ich solches auch erfahren müssen. So unge- gründet, und unwahrscheinlich die Schlüsse zu sol- cher Zeit bey den Leuten sind, so gewöhnlich sind sie doch. Siehe da, um ein Gleichniß zu ge- ben, in einem gewissen Hause ist einer von den Dienst-Boten dem Herrn über den Wein ge- gangen, und hat solchen ausgetruncken. Auf zwey Personen fällt der Verdacht, daß einer aus ihnen solches müsse gethan haben. Den einen hat man noch niemahls sehen Wein trin- cken: er hat iederzeit beständig vorgegeben, daß er den Wein nicht aestimire, daß er ihm auch wegen seiner Leibes-Beschaffenheit nicht wohl bekommen würde. Der andere trinckt seinen Wein, obschon nicht solchen kostbaren, und delicaten, wie sein Herr; ja er hat so gar sei- ne Bouteille, und sein Fäßgen, wie vornehme Bedienten, zugleich mit im Keller. Jch frage dich, auf welchen von beyden wird nun wol der größte Verdacht fallen, daß er dem Herrn über seinen guten Wein gerathen: auf den, der gar keinen Wein trinckt, den man niemahls trin- cken gesehen, dem man zuweilen in einer Stadt den besten Wein angeboten, und ihm damit eine Ehre anthun wollen, und er solchen doch nicht annehmen wollen; oder auf den, der ohne Wein nicht leben kan, der seinen Wein im Kel- ler hat, und wo nicht täglich, doch offters da-
von
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wo er unſchuldig geweſen:
ich ſolches auch erfahren muͤſſen. So unge- gruͤndet, und unwahrſcheinlich die Schluͤſſe zu ſol- cher Zeit bey den Leuten ſind, ſo gewoͤhnlich ſind ſie doch. Siehe da, um ein Gleichniß zu ge- ben, in einem gewiſſen Hauſe iſt einer von den Dienſt-Boten dem Herrn uͤber den Wein ge- gangen, und hat ſolchen ausgetruncken. Auf zwey Perſonen faͤllt der Verdacht, daß einer aus ihnen ſolches muͤſſe gethan haben. Den einen hat man noch niemahls ſehen Wein trin- cken: er hat iederzeit beſtaͤndig vorgegeben, daß er den Wein nicht æſtimire, daß er ihm auch wegen ſeiner Leibes-Beſchaffenheit nicht wohl bekommen wuͤrde. Der andere trinckt ſeinen Wein, obſchon nicht ſolchen koſtbaren, und delicaten, wie ſein Herr; ja er hat ſo gar ſei- ne Bouteille, und ſein Faͤßgen, wie vornehme Bedienten, zugleich mit im Keller. Jch frage dich, auf welchen von beyden wird nun wol der groͤßte Verdacht fallen, daß er dem Herrn uͤber ſeinen guten Wein gerathen: auf den, der gar keinen Wein trinckt, den man niemahls trin- cken geſehen, dem man zuweilen in einer Stadt den beſten Wein angeboten, und ihm damit eine Ehre anthun wollen, und er ſolchen doch nicht annehmen wollen; oder auf den, der ohne Wein nicht leben kan, der ſeinen Wein im Kel- ler hat, und wo nicht taͤglich, doch offters da-
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wo er unſchuldig geweſen:
ich ſolches auch erfahren muͤſſen. So unge-
gruͤndet, und unwahrſcheinlich die Schluͤſſe zu ſol-
cher Zeit bey den Leuten ſind, ſo gewoͤhnlich ſind
ſie doch. Siehe da, um ein Gleichniß zu ge-
ben, in einem gewiſſen Hauſe iſt einer von den
Dienſt-Boten dem Herrn uͤber den Wein ge-
gangen, und hat ſolchen ausgetruncken. Auf
zwey Perſonen faͤllt der Verdacht, daß einer
aus ihnen ſolches muͤſſe gethan haben. Den
einen hat man noch niemahls ſehen Wein trin-
cken: er hat iederzeit beſtaͤndig vorgegeben,
daß er den Wein nicht æſtimire, daß er ihm
auch wegen ſeiner Leibes-Beſchaffenheit nicht
wohl bekommen wuͤrde. Der andere trinckt
ſeinen Wein, obſchon nicht ſolchen koſtbaren, und
delicaten, wie ſein Herr; ja er hat ſo gar ſei-
ne Bouteille, und ſein Faͤßgen, wie vornehme
Bedienten, zugleich mit im Keller. Jch frage
dich, auf welchen von beyden wird nun wol der
groͤßte Verdacht fallen, daß er dem Herrn uͤber
ſeinen guten Wein gerathen: auf den, der gar
keinen Wein trinckt, den man niemahls trin-
cken geſehen, dem man zuweilen in einer Stadt
den beſten Wein angeboten, und ihm damit eine
Ehre anthun wollen, und er ſolchen doch nicht
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/599>, abgerufen am 22.11.2024.
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