfer über eine frühere Be-
obachtung von ihm aus dem Jahre 1880, in welcher er
der Dyslexie ähnliche Functionsstörungen gefunden hatte.
Es ergiebt sich bei dieser Gelegenheit, dass sein Fall
mit einem der Steiner’schen identisch war und ich er-
laube mir hiermit, den wesentlichen Inhalt der mir von
beiden Herrn zur Verfügung gestellten Krankheits- resp.
Sections-Berichte, welche in dem Sitzungs-Referate nur
andeutungsweise mitgetheilt sind, in authentischer Form
wiederzugeben:

„Am 5. December 1880 stellte sich Herrn Dr. Königs-
höfer
eine 54 jährige Dame vor, mit der Angabe, dass
sie seit einiger Zeit eine Zunahme ihrer Myopie auf dem
linken Auge bemerkt habe, gleichzeitig seien auch Con-
gestionen zum Kopf und Anfälle von Bewusstlosigkeit
mit Krämpfen eingetreten. Sonst sei ihr körperliches Be-
finden gut, nur die Menses, vor welchen die Anfälle be-
sonders stark auftraten, seien unregelmässig; die Um-
gebung der Kranken sagt aus, dass sie geistig nicht mehr
ganz so rege sei, wie früher.

Die Untersuchung der Augen ergiebt: Rechts Myopie
5,5 bis 6 D, S = ⅔ bis ; links Myopie 4,5 D, S = ⅓.
Gesichtsfeld und Farbenperception normal; der Augen-
spiegel erweist beiderseits grosse ringförmige Sclerectasien.

Beim Lesen zeigt sich, dass Patientin mit dem lin-
ken Auge Snellen
0,5 auffallend zögernd liest. Ver-
suche mit grösseren Druckproben ergaben dasselbe. Daraus
wird geschlossen, dass es sich bei der Patientin nicht um
einen Mangel der Perceptionsfähigkeit, sondern um einen
Mangel in der Leitung handelte.

Im Laufe der weiteren Beobachtungen war vor Allem
auffallend, dass die Myopie auf dem rechten Auge binnen
3 Wochen auf 7,0 D stieg, ohne, dass das Sehvermögen
nennenswert beeinträchtigt wurde. Links blieb Sehver-
mögen und Myopie gleich.

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[57/0061] berichtete Herr Dr. Königshöfer über eine frühere Be- obachtung von ihm aus dem Jahre 1880, in welcher er der Dyslexie ähnliche Functionsstörungen gefunden hatte. Es ergiebt sich bei dieser Gelegenheit, dass sein Fall mit einem der Steiner’schen identisch war und ich er- laube mir hiermit, den wesentlichen Inhalt der mir von beiden Herrn zur Verfügung gestellten Krankheits- resp. Sections-Berichte, welche in dem Sitzungs-Referate nur andeutungsweise mitgetheilt sind, in authentischer Form wiederzugeben: „Am 5. December 1880 stellte sich Herrn Dr. Königs- höfer eine 54 jährige Dame vor, mit der Angabe, dass sie seit einiger Zeit eine Zunahme ihrer Myopie auf dem linken Auge bemerkt habe, gleichzeitig seien auch Con- gestionen zum Kopf und Anfälle von Bewusstlosigkeit mit Krämpfen eingetreten. Sonst sei ihr körperliches Be- finden gut, nur die Menses, vor welchen die Anfälle be- sonders stark auftraten, seien unregelmässig; die Um- gebung der Kranken sagt aus, dass sie geistig nicht mehr ganz so rege sei, wie früher. Die Untersuchung der Augen ergiebt: Rechts Myopie 5,5 bis 6 D, S = ⅔ bis [FORMEL]; links Myopie 4,5 D, S = ⅓. Gesichtsfeld und Farbenperception normal; der Augen- spiegel erweist beiderseits grosse ringförmige Sclerectasien. Beim Lesen zeigt sich, dass Patientin mit dem lin- ken Auge Snellen 0,5 auffallend zögernd liest. Ver- suche mit grösseren Druckproben ergaben dasselbe. Daraus wird geschlossen, dass es sich bei der Patientin nicht um einen Mangel der Perceptionsfähigkeit, sondern um einen Mangel in der Leitung handelte. Im Laufe der weiteren Beobachtungen war vor Allem auffallend, dass die Myopie auf dem rechten Auge binnen 3 Wochen auf 7,0 D stieg, ohne, dass das Sehvermögen nennenswert beeinträchtigt wurde. Links blieb Sehver- mögen und Myopie gleich.

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/61>, abgerufen am 28.04.2024.