Das war der alten Hahnischen auf dem neuen Neumarckte ihre Tochter. Sie war ziemlich der Kleider-Pracht und dem Hochmuth zuvor, wie sie selber gestand, ergeben gewesen, und war deßwegen durch eine Predigt des Herrn Licen- tiat Werners in der Neuen-Kirche, wie sie mir sagte, gar sonderlich gerühret worden; verfiel aber hernach in ein melancholisches, und ängstli- ches Wesen, so daß ich auch ersuchet wurde, zu ihr zu kommen, um sie zu trösten. Da ich zu ihr kam, klagte sie mir unter andern, daß sie sich auch so gar vor allen geringen, und nichtswürdigen Dingen fürchtete. Sie zeigte mir ein zweyfa- ches Kleuel, ich weiß nicht, ob Seide, oder Zwirn darauf gewunden war, rund wie ein Ball. Je- des hatte sein besonderes Loch und Behältniß, worein sie es zu thun, und aufzuheben pflegte. Ob es nun gleich einerley wäre, ob sie dieses in jenes, und jenes in dieses Loch legte, so würde ihr brühheiß, und sie wüste nicht, wo sie vor Angst bleiben solte, woferne sie nicht die gewöhnliche Ordnung behielte, sondern die Kleuel verwechseln wolte.
Doch das war nichts gegen dem, was ich ietzt von mir erzehlen werde; denn da waren wohl unzehlige dergleichen Dinge, die eben sol- chen Effect und Aengstlichkeit bey mir verursach- ten, wo ich von der Gewohnheit abgehen wolte.
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den hoͤchſten Grad erreichet,
Das war der alten Hahniſchen auf dem neuen Neumarckte ihre Tochter. Sie war ziemlich der Kleider-Pracht und dem Hochmuth zuvor, wie ſie ſelber geſtand, ergeben geweſen, und war deßwegen durch eine Predigt des Herrn Licen- tiat Werners in der Neuen-Kirche, wie ſie mir ſagte, gar ſonderlich geruͤhret worden; verfiel aber hernach in ein melancholiſches, und aͤngſtli- ches Weſen, ſo daß ich auch erſuchet wurde, zu ihr zu kommen, um ſie zu troͤſten. Da ich zu ihr kam, klagte ſie mir unter andern, daß ſie ſich auch ſo gar vor allen geringen, und nichtswuͤrdigen Dingen fuͤrchtete. Sie zeigte mir ein zweyfa- ches Kleuel, ich weiß nicht, ob Seide, oder Zwirn darauf gewunden war, rund wie ein Ball. Je- des hatte ſein beſonderes Loch und Behaͤltniß, worein ſie es zu thun, und aufzuheben pflegte. Ob es nun gleich einerley waͤre, ob ſie dieſes in jenes, und jenes in dieſes Loch legte, ſo wuͤrde ihr bruͤhheiß, und ſie wuͤſte nicht, wo ſie vor Angſt bleiben ſolte, woferne ſie nicht die gewoͤhnliche Ordnung behielte, ſondern die Kleuel verwechſeln wolte.
Doch das war nichts gegen dem, was ich ietzt von mir erzehlen werde; denn da waren wohl unzehlige dergleichen Dinge, die eben ſol- chen Effect und Aengſtlichkeit bey mir verurſach- ten, wo ich von der Gewohnheit abgehen wolte.
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den hoͤchſten Grad erreichet,
Das war der alten Hahniſchen auf dem neuen
Neumarckte ihre Tochter. Sie war ziemlich
der Kleider-Pracht und dem Hochmuth zuvor,
wie ſie ſelber geſtand, ergeben geweſen, und war
deßwegen durch eine Predigt des Herrn Licen-
tiat Werners in der Neuen-Kirche, wie ſie mir
ſagte, gar ſonderlich geruͤhret worden; verfiel
aber hernach in ein melancholiſches, und aͤngſtli-
ches Weſen, ſo daß ich auch erſuchet wurde, zu
ihr zu kommen, um ſie zu troͤſten. Da ich zu ihr
kam, klagte ſie mir unter andern, daß ſie ſich auch
ſo gar vor allen geringen, und nichtswuͤrdigen
Dingen fuͤrchtete. Sie zeigte mir ein zweyfa-
ches Kleuel, ich weiß nicht, ob Seide, oder Zwirn
darauf gewunden war, rund wie ein Ball. Je-
des hatte ſein beſonderes Loch und Behaͤltniß,
worein ſie es zu thun, und aufzuheben pflegte.
Ob es nun gleich einerley waͤre, ob ſie dieſes in
jenes, und jenes in dieſes Loch legte, ſo wuͤrde ihr
bruͤhheiß, und ſie wuͤſte nicht, wo ſie vor Angſt
bleiben ſolte, woferne ſie nicht die gewoͤhnliche
Ordnung behielte, ſondern die Kleuel verwechſeln
wolte.
Doch das war nichts gegen dem, was ich
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 743. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/789>, abgerufen am 24.11.2024.
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