Schweden hier in die Stadt einzogen, war ich nach Zeschen bey Merseburg mit etlichen spatzie- ren gangen, einen Anverwandten des Wittigs, meines ehemahligen Famuli, zu besuchen, der nicht ersoffen war, sich auch nicht ersäufft hatte, sondern den ich in Zeschen das Jahr zuvor zu meiner großen Freude noch lebend wieder ge- funden hatte. Jm Heimwege war es recht erbärmlich anzusehen. Die Straße war mit lauter Kutschen, und großen Fracht-Wagen besetzt bis nach Leipzig; zehen mahl mehr, als es zur Zeit der Messe zu seyn pfleget. Und alß ich wieder in die Stadt herein kam, so stun- den alle Gassen, ob es gleich Sonntag war, noch voller Wagen, und war alles bis in die späte Nacht in grosser Bewegung, so daß es schiene, als ob sie Leipzig aus Leipzig wegfüh- ren wolten. Die Gassen waren im übrigen so leer von Menschen, als ob es ausgestorben wäre. Die Studiosi hatten auch, bis auf et- liche wenige, so aus Mangel des Geldes zu- rücke bleiben musten, Ausreiß gegeben, und waren zum Theil Caravanen-weise zu Fuße nach Hause, und die, so nach Schlesien giengen, durch die Schwedische Armee durch-passiret, und vom Könige in Schweden selbst ermahnet worden, wieder umzukehren, mit der Versicherung, daß sie niemand im Studiren hindern solte.
Anno
C c 2
und viel Fluͤchten.
Schweden hier in die Stadt einzogen, war ich nach Zeſchen bey Merſeburg mit etlichen ſpatzie- ren gangen, einen Anverwandten des Wittigs, meines ehemahligen Famuli, zu beſuchen, der nicht erſoffen war, ſich auch nicht erſaͤufft hatte, ſondern den ich in Zeſchen das Jahr zuvor zu meiner großen Freude noch lebend wieder ge- funden hatte. Jm Heimwege war es recht erbaͤrmlich anzuſehen. Die Straße war mit lauter Kutſchen, und großen Fracht-Wagen beſetzt bis nach Leipzig; zehen mahl mehr, als es zur Zeit der Meſſe zu ſeyn pfleget. Und alß ich wieder in die Stadt herein kam, ſo ſtun- den alle Gaſſen, ob es gleich Sonntag war, noch voller Wagen, und war alles bis in die ſpaͤte Nacht in groſſer Bewegung, ſo daß es ſchiene, als ob ſie Leipzig aus Leipzig wegfuͤh- ren wolten. Die Gaſſen waren im uͤbrigen ſo leer von Menſchen, als ob es ausgeſtorben waͤre. Die Studioſi hatten auch, bis auf et- liche wenige, ſo aus Mangel des Geldes zu- ruͤcke bleiben muſten, Ausreiß gegeben, und waren zum Theil Caravanen-weiſe zu Fuße nach Hauſe, und die, ſo nach Schleſien giengen, durch die Schwediſche Armée durch-paſſiret, und vom Koͤnige in Schweden ſelbſt ermahnet worden, wieder umzukehren, mit der Verſicherung, daß ſie niemand im Studiren hindern ſolte.
Anno
C c 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0449"n="403"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und viel Fluͤchten.</hi></fw><lb/>
Schweden hier in die Stadt einzogen, war ich<lb/>
nach Zeſchen bey Merſeburg mit etlichen ſpatzie-<lb/>
ren gangen, einen Anverwandten des Wittigs,<lb/>
meines ehemahligen <hirendition="#aq">Famuli,</hi> zu beſuchen, der<lb/>
nicht erſoffen war, ſich auch nicht erſaͤufft hatte,<lb/>ſondern den ich in Zeſchen das Jahr zuvor zu<lb/>
meiner großen Freude noch lebend wieder ge-<lb/>
funden hatte. Jm Heimwege war es recht<lb/>
erbaͤrmlich anzuſehen. Die Straße war mit<lb/>
lauter Kutſchen, und großen Fracht-Wagen<lb/>
beſetzt bis nach Leipzig; zehen mahl mehr, als<lb/>
es zur Zeit der Meſſe zu ſeyn pfleget. Und<lb/>
alß ich wieder in die Stadt herein kam, ſo ſtun-<lb/>
den alle Gaſſen, ob es gleich Sonntag war,<lb/>
noch voller Wagen, und war alles bis in die<lb/>ſpaͤte Nacht in groſſer Bewegung, ſo daß es<lb/>ſchiene, als ob ſie Leipzig aus Leipzig wegfuͤh-<lb/>
ren wolten. Die Gaſſen waren im uͤbrigen<lb/>ſo leer von Menſchen, als ob es ausgeſtorben<lb/>
waͤre. Die <hirendition="#aq">Studioſi</hi> hatten auch, bis auf et-<lb/>
liche wenige, ſo aus Mangel des Geldes zu-<lb/>
ruͤcke bleiben muſten, Ausreiß gegeben, und<lb/>
waren zum Theil <hirendition="#aq">Carava</hi>nen-weiſe zu Fuße nach<lb/>
Hauſe, und die, ſo nach Schleſien giengen, durch<lb/>
die Schwediſche <hirendition="#aq">Armée</hi> durch-<hirendition="#aq">paſſi</hi>ret, und vom<lb/>
Koͤnige in Schweden ſelbſt ermahnet worden,<lb/>
wieder umzukehren, mit der Verſicherung, daß ſie<lb/>
niemand im <hirendition="#aq">Studi</hi>ren hindern ſolte.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">C c 2</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">Anno</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[403/0449]
und viel Fluͤchten.
Schweden hier in die Stadt einzogen, war ich
nach Zeſchen bey Merſeburg mit etlichen ſpatzie-
ren gangen, einen Anverwandten des Wittigs,
meines ehemahligen Famuli, zu beſuchen, der
nicht erſoffen war, ſich auch nicht erſaͤufft hatte,
ſondern den ich in Zeſchen das Jahr zuvor zu
meiner großen Freude noch lebend wieder ge-
funden hatte. Jm Heimwege war es recht
erbaͤrmlich anzuſehen. Die Straße war mit
lauter Kutſchen, und großen Fracht-Wagen
beſetzt bis nach Leipzig; zehen mahl mehr, als
es zur Zeit der Meſſe zu ſeyn pfleget. Und
alß ich wieder in die Stadt herein kam, ſo ſtun-
den alle Gaſſen, ob es gleich Sonntag war,
noch voller Wagen, und war alles bis in die
ſpaͤte Nacht in groſſer Bewegung, ſo daß es
ſchiene, als ob ſie Leipzig aus Leipzig wegfuͤh-
ren wolten. Die Gaſſen waren im uͤbrigen
ſo leer von Menſchen, als ob es ausgeſtorben
waͤre. Die Studioſi hatten auch, bis auf et-
liche wenige, ſo aus Mangel des Geldes zu-
ruͤcke bleiben muſten, Ausreiß gegeben, und
waren zum Theil Caravanen-weiſe zu Fuße nach
Hauſe, und die, ſo nach Schleſien giengen, durch
die Schwediſche Armée durch-paſſiret, und vom
Koͤnige in Schweden ſelbſt ermahnet worden,
wieder umzukehren, mit der Verſicherung, daß ſie
niemand im Studiren hindern ſolte.
Anno
C c 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/449>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.