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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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bis endlich die Furcht
und Zittern gesetzt hatten, so war mir die Furcht
im höchsten Grade, und bey iedwedem geringen
Dinge gantz natürlich, und zu meiner täglichen
Noth worden. Jch fieng an vor allem Unge-
wöhnlichen,
und vor allem Ungestalten
zu erschrecken. Wie ich einmahl ein Ding ge-
setzt, gelegt, gehencket hatte, so muste es blei-
ben, und durffte davon einen andern Tag nicht
abweichen, so indifferent auch die Sachen wa-
ren. Jch konte kein leeres Behältniß, wo man
gewöhnliche Dinge hinein thut, sehen, Zucker-
Thee-Coffee Schachtel nicht ausleeren, ja so
gar keinen Bier-Krug leer stehen lassen. Eine
iede Lücke im Repositorio, wo mir ein Buch
fehlte, ließ mir keine Ruhe, bis ich durch ein
Buch die Lücke ausfüllte, und zuschloß. Anno
1704. spührte ich davon wohl einigen Anfang,
aber ich hatte dazumahl nicht sonderlich drauf
acht, und betraf auch nur ein, und andere wenige
Dinge, so mich in Furcht setzten. Jch besinne
mich auch mehr nicht als auf ein eintziges Exem-
pel eines Menschen, dem dergleichen, doch nicht
in so hohem Grade, begegnet, und welches mir
vor etliche 20. Jahren vorgekommen, da ich noch
Prediger war; welches mir aber zu solcher Zeit
zugleich lächerlich vorkam, weil ich selbsten noch
nicht aus der Erfahrung wuste, wie einem sol-
chen armen Menschen zu Muthe seyn müste.

Das

bis endlich die Furcht
und Zittern geſetzt hatten, ſo war mir die Furcht
im hoͤchſten Grade, und bey iedwedem geringen
Dinge gantz natuͤrlich, und zu meiner taͤglichen
Noth worden. Jch fieng an vor allem Unge-
woͤhnlichen,
und vor allem Ungeſtalten
zu erſchrecken. Wie ich einmahl ein Ding ge-
ſetzt, gelegt, gehencket hatte, ſo muſte es blei-
ben, und durffte davon einen andern Tag nicht
abweichen, ſo indifferent auch die Sachen wa-
ren. Jch konte kein leeres Behaͤltniß, wo man
gewoͤhnliche Dinge hinein thut, ſehen, Zucker-
Thée-Coffée Schachtel nicht ausleeren, ja ſo
gar keinen Bier-Krug leer ſtehen laſſen. Eine
iede Luͤcke im Repoſitorio, wo mir ein Buch
fehlte, ließ mir keine Ruhe, bis ich durch ein
Buch die Luͤcke ausfuͤllte, und zuſchloß. Anno
1704. ſpuͤhrte ich davon wohl einigen Anfang,
aber ich hatte dazumahl nicht ſonderlich drauf
acht, und betraf auch nur ein, und andere wenige
Dinge, ſo mich in Furcht ſetzten. Jch beſinne
mich auch mehr nicht als auf ein eintziges Exem-
pel eines Menſchen, dem dergleichen, doch nicht
in ſo hohem Grade, begegnet, und welches mir
vor etliche 20. Jahren vorgekommen, da ich noch
Prediger war; welches mir aber zu ſolcher Zeit
zugleich laͤcherlich vorkam, weil ich ſelbſten noch
nicht aus der Erfahrung wuſte, wie einem ſol-
chen armen Menſchen zu Muthe ſeyn muͤſte.

Das
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[742/0788] bis endlich die Furcht und Zittern geſetzt hatten, ſo war mir die Furcht im hoͤchſten Grade, und bey iedwedem geringen Dinge gantz natuͤrlich, und zu meiner taͤglichen Noth worden. Jch fieng an vor allem Unge- woͤhnlichen, und vor allem Ungeſtalten zu erſchrecken. Wie ich einmahl ein Ding ge- ſetzt, gelegt, gehencket hatte, ſo muſte es blei- ben, und durffte davon einen andern Tag nicht abweichen, ſo indifferent auch die Sachen wa- ren. Jch konte kein leeres Behaͤltniß, wo man gewoͤhnliche Dinge hinein thut, ſehen, Zucker- Thée-Coffée Schachtel nicht ausleeren, ja ſo gar keinen Bier-Krug leer ſtehen laſſen. Eine iede Luͤcke im Repoſitorio, wo mir ein Buch fehlte, ließ mir keine Ruhe, bis ich durch ein Buch die Luͤcke ausfuͤllte, und zuſchloß. Anno 1704. ſpuͤhrte ich davon wohl einigen Anfang, aber ich hatte dazumahl nicht ſonderlich drauf acht, und betraf auch nur ein, und andere wenige Dinge, ſo mich in Furcht ſetzten. Jch beſinne mich auch mehr nicht als auf ein eintziges Exem- pel eines Menſchen, dem dergleichen, doch nicht in ſo hohem Grade, begegnet, und welches mir vor etliche 20. Jahren vorgekommen, da ich noch Prediger war; welches mir aber zu ſolcher Zeit zugleich laͤcherlich vorkam, weil ich ſelbſten noch nicht aus der Erfahrung wuſte, wie einem ſol- chen armen Menſchen zu Muthe ſeyn muͤſte. Das

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/788>, abgerufen am 02.06.2024.