Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Fritz, ich möchte Euch wohl noch einmal allein sprechen! -- Gertrud und Heinrich gingen sogleich hinaus. Schweigend standen Beide einander eine Weile gegenüber, es war ein Zwang unter ihnen, den sie früher nicht gekannt hatten; Fritz fühlte sich Lieschen's unwürdig, Lieschen empfand heute deutlicher als je, daß sie ihm entsagen müsse, und sie liebte ihn in ihrem Herzen doch noch so sehr! Fritz brach die Pause zuerst, er nahm ein Päckchen aus der Brust. Da sind die Haare! sagte er; das Goldstück, das ich vom Bäcker eingewechselt hatte und mit vergraben wollte, werfe ich in den Klingelbeutel, sobald ich wieder zur Kirche gehe. Lieschen reichte ihm die Hand, sie konnte nicht reden: Fritz sah sie an und brach in ein lautes Weinen aus, dann fiel er ihr um den Hals. Sie zog sich nicht zurück, ihre Arme umschlangen ihn, lange hielten sie sich umfaßt. Lieschen befreite sich zuerst. Das war unser letzter Kuß, Fritz, sagte sie, jetzt gehöre ich einem Andern, und versprich mir, daß du mir nicht mehr im Wege sein willst. Fritz konnte nichts sagen. Sie zog ihn auf einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Fritz, sagte sie, du mußt mir noch einen Gefallen thun. -- Alles in der Welt! erwiderte Fritz. Sieh, Fritz, fuhr sie fort, du bist in deinem Hause so allein und hast Niemand -- Fritz weinte heftiger -- da kommen dem Menschen böse Gedanken. Fritz, du mußt auch heirathen. -- Heirathen! schrie Fritz auf. Fritz, ich möchte Euch wohl noch einmal allein sprechen! — Gertrud und Heinrich gingen sogleich hinaus. Schweigend standen Beide einander eine Weile gegenüber, es war ein Zwang unter ihnen, den sie früher nicht gekannt hatten; Fritz fühlte sich Lieschen's unwürdig, Lieschen empfand heute deutlicher als je, daß sie ihm entsagen müsse, und sie liebte ihn in ihrem Herzen doch noch so sehr! Fritz brach die Pause zuerst, er nahm ein Päckchen aus der Brust. Da sind die Haare! sagte er; das Goldstück, das ich vom Bäcker eingewechselt hatte und mit vergraben wollte, werfe ich in den Klingelbeutel, sobald ich wieder zur Kirche gehe. Lieschen reichte ihm die Hand, sie konnte nicht reden: Fritz sah sie an und brach in ein lautes Weinen aus, dann fiel er ihr um den Hals. Sie zog sich nicht zurück, ihre Arme umschlangen ihn, lange hielten sie sich umfaßt. Lieschen befreite sich zuerst. Das war unser letzter Kuß, Fritz, sagte sie, jetzt gehöre ich einem Andern, und versprich mir, daß du mir nicht mehr im Wege sein willst. Fritz konnte nichts sagen. Sie zog ihn auf einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Fritz, sagte sie, du mußt mir noch einen Gefallen thun. — Alles in der Welt! erwiderte Fritz. Sieh, Fritz, fuhr sie fort, du bist in deinem Hause so allein und hast Niemand — Fritz weinte heftiger — da kommen dem Menschen böse Gedanken. Fritz, du mußt auch heirathen. — Heirathen! schrie Fritz auf. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0089"/> Fritz, ich möchte Euch wohl noch einmal allein sprechen! — Gertrud und Heinrich gingen sogleich hinaus.</p><lb/> <p>Schweigend standen Beide einander eine Weile gegenüber, es war ein Zwang unter ihnen, den sie früher nicht gekannt hatten; Fritz fühlte sich Lieschen's unwürdig, Lieschen empfand heute deutlicher als je, daß sie ihm entsagen müsse, und sie liebte ihn in ihrem Herzen doch noch so sehr! Fritz brach die Pause zuerst, er nahm ein Päckchen aus der Brust. Da sind die Haare! sagte er; das Goldstück, das ich vom Bäcker eingewechselt hatte und mit vergraben wollte, werfe ich in den Klingelbeutel, sobald ich wieder zur Kirche gehe. Lieschen reichte ihm die Hand, sie konnte nicht reden: Fritz sah sie an und brach in ein lautes Weinen aus, dann fiel er ihr um den Hals. Sie zog sich nicht zurück, ihre Arme umschlangen ihn, lange hielten sie sich umfaßt.</p><lb/> <p>Lieschen befreite sich zuerst. Das war unser letzter Kuß, Fritz, sagte sie, jetzt gehöre ich einem Andern, und versprich mir, daß du mir nicht mehr im Wege sein willst. Fritz konnte nichts sagen.</p><lb/> <p>Sie zog ihn auf einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Fritz, sagte sie, du mußt mir noch einen Gefallen thun. — Alles in der Welt! erwiderte Fritz.</p><lb/> <p>Sieh, Fritz, fuhr sie fort, du bist in deinem Hause so allein und hast Niemand — Fritz weinte heftiger — da kommen dem Menschen böse Gedanken. Fritz, du mußt auch heirathen. — Heirathen! schrie Fritz auf.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0089]
Fritz, ich möchte Euch wohl noch einmal allein sprechen! — Gertrud und Heinrich gingen sogleich hinaus.
Schweigend standen Beide einander eine Weile gegenüber, es war ein Zwang unter ihnen, den sie früher nicht gekannt hatten; Fritz fühlte sich Lieschen's unwürdig, Lieschen empfand heute deutlicher als je, daß sie ihm entsagen müsse, und sie liebte ihn in ihrem Herzen doch noch so sehr! Fritz brach die Pause zuerst, er nahm ein Päckchen aus der Brust. Da sind die Haare! sagte er; das Goldstück, das ich vom Bäcker eingewechselt hatte und mit vergraben wollte, werfe ich in den Klingelbeutel, sobald ich wieder zur Kirche gehe. Lieschen reichte ihm die Hand, sie konnte nicht reden: Fritz sah sie an und brach in ein lautes Weinen aus, dann fiel er ihr um den Hals. Sie zog sich nicht zurück, ihre Arme umschlangen ihn, lange hielten sie sich umfaßt.
Lieschen befreite sich zuerst. Das war unser letzter Kuß, Fritz, sagte sie, jetzt gehöre ich einem Andern, und versprich mir, daß du mir nicht mehr im Wege sein willst. Fritz konnte nichts sagen.
Sie zog ihn auf einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Fritz, sagte sie, du mußt mir noch einen Gefallen thun. — Alles in der Welt! erwiderte Fritz.
Sieh, Fritz, fuhr sie fort, du bist in deinem Hause so allein und hast Niemand — Fritz weinte heftiger — da kommen dem Menschen böse Gedanken. Fritz, du mußt auch heirathen. — Heirathen! schrie Fritz auf.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-10T13:46:34Z)
Weitere Informationen:Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |