Trost: von GOtt in meiner Seelen; wie ich denn mit Grund der Wahrheit bezeugen kan, daß ich mitten unter der Sclaverey der Sünden, indem mir solche iederzeit die schwerste Last, und das gröste Creutz gewesen, auch schier ohne Auf- hören darwider gestritten, und nach der Erlösung geseuffzet, GOttes Gnade, Güte und Trost in viel größerm Maße geschmecket, und mehr Ruhe in der Seelen genossen, als wenn ich eine ge- raume Zeit die That der Sünde gelaßen, und mich doch die Liebe und Neigung nach derselben geplaget. Müste ich nicht fürchten, daß es einem Welt-Kinde, so dieses lieset, ein Anstoß seyn möchte; so wolte ich sagen, daß der Zu- stand eines Christen besser sey, welcher die Sünde hasset, die er thut, als desjenigen, der sie nicht thut, und doch von gantzem Hertzen liebet; ob- wol der beste, und eigentlichste Zustand eines Chri- sten ist und bleibet, daß er die Sünde nicht thut, und auch nicht liebet.
Jndem ich also, um wieder auf das vorige zu kommen, im Atrio bey den untersten Claslen auf- und abgieng, betete, und seufzete, und wei- nete, und die Hände rung und wand, und GOtt auf das beweglichste anflehete; so hörte ich, daß auf der Gaßen, wo der Inspector wohnete, ein Bettler ein Lied vor der Thüre sang. Jch trat heraus auf den viereckigten Stein, der bey
dem
G 2
und wird durch ein Lieb
Troſt: von GOtt in meiner Seelen; wie ich denn mit Grund der Wahrheit bezeugen kan, daß ich mitten unter der Sclaverey der Suͤnden, indem mir ſolche iederzeit die ſchwerſte Laſt, und das groͤſte Creutz geweſen, auch ſchier ohne Auf- hoͤren darwider geſtritten, und nach der Erloͤſung geſeuffzet, GOttes Gnade, Guͤte und Troſt in viel groͤßerm Maße geſchmecket, und mehr Ruhe in der Seelen genoſſen, als wenn ich eine ge- raume Zeit die That der Suͤnde gelaßen, und mich doch die Liebe und Neigung nach derſelben geplaget. Muͤſte ich nicht fuͤrchten, daß es einem Welt-Kinde, ſo dieſes lieſet, ein Anſtoß ſeyn moͤchte; ſo wolte ich ſagen, daß der Zu- ſtand eines Chriſten beſſer ſey, welcher die Suͤnde haſſet, die er thut, als desjenigen, der ſie nicht thut, und doch von gantzem Hertzen liebet; ob- wol der beſte, und eigentlichſte Zuſtand eines Chri- ſten iſt und bleibet, daß er die Suͤnde nicht thut, und auch nicht liebet.
Jndem ich alſo, um wieder auf das vorige zu kommen, im Atrio bey den unterſten Claſlen auf- und abgieng, betete, und ſeufzete, und wei- nete, und die Haͤnde rung und wand, und GOtt auf das beweglichſte anflehete; ſo hoͤrte ich, daß auf der Gaßen, wo der Inſpector wohnete, ein Bettler ein Lied vor der Thuͤre ſang. Jch trat heraus auf den viereckigten Stein, der bey
dem
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und wird durch ein Lieb
Troſt: von GOtt in meiner Seelen; wie ich
denn mit Grund der Wahrheit bezeugen kan,
daß ich mitten unter der Sclaverey der Suͤnden,
indem mir ſolche iederzeit die ſchwerſte Laſt, und
das groͤſte Creutz geweſen, auch ſchier ohne Auf-
hoͤren darwider geſtritten, und nach der Erloͤſung
geſeuffzet, GOttes Gnade, Guͤte und Troſt in
viel groͤßerm Maße geſchmecket, und mehr Ruhe
in der Seelen genoſſen, als wenn ich eine ge-
raume Zeit die That der Suͤnde gelaßen, und
mich doch die Liebe und Neigung nach derſelben
geplaget. Muͤſte ich nicht fuͤrchten, daß es
einem Welt-Kinde, ſo dieſes lieſet, ein Anſtoß
ſeyn moͤchte; ſo wolte ich ſagen, daß der Zu-
ſtand eines Chriſten beſſer ſey, welcher die Suͤnde
haſſet, die er thut, als desjenigen, der ſie nicht
thut, und doch von gantzem Hertzen liebet; ob-
wol der beſte, und eigentlichſte Zuſtand eines Chri-
ſten iſt und bleibet, daß er die Suͤnde nicht thut,
und auch nicht liebet.
Jndem ich alſo, um wieder auf das vorige
zu kommen, im Atrio bey den unterſten Claſlen
auf- und abgieng, betete, und ſeufzete, und wei-
nete, und die Haͤnde rung und wand, und GOtt
auf das beweglichſte anflehete; ſo hoͤrte ich,
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ein Bettler ein Lied vor der Thuͤre ſang. Jch
trat heraus auf den viereckigten Stein, der bey
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/145>, abgerufen am 23.11.2024.
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