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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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sich im Gebrauche seiner Augen gestört, was er auf das
angegebene Doppeltsehen zurückführen zu müssen glaubt.

Die Untersuchung ergab indessen auch mittelst ge-
färbter Gläser im ganzen Gebiete des Sehfeldes keinerlei
Doppelbilder; dagegen ist Patient nicht im Stande, eine
Zeile zu Ende vorzulesen; nach wenigen Worten hört er
auf und erklärt, er könne nicht weiter. Dieselbe Unfähig-
keit trat ein, wenn er für sich las und machte es ihm
vollkommen unmöglich, sich litterarisch zu beschäftigen,
was den ohnehin sehr aufgeregten Patienten ganz ausser-
ordentlich afficirte. Die Aufregung trug auch wohl dazu
bei, dass er gegen jede eingehende Untersuchung meiner-
seits eine so grosse Abneigung an den Tag legte, dass
es mir nur mit Mühe und nach wiederholten Besuchen
gelang, den Status präsens festzustellen. Ich fand jeder-
seits volle Sehschärfe bei mittlerer Myopie, keinerlei Stör-
ung der Farbenperception, keine Anomalien des Gesichts-
feldes, keine Beeinträchtigungen der Motilität, brechende
Medien und Augenhintergrund normal. Eine einmalige,
mühsam durchgesetzte, Untersuchung des Urins ergab, dass
derselbe frei von Eiweis und Zucker war.

Im Verlaufe von einigen Wochen besserte sich die
Lesestörung bei körperlicher Ruhe etwas, nach Verfluss
von ca. einem Monat begann Patient die Zeitung zu lesen
und bald darauf konnte er seinen Beruf auch wieder
aufnehmen.

Ich habe ihn seitdem ärztlich nicht wieder gesehen,
verdanke aber seinem späteren Hausarzte Herrn Dr. Reuss
sen. einen ausführlichen Bericht über seine nachträgliche
Erkrankung, welchem ich das Folgende entnehme:

"Im Jahre 1878 litt K. etwa 1/4 Jahr lang an Schlaf-
losigkeit und hypochondrischer Verstimmung, welche so
weit ging, dass er fürchtete geisteskrank zu werden. Im
Jahre 1881 stellte sich, angeblich nach einer diphthe-
ritischen Angina, welche der Arzt nicht selber beobachtete,

sich im Gebrauche seiner Augen gestört, was er auf das
angegebene Doppeltsehen zurückführen zu müssen glaubt.

Die Untersuchung ergab indessen auch mittelst ge-
färbter Gläser im ganzen Gebiete des Sehfeldes keinerlei
Doppelbilder; dagegen ist Patient nicht im Stande, eine
Zeile zu Ende vorzulesen; nach wenigen Worten hört er
auf und erklärt, er könne nicht weiter. Dieselbe Unfähig-
keit trat ein, wenn er für sich las und machte es ihm
vollkommen unmöglich, sich litterarisch zu beschäftigen,
was den ohnehin sehr aufgeregten Patienten ganz ausser-
ordentlich afficirte. Die Aufregung trug auch wohl dazu
bei, dass er gegen jede eingehende Untersuchung meiner-
seits eine so grosse Abneigung an den Tag legte, dass
es mir nur mit Mühe und nach wiederholten Besuchen
gelang, den Status präsens festzustellen. Ich fand jeder-
seits volle Sehschärfe bei mittlerer Myopie, keinerlei Stör-
ung der Farbenperception, keine Anomalien des Gesichts-
feldes, keine Beeinträchtigungen der Motilität, brechende
Medien und Augenhintergrund normal. Eine einmalige,
mühsam durchgesetzte, Untersuchung des Urins ergab, dass
derselbe frei von Eiweis und Zucker war.

Im Verlaufe von einigen Wochen besserte sich die
Lesestörung bei körperlicher Ruhe etwas, nach Verfluss
von ca. einem Monat begann Patient die Zeitung zu lesen
und bald darauf konnte er seinen Beruf auch wieder
aufnehmen.

Ich habe ihn seitdem ärztlich nicht wieder gesehen,
verdanke aber seinem späteren Hausarzte Herrn Dr. Reuss
sen. einen ausführlichen Bericht über seine nachträgliche
Erkrankung, welchem ich das Folgende entnehme:

„Im Jahre 1878 litt K. etwa ¼ Jahr lang an Schlaf-
losigkeit und hypochondrischer Verstimmung, welche so
weit ging, dass er fürchtete geisteskrank zu werden. Im
Jahre 1881 stellte sich, angeblich nach einer diphthe-
ritischen Angina, welche der Arzt nicht selber beobachtete,

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[5/0009] sich im Gebrauche seiner Augen gestört, was er auf das angegebene Doppeltsehen zurückführen zu müssen glaubt. Die Untersuchung ergab indessen auch mittelst ge- färbter Gläser im ganzen Gebiete des Sehfeldes keinerlei Doppelbilder; dagegen ist Patient nicht im Stande, eine Zeile zu Ende vorzulesen; nach wenigen Worten hört er auf und erklärt, er könne nicht weiter. Dieselbe Unfähig- keit trat ein, wenn er für sich las und machte es ihm vollkommen unmöglich, sich litterarisch zu beschäftigen, was den ohnehin sehr aufgeregten Patienten ganz ausser- ordentlich afficirte. Die Aufregung trug auch wohl dazu bei, dass er gegen jede eingehende Untersuchung meiner- seits eine so grosse Abneigung an den Tag legte, dass es mir nur mit Mühe und nach wiederholten Besuchen gelang, den Status präsens festzustellen. Ich fand jeder- seits volle Sehschärfe bei mittlerer Myopie, keinerlei Stör- ung der Farbenperception, keine Anomalien des Gesichts- feldes, keine Beeinträchtigungen der Motilität, brechende Medien und Augenhintergrund normal. Eine einmalige, mühsam durchgesetzte, Untersuchung des Urins ergab, dass derselbe frei von Eiweis und Zucker war. Im Verlaufe von einigen Wochen besserte sich die Lesestörung bei körperlicher Ruhe etwas, nach Verfluss von ca. einem Monat begann Patient die Zeitung zu lesen und bald darauf konnte er seinen Beruf auch wieder aufnehmen. Ich habe ihn seitdem ärztlich nicht wieder gesehen, verdanke aber seinem späteren Hausarzte Herrn Dr. Reuss sen. einen ausführlichen Bericht über seine nachträgliche Erkrankung, welchem ich das Folgende entnehme: „Im Jahre 1878 litt K. etwa ¼ Jahr lang an Schlaf- losigkeit und hypochondrischer Verstimmung, welche so weit ging, dass er fürchtete geisteskrank zu werden. Im Jahre 1881 stellte sich, angeblich nach einer diphthe- ritischen Angina, welche der Arzt nicht selber beobachtete,

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/9>, abgerufen am 22.11.2024.