wenn der Paroxysmus am hefftigsten war, offt der- maßen gejammert, daß ich manchmahl darüber selbst in Perturbation gesetzt, und mein Gewissen rege wurde, auch mit Unruhe des Hertzens von ihm nach Hause gieng. Denn ich dachte: Geschicht das am grünen Holtze, was will am dürren werden? Jch merckte an ihm keine verdammliche Sünde; und, wann ich ihn gegen mich ansahe, so fand ich bey mir hingegen vielfältige Dinge, von denen ich urtheilte, daß sie nicht mit der Gnade GOttes bestehen könten. Er starb endlich, und der Stein, den sie bey der Section bey ihm in der Blase fanden, war bey- nahe so groß, als ein Hüner-Ey.
Mich drückte nicht wenig zur selbigen Zeit die Last meiner Sünden, mehr, als dieser Stein den armen Knaben bisher gedrucket hatte, als welche mir wie ein Centner-Stein auf dem Her- tzen lagen. Ohngefehr um Trinitatis, stund ich einst im Gymnasio unten im Hause zwischen 4. und 5. Uhr, in willens auszugehen, indem ich im Gymnasio freye Wohnung hatte. Jch weinte ohne Maßen, daß ich so vieler sündlichen Verderbniße, die ich in mir wahrnahm, nicht könte los werden, so sehr ich mich auch darum bemühete; bat auch GOtt inbrünstig, daß er mir mehr Krafft gäbe über die Untugenden mei- ner Jugend zu siegen. Jch empfieng reichlichen
Trost
beweint ſeine Verderbniße,
wenn der Paroxyſmus am hefftigſten war, offt der- maßen gejammert, daß ich manchmahl daruͤber ſelbſt in Perturbation geſetzt, und mein Gewiſſen rege wurde, auch mit Unruhe des Hertzens von ihm nach Hauſe gieng. Denn ich dachte: Geſchicht das am gruͤnen Holtze, was will am duͤrren werden? Jch merckte an ihm keine verdammliche Suͤnde; und, wann ich ihn gegen mich anſahe, ſo fand ich bey mir hingegen vielfaͤltige Dinge, von denen ich urtheilte, daß ſie nicht mit der Gnade GOttes beſtehen koͤnten. Er ſtarb endlich, und der Stein, den ſie bey der Section bey ihm in der Blaſe fanden, war bey- nahe ſo groß, als ein Huͤner-Ey.
Mich druͤckte nicht wenig zur ſelbigen Zeit die Laſt meiner Suͤnden, mehr, als dieſer Stein den armen Knaben bisher gedrucket hatte, als welche mir wie ein Centner-Stein auf dem Her- tzen lagen. Ohngefehr um Trinitatis, ſtund ich einſt im Gymnaſio unten im Hauſe zwiſchen 4. und 5. Uhr, in willens auszugehen, indem ich im Gymnaſio freye Wohnung hatte. Jch weinte ohne Maßen, daß ich ſo vieler ſuͤndlichen Verderbniße, die ich in mir wahrnahm, nicht koͤnte los werden, ſo ſehr ich mich auch darum bemuͤhete; bat auch GOtt inbruͤnſtig, daß er mir mehr Krafft gaͤbe uͤber die Untugenden mei- ner Jugend zu ſiegen. Jch empfieng reichlichen
Troſt
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beweint ſeine Verderbniße,
wenn der Paroxyſmus am hefftigſten war, offt der-
maßen gejammert, daß ich manchmahl daruͤber
ſelbſt in Perturbation geſetzt, und mein Gewiſſen
rege wurde, auch mit Unruhe des Hertzens von
ihm nach Hauſe gieng. Denn ich dachte:
Geſchicht das am gruͤnen Holtze, was will
am duͤrren werden? Jch merckte an ihm
keine verdammliche Suͤnde; und, wann ich ihn
gegen mich anſahe, ſo fand ich bey mir hingegen
vielfaͤltige Dinge, von denen ich urtheilte, daß
ſie nicht mit der Gnade GOttes beſtehen koͤnten.
Er ſtarb endlich, und der Stein, den ſie bey der
Section bey ihm in der Blaſe fanden, war bey-
nahe ſo groß, als ein Huͤner-Ey.
Mich druͤckte nicht wenig zur ſelbigen Zeit
die Laſt meiner Suͤnden, mehr, als dieſer Stein
den armen Knaben bisher gedrucket hatte, als
welche mir wie ein Centner-Stein auf dem Her-
tzen lagen. Ohngefehr um Trinitatis, ſtund
ich einſt im Gymnaſio unten im Hauſe zwiſchen
4. und 5. Uhr, in willens auszugehen, indem ich
im Gymnaſio freye Wohnung hatte. Jch
weinte ohne Maßen, daß ich ſo vieler ſuͤndlichen
Verderbniße, die ich in mir wahrnahm, nicht
koͤnte los werden, ſo ſehr ich mich auch darum
bemuͤhete; bat auch GOtt inbruͤnſtig, daß er
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/144>, abgerufen am 23.11.2024.
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