Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sprang sie vor und hielt ihm die Augen von rückwärts zu. Er befreite sich und schloß den kleinen Wegelagerer mit einem so lauten Jubelgeschrei in die Arme, daß ihre Hände ihm ängstlich auf die Lippen sanken und sie gewaltsam zudrückten. Aber auch ihre Brust machte sich Luft, sie lachte wie ein Kind in vollster Freude ihres Herzens, dann bemühte sie sich das Lachen zu unterdrücken, das plötzlich in ein Schluchzen überging. Fritz sah sie erstaunt an. Ach Fritz, sagte sie, wir sind noch so glücklich und werden doch bald so unglücklich sein! -- Was du da sagst! rief er zornig. Und sie erzählte ihm Alles, was geschehen, so gut sie konnte. Als Fritz das Wort Irrwischjunge vernahm, ballte er die Faust und sagte: Wenn es dein Vater nicht wäre, Lieschen! -- Lieschen weinte. Sei stille, mein Herzchen, tröstete er. Morgen ist Feiertag, da will ich kommen in meinem blanksten Rock und will bei ihm um dich anhalten. Vielleicht spricht er nur so, weil er denkt, es ist Tand; wenn er hört, daß es mein Ernst ist -- ich bin doch ein flinker Bursch, die Arbeit fliegt mir von der Hand, ich habe auch schon was zurückgelegt; die Zeiten sind schlimm, man schüttelt die Freier nicht mehr so von den Bäumen; wer weiß, was er thut, wenn du ihn schön bittest! -- Vielleicht! erwiderte Lieschen ungläubig, sie wußte keinen bessern Rath. Traurig gingen sie bis an die Waldecke, wo der Weg quer über die Flur lief. Unter sprang sie vor und hielt ihm die Augen von rückwärts zu. Er befreite sich und schloß den kleinen Wegelagerer mit einem so lauten Jubelgeschrei in die Arme, daß ihre Hände ihm ängstlich auf die Lippen sanken und sie gewaltsam zudrückten. Aber auch ihre Brust machte sich Luft, sie lachte wie ein Kind in vollster Freude ihres Herzens, dann bemühte sie sich das Lachen zu unterdrücken, das plötzlich in ein Schluchzen überging. Fritz sah sie erstaunt an. Ach Fritz, sagte sie, wir sind noch so glücklich und werden doch bald so unglücklich sein! — Was du da sagst! rief er zornig. Und sie erzählte ihm Alles, was geschehen, so gut sie konnte. Als Fritz das Wort Irrwischjunge vernahm, ballte er die Faust und sagte: Wenn es dein Vater nicht wäre, Lieschen! — Lieschen weinte. Sei stille, mein Herzchen, tröstete er. Morgen ist Feiertag, da will ich kommen in meinem blanksten Rock und will bei ihm um dich anhalten. Vielleicht spricht er nur so, weil er denkt, es ist Tand; wenn er hört, daß es mein Ernst ist — ich bin doch ein flinker Bursch, die Arbeit fliegt mir von der Hand, ich habe auch schon was zurückgelegt; die Zeiten sind schlimm, man schüttelt die Freier nicht mehr so von den Bäumen; wer weiß, was er thut, wenn du ihn schön bittest! — Vielleicht! erwiderte Lieschen ungläubig, sie wußte keinen bessern Rath. Traurig gingen sie bis an die Waldecke, wo der Weg quer über die Flur lief. Unter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030"/> sprang sie vor und hielt ihm die Augen von rückwärts zu. Er befreite sich und schloß den kleinen Wegelagerer mit einem so lauten Jubelgeschrei in die Arme, daß ihre Hände ihm ängstlich auf die Lippen sanken und sie gewaltsam zudrückten. Aber auch ihre Brust machte sich Luft, sie lachte wie ein Kind in vollster Freude ihres Herzens, dann bemühte sie sich das Lachen zu unterdrücken, das plötzlich in ein Schluchzen überging. Fritz sah sie erstaunt an.</p><lb/> <p>Ach Fritz, sagte sie, wir sind noch so glücklich und werden doch bald so unglücklich sein! — Was du da sagst! rief er zornig. Und sie erzählte ihm Alles, was geschehen, so gut sie konnte. Als Fritz das Wort Irrwischjunge vernahm, ballte er die Faust und sagte: Wenn es dein Vater nicht wäre, Lieschen! — Lieschen weinte.</p><lb/> <p>Sei stille, mein Herzchen, tröstete er. Morgen ist Feiertag, da will ich kommen in meinem blanksten Rock und will bei ihm um dich anhalten. Vielleicht spricht er nur so, weil er denkt, es ist Tand; wenn er hört, daß es mein Ernst ist — ich bin doch ein flinker Bursch, die Arbeit fliegt mir von der Hand, ich habe auch schon was zurückgelegt; die Zeiten sind schlimm, man schüttelt die Freier nicht mehr so von den Bäumen; wer weiß, was er thut, wenn du ihn schön bittest! — Vielleicht! erwiderte Lieschen ungläubig, sie wußte keinen bessern Rath. Traurig gingen sie bis an die Waldecke, wo der Weg quer über die Flur lief. Unter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
sprang sie vor und hielt ihm die Augen von rückwärts zu. Er befreite sich und schloß den kleinen Wegelagerer mit einem so lauten Jubelgeschrei in die Arme, daß ihre Hände ihm ängstlich auf die Lippen sanken und sie gewaltsam zudrückten. Aber auch ihre Brust machte sich Luft, sie lachte wie ein Kind in vollster Freude ihres Herzens, dann bemühte sie sich das Lachen zu unterdrücken, das plötzlich in ein Schluchzen überging. Fritz sah sie erstaunt an.
Ach Fritz, sagte sie, wir sind noch so glücklich und werden doch bald so unglücklich sein! — Was du da sagst! rief er zornig. Und sie erzählte ihm Alles, was geschehen, so gut sie konnte. Als Fritz das Wort Irrwischjunge vernahm, ballte er die Faust und sagte: Wenn es dein Vater nicht wäre, Lieschen! — Lieschen weinte.
Sei stille, mein Herzchen, tröstete er. Morgen ist Feiertag, da will ich kommen in meinem blanksten Rock und will bei ihm um dich anhalten. Vielleicht spricht er nur so, weil er denkt, es ist Tand; wenn er hört, daß es mein Ernst ist — ich bin doch ein flinker Bursch, die Arbeit fliegt mir von der Hand, ich habe auch schon was zurückgelegt; die Zeiten sind schlimm, man schüttelt die Freier nicht mehr so von den Bäumen; wer weiß, was er thut, wenn du ihn schön bittest! — Vielleicht! erwiderte Lieschen ungläubig, sie wußte keinen bessern Rath. Traurig gingen sie bis an die Waldecke, wo der Weg quer über die Flur lief. Unter
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Weitere Informationen:Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |