Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.hätte, daß ich heute so traurig sein und das erleben sollte! Meinen Geburtstag hast du uns zum Hochzeitstag ausgesucht. -- Lieschen schwieg ergriffen. -- Meinetwegen! fuhr Fritz fort; ist mir's doch, als ob ich heute stürbe. Der Fritz wenigstens, der dich lieb gehabt hat, der stirbt heute. -- Lieschen nahm die Schürze vor die Augen, wischte und wischte und ging den Andern nach; Fritz blieb allein zurück. Nach einer Weile kam der Kandidat, ihn zu einer zweiten Schale Kaffee zu holen. Fritz meinte, es sei, ihn zur Trauung zu rufen; nun, sagte er, ist der Herr Pastor fertig? -- Ach, rief der Kandidat, das hat noch gute Wege, sie sind ja erst aufs Amt frühstücken gegangen! -- Nun, meinetwegen, erwiderte Fritz, eine Stunde später, eine Stunde früher, es kömmt ja nichts darauf an! -- Der Kandidat sah ihn an, verwundert über den Ton, mit dem er die Worte sprach, dann glaubte er sich geirrt zu haben, weil er ihn nicht begreifen konnte, und sagte: Ihr habt recht, der Mond geht ja auch vor Morgens zwei Uhr nicht unter. Der Nachmittag verstrich so peinlich, wie Fritz und Lieschen noch nie einer vergangen war. Er wagte sie nicht mehr anzusehen, sie hielt ihn so fern von sich wie möglich, aber der Bäcker, der seine ganze Lustigkeit wiedergefunden, war ihr unerträglich, und sie wußte nicht, wie sie ihn heirathen sollte; sie freute sich, daß Gertrud mit ihm lachte und scherzte und ihre Stelle einnahm, obgleich es ihr vorkam, als wenn Gertrud hätte, daß ich heute so traurig sein und das erleben sollte! Meinen Geburtstag hast du uns zum Hochzeitstag ausgesucht. — Lieschen schwieg ergriffen. — Meinetwegen! fuhr Fritz fort; ist mir's doch, als ob ich heute stürbe. Der Fritz wenigstens, der dich lieb gehabt hat, der stirbt heute. — Lieschen nahm die Schürze vor die Augen, wischte und wischte und ging den Andern nach; Fritz blieb allein zurück. Nach einer Weile kam der Kandidat, ihn zu einer zweiten Schale Kaffee zu holen. Fritz meinte, es sei, ihn zur Trauung zu rufen; nun, sagte er, ist der Herr Pastor fertig? — Ach, rief der Kandidat, das hat noch gute Wege, sie sind ja erst aufs Amt frühstücken gegangen! — Nun, meinetwegen, erwiderte Fritz, eine Stunde später, eine Stunde früher, es kömmt ja nichts darauf an! — Der Kandidat sah ihn an, verwundert über den Ton, mit dem er die Worte sprach, dann glaubte er sich geirrt zu haben, weil er ihn nicht begreifen konnte, und sagte: Ihr habt recht, der Mond geht ja auch vor Morgens zwei Uhr nicht unter. Der Nachmittag verstrich so peinlich, wie Fritz und Lieschen noch nie einer vergangen war. Er wagte sie nicht mehr anzusehen, sie hielt ihn so fern von sich wie möglich, aber der Bäcker, der seine ganze Lustigkeit wiedergefunden, war ihr unerträglich, und sie wußte nicht, wie sie ihn heirathen sollte; sie freute sich, daß Gertrud mit ihm lachte und scherzte und ihre Stelle einnahm, obgleich es ihr vorkam, als wenn Gertrud <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0106"/> hätte, daß ich heute so traurig sein und das erleben sollte! Meinen Geburtstag hast du uns zum Hochzeitstag ausgesucht. — Lieschen schwieg ergriffen. — Meinetwegen! fuhr Fritz fort; ist mir's doch, als ob ich heute stürbe. Der Fritz wenigstens, der dich lieb gehabt hat, der stirbt heute. — Lieschen nahm die Schürze vor die Augen, wischte und wischte und ging den Andern nach; Fritz blieb allein zurück.</p><lb/> <p>Nach einer Weile kam der Kandidat, ihn zu einer zweiten Schale Kaffee zu holen. Fritz meinte, es sei, ihn zur Trauung zu rufen; nun, sagte er, ist der Herr Pastor fertig? — Ach, rief der Kandidat, das hat noch gute Wege, sie sind ja erst aufs Amt frühstücken gegangen! — Nun, meinetwegen, erwiderte Fritz, eine Stunde später, eine Stunde früher, es kömmt ja nichts darauf an! — Der Kandidat sah ihn an, verwundert über den Ton, mit dem er die Worte sprach, dann glaubte er sich geirrt zu haben, weil er ihn nicht begreifen konnte, und sagte: Ihr habt recht, der Mond geht ja auch vor Morgens zwei Uhr nicht unter.</p><lb/> <p>Der Nachmittag verstrich so peinlich, wie Fritz und Lieschen noch nie einer vergangen war. Er wagte sie nicht mehr anzusehen, sie hielt ihn so fern von sich wie möglich, aber der Bäcker, der seine ganze Lustigkeit wiedergefunden, war ihr unerträglich, und sie wußte nicht, wie sie ihn heirathen sollte; sie freute sich, daß Gertrud mit ihm lachte und scherzte und ihre Stelle einnahm, obgleich es ihr vorkam, als wenn Gertrud<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
hätte, daß ich heute so traurig sein und das erleben sollte! Meinen Geburtstag hast du uns zum Hochzeitstag ausgesucht. — Lieschen schwieg ergriffen. — Meinetwegen! fuhr Fritz fort; ist mir's doch, als ob ich heute stürbe. Der Fritz wenigstens, der dich lieb gehabt hat, der stirbt heute. — Lieschen nahm die Schürze vor die Augen, wischte und wischte und ging den Andern nach; Fritz blieb allein zurück.
Nach einer Weile kam der Kandidat, ihn zu einer zweiten Schale Kaffee zu holen. Fritz meinte, es sei, ihn zur Trauung zu rufen; nun, sagte er, ist der Herr Pastor fertig? — Ach, rief der Kandidat, das hat noch gute Wege, sie sind ja erst aufs Amt frühstücken gegangen! — Nun, meinetwegen, erwiderte Fritz, eine Stunde später, eine Stunde früher, es kömmt ja nichts darauf an! — Der Kandidat sah ihn an, verwundert über den Ton, mit dem er die Worte sprach, dann glaubte er sich geirrt zu haben, weil er ihn nicht begreifen konnte, und sagte: Ihr habt recht, der Mond geht ja auch vor Morgens zwei Uhr nicht unter.
Der Nachmittag verstrich so peinlich, wie Fritz und Lieschen noch nie einer vergangen war. Er wagte sie nicht mehr anzusehen, sie hielt ihn so fern von sich wie möglich, aber der Bäcker, der seine ganze Lustigkeit wiedergefunden, war ihr unerträglich, und sie wußte nicht, wie sie ihn heirathen sollte; sie freute sich, daß Gertrud mit ihm lachte und scherzte und ihre Stelle einnahm, obgleich es ihr vorkam, als wenn Gertrud
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