so wurde solche doch gäntzlich, wie der Nebel von der Sonnen, und die Spren von dem Winde vertrieben, alß ich am Sonntage Oculi in der Vesper Predigt in der Neuen-Kirche Herr Lic. Wernern hörte. Jch weiß nicht mehr, was er vor ein Stück aus der Paßions-Historie zu er- klären hatte; nur das weiß ich, daß er zuletzt und zum Beschluß der Predigt so kräfftige Trost- Gründe wider das Schrecken des Todes anführte, worüber mein Hertz in innerlich Jauchzen und Jubiliren gesetzt wurde, daß ich durch die Gassen, und über den Marckt, wie ein trunckener Mensch, voll Freude, und fröhlichen Muth und Wonne nach Hause gieng, und diesen Tag stets mit dem Tri- nitatis-Tag An. 1704. da ich, wie oben gemeldet, von dem Abendmahl zurücke kam, verglichen habe.
So bereitwillig ich durch diese Predigt zum Sterben war gemacht worden, so feste hielt ich doch noch darvor, daß ich das Jahr nicht über- leben würde. Der Magd aber bey der Frau Schultzin im rothen Collegio, die uns bey Tische aufwartete, war es unglaublich, daß ich sterben solte. Ach! HerrMagister, sprach sie einst in Gegenwart anderer, sie sterben noch nicht: was soll ich haben, wenn sie übers Jahr noch leben? Jch antwortete: ietzt gebe ich ihr einen Gulden vor die Aufwartung; lebe
ich
ſo er vorm Tode hatte,
ſo wurde ſolche doch gaͤntzlich, wie der Nebel von der Sonnen, und die Spren von dem Winde vertrieben, alß ich am Sonntage Oculi in der Veſper Predigt in der Neuen-Kirche Herr Lic. Wernern hoͤrte. Jch weiß nicht mehr, was er vor ein Stuͤck aus der Paßions-Hiſtorie zu er- klaͤren hatte; nur das weiß ich, daß er zuletzt und zum Beſchluß der Predigt ſo kraͤfftige Troſt- Gruͤnde wider das Schrecken des Todes anfuͤhrte, woruͤber mein Hertz in innerlich Jauchzen und Jubiliren geſetzt wurde, daß ich durch die Gaſſen, und uͤber den Marckt, wie ein trunckener Menſch, voll Freude, und froͤhlichen Muth und Wonne nach Hauſe gieng, und dieſen Tag ſtets mit dem Tri- nitatis-Tag An. 1704. da ich, wie oben gemeldet, von dem Abendmahl zuruͤcke kam, verglichen habe.
So bereitwillig ich durch dieſe Predigt zum Sterben war gemacht worden, ſo feſte hielt ich doch noch darvor, daß ich das Jahr nicht uͤber- leben wuͤrde. Der Magd aber bey der Frau Schultzin im rothen Collegio, die uns bey Tiſche aufwartete, war es unglaublich, daß ich ſterben ſolte. Ach! HerrMagiſter, ſprach ſie einſt in Gegenwart anderer, ſie ſterben noch nicht: was ſoll ich haben, wenn ſie uͤbers Jahr noch leben? Jch antwortete: ietzt gebe ich ihr einen Gulden vor die Aufwartung; lebe
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ſo er vorm Tode hatte,
ſo wurde ſolche doch gaͤntzlich, wie der Nebel von
der Sonnen, und die Spren von dem Winde
vertrieben, alß ich am Sonntage Oculi in der
Veſper Predigt in der Neuen-Kirche Herr Lic.
Wernern hoͤrte. Jch weiß nicht mehr, was
er vor ein Stuͤck aus der Paßions-Hiſtorie zu er-
klaͤren hatte; nur das weiß ich, daß er zuletzt
und zum Beſchluß der Predigt ſo kraͤfftige Troſt-
Gruͤnde wider das Schrecken des Todes anfuͤhrte,
woruͤber mein Hertz in innerlich Jauchzen und
Jubiliren geſetzt wurde, daß ich durch die Gaſſen,
und uͤber den Marckt, wie ein trunckener Menſch,
voll Freude, und froͤhlichen Muth und Wonne nach
Hauſe gieng, und dieſen Tag ſtets mit dem Tri-
nitatis-Tag An. 1704. da ich, wie oben gemeldet,
von dem Abendmahl zuruͤcke kam, verglichen
habe.
So bereitwillig ich durch dieſe Predigt zum
Sterben war gemacht worden, ſo feſte hielt ich
doch noch darvor, daß ich das Jahr nicht uͤber-
leben wuͤrde. Der Magd aber bey der Frau
Schultzin im rothen Collegio, die uns bey Tiſche
aufwartete, war es unglaublich, daß ich ſterben
ſolte. Ach! Herr Magiſter, ſprach ſie einſt in
Gegenwart anderer, ſie ſterben noch nicht:
was ſoll ich haben, wenn ſie uͤbers Jahr
noch leben? Jch antwortete: ietzt gebe ich ihr
einen Gulden vor die Aufwartung; lebe
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/528>, abgerufen am 22.11.2024.
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