desjenigen Predigers Gutachten darüber ver- nehmen solte, den er wegen des Heyrathens um Rath gefraget; so war er nicht mehr darzu zu bewegen, denn er wuste, wie es ihm gegan- gen, da er wegen Heyrathens ihn consuliret, und was ich ihm etliche Tage zuvor auch selbst gesagt hatte. Er gieng also zu Herr Bür- germeister Gräfen, und entdeckte ihm sein Vorhaben, welcher auch gleich bereitwillig war, ihm in seinem Petito zu willfahren, auch so gar ihm das Formular, wie er vorgab, aufsetzte, nach welchem er seine Renunciation einrichten könte. Jch gerieth darüber in Angst, und Schrecken, ja in große Gewissens-Angst. Es lag mir Tag und Nacht im Sinne, daß ich einen Menschen unglücklich gemacht, der die Zeit seines Lebens seinen Bissen Brodt hätte haben können, wenn er auch nur Catechete ge- blieben, und dabey Kinder informiret, oder Collegia gehalten hätte. Es peinigte mich, daß ich nicht mehr gesuchet hatte, ihm die Sa- che, und sein Vorhaben auszureden. Denn das Hertze wurde ihm einst schon leichte, da ich ihm die fleischliche Wollust als geringe vorstellte, und daß es mir nicht viel besser gienge, und doch die Zeit meines Lebens an kein Heyrathen ge- dencken dürffte: ich ließe das närrische Fleisch wüten, und toben, wie es wolte: zwänge mich
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wie auch mit Gewiſſens-Angſt,
desjenigen Predigers Gutachten daruͤber ver- nehmen ſolte, den er wegen des Heyrathens um Rath gefraget; ſo war er nicht mehr darzu zu bewegen, denn er wuſte, wie es ihm gegan- gen, da er wegen Heyrathens ihn conſuliret, und was ich ihm etliche Tage zuvor auch ſelbſt geſagt hatte. Er gieng alſo zu Herr Buͤr- germeiſter Graͤfen, und entdeckte ihm ſein Vorhaben, welcher auch gleich bereitwillig war, ihm in ſeinem Petito zu willfahren, auch ſo gar ihm das Formular, wie er vorgab, aufſetzte, nach welchem er ſeine Renunciation einrichten koͤnte. Jch gerieth daruͤber in Angſt, und Schrecken, ja in große Gewiſſens-Angſt. Es lag mir Tag und Nacht im Sinne, daß ich einen Menſchen ungluͤcklich gemacht, der die Zeit ſeines Lebens ſeinen Biſſen Brodt haͤtte haben koͤnnen, wenn er auch nur Catechete ge- blieben, und dabey Kinder informiret, oder Collegia gehalten haͤtte. Es peinigte mich, daß ich nicht mehr geſuchet hatte, ihm die Sa- che, und ſein Vorhaben auszureden. Denn das Hertze wurde ihm einſt ſchon leichte, da ich ihm die fleiſchliche Wolluſt als geringe vorſtellte, und daß es mir nicht viel beſſer gienge, und doch die Zeit meines Lebens an kein Heyrathen ge- dencken duͤrffte: ich ließe das naͤrriſche Fleiſch wuͤten, und toben, wie es wolte: zwaͤnge mich
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wie auch mit Gewiſſens-Angſt,
desjenigen Predigers Gutachten daruͤber ver-
nehmen ſolte, den er wegen des Heyrathens um
Rath gefraget; ſo war er nicht mehr darzu
zu bewegen, denn er wuſte, wie es ihm gegan-
gen, da er wegen Heyrathens ihn conſuliret,
und was ich ihm etliche Tage zuvor auch ſelbſt
geſagt hatte. Er gieng alſo zu Herr Buͤr-
germeiſter Graͤfen, und entdeckte ihm ſein
Vorhaben, welcher auch gleich bereitwillig war,
ihm in ſeinem Petito zu willfahren, auch ſo gar
ihm das Formular, wie er vorgab, aufſetzte,
nach welchem er ſeine Renunciation einrichten
koͤnte. Jch gerieth daruͤber in Angſt, und
Schrecken, ja in große Gewiſſens-Angſt.
Es lag mir Tag und Nacht im Sinne, daß
ich einen Menſchen ungluͤcklich gemacht, der
die Zeit ſeines Lebens ſeinen Biſſen Brodt haͤtte
haben koͤnnen, wenn er auch nur Catechete ge-
blieben, und dabey Kinder informiret, oder
Collegia gehalten haͤtte. Es peinigte mich,
daß ich nicht mehr geſuchet hatte, ihm die Sa-
che, und ſein Vorhaben auszureden. Denn
das Hertze wurde ihm einſt ſchon leichte, da ich
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und daß es mir nicht viel beſſer gienge, und doch
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/646>, abgerufen am 29.09.2024.
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