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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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und viel Flüchten.
Schweden hier in die Stadt einzogen, war ich
nach Zeschen bey Merseburg mit etlichen spatzie-
ren gangen, einen Anverwandten des Wittigs,
meines ehemahligen Famuli, zu besuchen, der
nicht ersoffen war, sich auch nicht ersäufft hatte,
sondern den ich in Zeschen das Jahr zuvor zu
meiner großen Freude noch lebend wieder ge-
funden hatte. Jm Heimwege war es recht
erbärmlich anzusehen. Die Straße war mit
lauter Kutschen, und großen Fracht-Wagen
besetzt bis nach Leipzig; zehen mahl mehr, als
es zur Zeit der Messe zu seyn pfleget. Und
alß ich wieder in die Stadt herein kam, so stun-
den alle Gassen, ob es gleich Sonntag war,
noch voller Wagen, und war alles bis in die
späte Nacht in grosser Bewegung, so daß es
schiene, als ob sie Leipzig aus Leipzig wegfüh-
ren wolten. Die Gassen waren im übrigen
so leer von Menschen, als ob es ausgestorben
wäre. Die Studiosi hatten auch, bis auf et-
liche wenige, so aus Mangel des Geldes zu-
rücke bleiben musten, Ausreiß gegeben, und
waren zum Theil Caravanen-weise zu Fuße nach
Hause, und die, so nach Schlesien giengen, durch
die Schwedische Armee durch-passiret, und vom
Könige in Schweden selbst ermahnet worden,
wieder umzukehren, mit der Versicherung, daß sie
niemand im Studiren hindern solte.

Anno
C c 2

und viel Fluͤchten.
Schweden hier in die Stadt einzogen, war ich
nach Zeſchen bey Merſeburg mit etlichen ſpatzie-
ren gangen, einen Anverwandten des Wittigs,
meines ehemahligen Famuli, zu beſuchen, der
nicht erſoffen war, ſich auch nicht erſaͤufft hatte,
ſondern den ich in Zeſchen das Jahr zuvor zu
meiner großen Freude noch lebend wieder ge-
funden hatte. Jm Heimwege war es recht
erbaͤrmlich anzuſehen. Die Straße war mit
lauter Kutſchen, und großen Fracht-Wagen
beſetzt bis nach Leipzig; zehen mahl mehr, als
es zur Zeit der Meſſe zu ſeyn pfleget. Und
alß ich wieder in die Stadt herein kam, ſo ſtun-
den alle Gaſſen, ob es gleich Sonntag war,
noch voller Wagen, und war alles bis in die
ſpaͤte Nacht in groſſer Bewegung, ſo daß es
ſchiene, als ob ſie Leipzig aus Leipzig wegfuͤh-
ren wolten. Die Gaſſen waren im uͤbrigen
ſo leer von Menſchen, als ob es ausgeſtorben
waͤre. Die Studioſi hatten auch, bis auf et-
liche wenige, ſo aus Mangel des Geldes zu-
ruͤcke bleiben muſten, Ausreiß gegeben, und
waren zum Theil Caravanen-weiſe zu Fuße nach
Hauſe, und die, ſo nach Schleſien giengen, durch
die Schwediſche Armée durch-paſſiret, und vom
Koͤnige in Schweden ſelbſt ermahnet worden,
wieder umzukehren, mit der Verſicherung, daß ſie
niemand im Studiren hindern ſolte.

Anno
C c 2
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[403/0449] und viel Fluͤchten. Schweden hier in die Stadt einzogen, war ich nach Zeſchen bey Merſeburg mit etlichen ſpatzie- ren gangen, einen Anverwandten des Wittigs, meines ehemahligen Famuli, zu beſuchen, der nicht erſoffen war, ſich auch nicht erſaͤufft hatte, ſondern den ich in Zeſchen das Jahr zuvor zu meiner großen Freude noch lebend wieder ge- funden hatte. Jm Heimwege war es recht erbaͤrmlich anzuſehen. Die Straße war mit lauter Kutſchen, und großen Fracht-Wagen beſetzt bis nach Leipzig; zehen mahl mehr, als es zur Zeit der Meſſe zu ſeyn pfleget. Und alß ich wieder in die Stadt herein kam, ſo ſtun- den alle Gaſſen, ob es gleich Sonntag war, noch voller Wagen, und war alles bis in die ſpaͤte Nacht in groſſer Bewegung, ſo daß es ſchiene, als ob ſie Leipzig aus Leipzig wegfuͤh- ren wolten. Die Gaſſen waren im uͤbrigen ſo leer von Menſchen, als ob es ausgeſtorben waͤre. Die Studioſi hatten auch, bis auf et- liche wenige, ſo aus Mangel des Geldes zu- ruͤcke bleiben muſten, Ausreiß gegeben, und waren zum Theil Caravanen-weiſe zu Fuße nach Hauſe, und die, ſo nach Schleſien giengen, durch die Schwediſche Armée durch-paſſiret, und vom Koͤnige in Schweden ſelbſt ermahnet worden, wieder umzukehren, mit der Verſicherung, daß ſie niemand im Studiren hindern ſolte. Anno C c 2

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/449>, abgerufen am 22.11.2024.