Th. I. Bestrafung etc. Tit. IV. Ausschließung oder Milderung d. Strafe.
Der erstgedachte Grund spreche nur für die Verjährung der Ver- brechen, die beiden anderen Gründe auch für die Verjährung erkannter Strafen; es hänge also die Beantwortung der vorgedachten Frage haupt- sächlich davon ab, welches dieser Motive man als maaßgebend betrachten wolle. Dabei erschien aber die Erwägung als entscheidend, daß es nicht die Absicht sein könne, den Verbrecher durch die Verjährung zu begün- stigen, dieselbe vielmehr sich nur darauf gründe, daß nach dem Ablauf einer Reihe von Jahren selten ein voller Beweis der That und aller die Strafbarkeit bestimmenden Umstände erlangt werden könne, besonders aber der Defensionalbeweis durch den Zeitablauf unmöglich gemacht oder erschwert werde. k)
Die Staatsraths-Kommission entschied sich daher gegen die Zulas- sung einer Verjährung erkannter Strafen, und der Staatsrath trat dieser Ansicht einstimmig bei; l) sie ist auch in den verschiedenen Entwürfen konsequent festgehalten worden und in das Strafgesetzbuch (§. 49.) übergegangen.
I. In den früheren Entwürfen, mit Ausnahme des von 1827., war die Verjährung bei solchen Verbrechen, die mit der Todesstrafe be- droht sind, ausgeschlossen. Man war dabei hauptsächlich von der Be- trachtung ausgegangen, daß das Verabscheuungswürdige solcher Ver- brechen sie lange im Andenken des Volkes erhalte, und ihre Straflosigkeit auch nach einem größeren Zeitraume das Gerechtigkeitsgefühl verletzen müsse. m) Die Einwendungen gegen diese Auffassung ergaben sich freilich aus dem Princip, auf welches man die Verjährung im Strafrecht über- haupt gegründet hatte; denn die Verdunkelung der Thatsachen und die Erschwerung der Vertheidigung kommen hier wenigstens eben so sehr wie bei jedem anderen Verbrechen in Betracht. Daher hatte sich auch der Verfasser des ersten Entwurfs n) so wie die Majorität der Staats- raths-Kommission o) und das Ministerium für die Gesetz-Revision p) gegen die Ausnahme der todeswürdigen Verbrechen von der Verjährung erklärt; aber im Staatsrathe und bei der wiederholten Berathung in der Staats- raths-Kommission gewann die entgegenstehende Ansicht den Sieg, q) und
k)Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 119. 120., vgl. Revision von 1845. I. S. 215. 216.
l)Protokolle des Staatsraths, Sitzung v. 22. Jan. 1840.
m)Berathungs-Protokolle a. a. D. S. 122. -- Protokolle des Staatsraths, a. a. O. -- Verhandlungen der Staatsraths-Kommis- sion von 1846. S. 48. -- Vgl. Sächs. Criminalgesetzb. Art. 80. -- Han- nov. Criminalgesetzb. Art. 90. -- Thüring. Strafgesetzbuch Art. 76.
n)Motive zum ersten Entwurf. I. S. 189. 190.
o)Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 122.
p)Revision von 1845. I. S. 112-14.
q)Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 48.
Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
Der erſtgedachte Grund ſpreche nur für die Verjährung der Ver- brechen, die beiden anderen Gründe auch für die Verjährung erkannter Strafen; es hänge alſo die Beantwortung der vorgedachten Frage haupt- ſächlich davon ab, welches dieſer Motive man als maaßgebend betrachten wolle. Dabei erſchien aber die Erwägung als entſcheidend, daß es nicht die Abſicht ſein könne, den Verbrecher durch die Verjährung zu begün- ſtigen, dieſelbe vielmehr ſich nur darauf gründe, daß nach dem Ablauf einer Reihe von Jahren ſelten ein voller Beweis der That und aller die Strafbarkeit beſtimmenden Umſtände erlangt werden könne, beſonders aber der Defenſionalbeweis durch den Zeitablauf unmöglich gemacht oder erſchwert werde. k)
Die Staatsraths-Kommiſſion entſchied ſich daher gegen die Zulaſ- ſung einer Verjährung erkannter Strafen, und der Staatsrath trat dieſer Anſicht einſtimmig bei; l) ſie iſt auch in den verſchiedenen Entwürfen konſequent feſtgehalten worden und in das Strafgeſetzbuch (§. 49.) übergegangen.
