nur damit sie versichert wären, daß sie diese Sünde, vor welcher sie sich so sehr fürchten, nicht begehen würden, als dergleichen Leute Furcht vor der autokheiria haben; so solten die Huren gar bald alle werden; sie müsten denn wegen ihrer großen Furcht gantz und gar von Verstande kommen, und sinnlos nach dem Bilde, wie die unvernünfftigen Thiere, würcken, von welchem Bilde sie zur Zeit mit der Furcht solche Sünde, zu begehen geplaget werden. Die gröste Ab- scheu vor einer Sache, und die höchste Furcht haben solche nicht zu thun, und doch Lust und Neigung zu einer solchen Sache haben, können zu gleicher Zeit in einem Subjecto, und in einem Menschen nicht gefunden werden. Gesetzt auch, daß einer sich vor der Sünde des Dieb- stahls, und der Hurerey fürchtet zu einer Zeit, da er Lust und Liebe dazu hat, und sie gerne begehen möchte, weil er GOttes Zorn, zeitliche und ewige Strafe befürchtet; so eckelt ihm doch nicht vor der That des Diebstahls und der Hu- rerey, als nach welcher ihn gelüstet, als wie, wenn man hungerich ist, man nach einem guten und angenehmen Bissen Appetit hat; da hin- gegen jene, die armen Melancholici, vor der That des Selbst-Mordes selbst den höchsten Eckel und Abscheu haben, und gar keine Lust und Neigung darzu finden.
Jst
Hat keine Neigung,
nur damit ſie verſichert waͤren, daß ſie dieſe Suͤnde, vor welcher ſie ſich ſo ſehr fuͤrchten, nicht begehen wuͤrden, als dergleichen Leute Furcht vor der ἀυτοχειρία haben; ſo ſolten die Huren gar bald alle werden; ſie muͤſten denn wegen ihrer großen Furcht gantz und gar von Verſtande kommen, und ſinnlos nach dem Bilde, wie die unvernuͤnfftigen Thiere, wuͤrcken, von welchem Bilde ſie zur Zeit mit der Furcht ſolche Suͤnde, zu begehen geplaget werden. Die groͤſte Ab- ſcheu vor einer Sache, und die hoͤchſte Furcht haben ſolche nicht zu thun, und doch Luſt und Neigung zu einer ſolchen Sache haben, koͤnnen zu gleicher Zeit in einem Subjecto, und in einem Menſchen nicht gefunden werden. Geſetzt auch, daß einer ſich vor der Suͤnde des Dieb- ſtahls, und der Hurerey fuͤrchtet zu einer Zeit, da er Luſt und Liebe dazu hat, und ſie gerne begehen moͤchte, weil er GOttes Zorn, zeitliche und ewige Strafe befuͤrchtet; ſo eckelt ihm doch nicht vor der That des Diebſtahls und der Hu- rerey, als nach welcher ihn geluͤſtet, als wie, wenn man hungerich iſt, man nach einem guten und angenehmen Biſſen Appetit hat; da hin- gegen jene, die armen Melancholici, vor der That des Selbſt-Mordes ſelbſt den hoͤchſten Eckel und Abſcheu haben, und gar keine Luſt und Neigung darzu finden.
Jſt
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Hat keine Neigung,
nur damit ſie verſichert waͤren, daß ſie dieſe
Suͤnde, vor welcher ſie ſich ſo ſehr fuͤrchten, nicht
begehen wuͤrden, als dergleichen Leute Furcht
vor der ἀυτοχειρία haben; ſo ſolten die Huren
gar bald alle werden; ſie muͤſten denn wegen
ihrer großen Furcht gantz und gar von Verſtande
kommen, und ſinnlos nach dem Bilde, wie die
unvernuͤnfftigen Thiere, wuͤrcken, von welchem
Bilde ſie zur Zeit mit der Furcht ſolche Suͤnde,
zu begehen geplaget werden. Die groͤſte Ab-
ſcheu vor einer Sache, und die hoͤchſte Furcht
haben ſolche nicht zu thun, und doch Luſt und
Neigung zu einer ſolchen Sache haben, koͤnnen
zu gleicher Zeit in einem Subjecto, und in einem
Menſchen nicht gefunden werden. Geſetzt
auch, daß einer ſich vor der Suͤnde des Dieb-
ſtahls, und der Hurerey fuͤrchtet zu einer Zeit,
da er Luſt und Liebe dazu hat, und ſie gerne
begehen moͤchte, weil er GOttes Zorn, zeitliche
und ewige Strafe befuͤrchtet; ſo eckelt ihm doch
nicht vor der That des Diebſtahls und der Hu-
rerey, als nach welcher ihn geluͤſtet, als wie,
wenn man hungerich iſt, man nach einem guten
und angenehmen Biſſen Appetit hat; da hin-
gegen jene, die armen Melancholici, vor der That
des Selbſt-Mordes ſelbſt den hoͤchſten Eckel und
Abſcheu haben, und gar keine Luſt und Neigung
darzu finden.
Jſt
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/267>, abgerufen am 21.11.2024.
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