I. In den früheren Entwürfen, mit Ausnahme des von 1827., war die Verjährung bei ſolchen Verbrechen, die mit der Todesſtrafe be- droht ſind, ausgeſchloſſen. Man war dabei hauptſächlich von der Be- trachtung ausgegangen, daß das Verabſcheuungswürdige ſolcher Ver- brechen ſie lange im Andenken des Volkes erhalte, und ihre Strafloſigkeit auch nach einem größeren Zeitraume das Gerechtigkeitsgefühl verletzen müſſe. m) Die Einwendungen gegen dieſe Auffaſſung ergaben ſich freilich aus dem Princip, auf welches man die Verjährung im Strafrecht über- haupt gegründet hatte; denn die Verdunkelung der Thatſachen und die Erſchwerung der Vertheidigung kommen hier wenigſtens eben ſo ſehr wie bei jedem anderen Verbrechen in Betracht. Daher hatte ſich auch der Verfaſſer des erſten Entwurfs n) ſo wie die Majorität der Staats- raths-Kommiſſion o) und das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion p) gegen die Ausnahme der todeswürdigen Verbrechen von der Verjährung erklärt; aber im Staatsrathe und bei der wiederholten Berathung in der Staats- raths-Kommiſſion gewann die entgegenſtehende Anſicht den Sieg, q) und
k)Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 119. 120., vgl. Reviſion von 1845. I. S. 215. 216.
l)Protokolle des Staatsraths, Sitzung v. 22. Jan. 1840.
m)Berathungs-Protokolle a. a. D. S. 122. — Protokolle des Staatsraths, a. a. O. — Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſ- ſion von 1846. S. 48. — Vgl. Sächſ. Criminalgeſetzb. Art. 80. — Han- nov. Criminalgeſetzb. Art. 90. — Thüring. Strafgeſetzbuch Art. 76.
n)Motive zum erſten Entwurf. I. S. 189. 190.
o)Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 122.
p)Reviſion von 1845. I. S. 112-14.
q)Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 48.
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Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
Der erſtgedachte Grund ſpreche nur für die Verjährung der Ver-
brechen, die beiden anderen Gründe auch für die Verjährung erkannter
Strafen; es hänge alſo die Beantwortung der vorgedachten Frage haupt-
ſächlich davon ab, welches dieſer Motive man als maaßgebend betrachten
wolle. Dabei erſchien aber die Erwägung als entſcheidend, daß es nicht
die Abſicht ſein könne, den Verbrecher durch die Verjährung zu begün-
ſtigen, dieſelbe vielmehr ſich nur darauf gründe, daß nach dem Ablauf
einer Reihe von Jahren ſelten ein voller Beweis der That und aller
die Strafbarkeit beſtimmenden Umſtände erlangt werden könne, beſonders
aber der Defenſionalbeweis durch den Zeitablauf unmöglich gemacht oder
erſchwert werde. k)
Die Staatsraths-Kommiſſion entſchied ſich daher gegen die Zulaſ-
ſung einer Verjährung erkannter Strafen, und der Staatsrath trat dieſer
Anſicht einſtimmig bei; l) ſie iſt auch in den verſchiedenen Entwürfen
konſequent feſtgehalten worden und in das Strafgeſetzbuch (§. 49.)
übergegangen.
I. In den früheren Entwürfen, mit Ausnahme des von 1827.,
war die Verjährung bei ſolchen Verbrechen, die mit der Todesſtrafe be-
droht ſind, ausgeſchloſſen. Man war dabei hauptſächlich von der Be-
trachtung ausgegangen, daß das Verabſcheuungswürdige ſolcher Ver-
brechen ſie lange im Andenken des Volkes erhalte, und ihre Strafloſigkeit
auch nach einem größeren Zeitraume das Gerechtigkeitsgefühl verletzen
müſſe. m) Die Einwendungen gegen dieſe Auffaſſung ergaben ſich freilich
aus dem Princip, auf welches man die Verjährung im Strafrecht über-
haupt gegründet hatte; denn die Verdunkelung der Thatſachen und die
Erſchwerung der Vertheidigung kommen hier wenigſtens eben ſo ſehr
wie bei jedem anderen Verbrechen in Betracht. Daher hatte ſich auch
der Verfaſſer des erſten Entwurfs n) ſo wie die Majorität der Staats-
raths-Kommiſſion o) und das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion p) gegen
die Ausnahme der todeswürdigen Verbrechen von der Verjährung erklärt;
aber im Staatsrathe und bei der wiederholten Berathung in der Staats-
raths-Kommiſſion gewann die entgegenſtehende Anſicht den Sieg, q) und
k) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 119. 120., vgl. Reviſion von
1845. I. S. 215. 216.
l) Protokolle des Staatsraths, Sitzung v. 22. Jan. 1840.
m) Berathungs-Protokolle a. a. D. S. 122. — Protokolle des
Staatsraths, a. a. O. — Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſ-
ſion von 1846. S. 48. — Vgl. Sächſ. Criminalgeſetzb. Art. 80. — Han-
nov. Criminalgeſetzb. Art. 90. — Thüring. Strafgeſetzbuch Art. 76.
n) Motive zum erſten Entwurf. I. S. 189. 190.
o) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 122.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/208>, abgerufen am 16.02.2025.
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