Th. I. Bestrafung etc. Tit. IV. Ausschließung oder Milderung d. Strafe.
§. 99. "Bei allen andern Verbrechen wird die Strafbarkeit durch Verjährung aufgehoben, wenn
1) keine amtliche Untersuchung wider den Verbrecher eingeleitet, oder
2) die Fortsetzung der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung aufge- geben oder auf Freisprechung von der Instanz erkannt wor- den ist,
und in dem Falle unter 1. seit der Verübung des Verbrechens, und in den Fällen unter 2. seit der letzten amtlichen Handlung die im §. 101. bestimmten Zeiträume verflossen sind."
Gegen diese Fassung war besonders monirt worden, daß durch die Verjährung nicht die Strafbarkeit, sondern die Strafe aufgehoben werde, daß der Ausdruck "amtliche Untersuchung" ungenau und ungenügend sei, weil es hier auf einen bestimmten gerichtlichen Akt ankomme, und daß die Bezugnahme auf die Freisprechung von der Instanz nicht recht angemessen erscheine. In dem Ministerium für die Gesetz-Revision wurden diese Erinnerungen für begründet erachtet, und über die Unterbrechung der Verjährung folgende Bestimmung vorgeschlagen:
Revid. Entwurf von 1845. §. 70. "Die Strafe eines solchen Verbrechens wird ausgeschlossen durch die Verjährung, deren Anfang von der Zeit des begangenen Verbrechens zu rechnen ist. "
"Die Verjährung wird unterbrochen, wenn ein gerichtliches Ver- fahren gegen den Angeschuldigten eingeleitet und demselben bekannt ge- macht ist."
Es wurde bemerkt, daß durch diese Fassung dem von den Schle- sichen Ständen ausgegangenen Antrage entsprochen werde, eine Bestim- mung darüber in das Gesetz aufzunehmen, daß die Untersuchung erst durch das besondere Dekret als eingeleitet angesehen werden solle, wel- ches erklärt, daß und wegen welches Verbrechens der Angeklagte zur Untersuchung gezogen werde. t)
In der Staatsraths-Kommission wurde der vorgeschlagene §. 70. genehmigt, jedoch beschlossen, daß statt "gerichtliches Verfahren" gesagt werden solle: "gerichtliche Untersuchung" und statt "eingeleitet" "er- öffnet", daß ferner die Worte: "und demselben bekannt gemacht ist" wegfallen sollen. u) Dessen ungeachtet hat der Entwurf von 1847. §. 63. die Bestimmung nicht in der beschlossenen Fassung, sondern genau so, wie sie sich jetzt im Strafgesetzbuch §. 48. findet. Die Einführung der Staatsanwaltschaft wird diese Abänderung herbeigeführt haben; die Ma- terialien geben jedoch darüber keine nähere Aufklärung, und die Motive
t)Revision von 1845. I. S. 216. 217.
u)Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 47.
Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
§. 99. „Bei allen andern Verbrechen wird die Strafbarkeit durch Verjährung aufgehoben, wenn
1) keine amtliche Unterſuchung wider den Verbrecher eingeleitet, oder
2) die Fortſetzung der gegen ihn eingeleiteten Unterſuchung aufge- geben oder auf Freiſprechung von der Inſtanz erkannt wor- den iſt,
und in dem Falle unter 1. ſeit der Verübung des Verbrechens, und in den Fällen unter 2. ſeit der letzten amtlichen Handlung die im §. 101. beſtimmten Zeiträume verfloſſen ſind.“
Gegen dieſe Faſſung war beſonders monirt worden, daß durch die Verjährung nicht die Strafbarkeit, ſondern die Strafe aufgehoben werde, daß der Ausdruck „amtliche Unterſuchung“ ungenau und ungenügend ſei, weil es hier auf einen beſtimmten gerichtlichen Akt ankomme, und daß die Bezugnahme auf die Freiſprechung von der Inſtanz nicht recht angemeſſen erſcheine. In dem Miniſterium für die Geſetz-Reviſion wurden dieſe Erinnerungen für begründet erachtet, und über die Unterbrechung der Verjährung folgende Beſtimmung vorgeſchlagen:
Revid. Entwurf von 1845. §. 70. „Die Strafe eines ſolchen Verbrechens wird ausgeſchloſſen durch die Verjährung, deren Anfang von der Zeit des begangenen Verbrechens zu rechnen iſt. “
„Die Verjährung wird unterbrochen, wenn ein gerichtliches Ver- fahren gegen den Angeſchuldigten eingeleitet und demſelben bekannt ge- macht iſt.“
Es wurde bemerkt, daß durch dieſe Faſſung dem von den Schle- ſichen Ständen ausgegangenen Antrage entſprochen werde, eine Beſtim- mung darüber in das Geſetz aufzunehmen, daß die Unterſuchung erſt durch das beſondere Dekret als eingeleitet angeſehen werden ſolle, wel- ches erklärt, daß und wegen welches Verbrechens der Angeklagte zur Unterſuchung gezogen werde. t)
In der Staatsraths-Kommiſſion wurde der vorgeſchlagene §. 70. genehmigt, jedoch beſchloſſen, daß ſtatt „gerichtliches Verfahren“ geſagt werden ſolle: „gerichtliche Unterſuchung“ und ſtatt „eingeleitet“ „er- öffnet“, daß ferner die Worte: „und demſelben bekannt gemacht iſt“ wegfallen ſollen. u) Deſſen ungeachtet hat der Entwurf von 1847. §. 63. die Beſtimmung nicht in der beſchloſſenen Faſſung, ſondern genau ſo, wie ſie ſich jetzt im Strafgeſetzbuch §. 48. findet. Die Einführung der Staatsanwaltſchaft wird dieſe Abänderung herbeigeführt haben; die Ma- terialien geben jedoch darüber keine nähere Aufklärung, und die Motive
t)Reviſion von 1845. I. S. 216. 217.
u)Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 47.
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§. 99. „Bei allen andern Verbrechen wird die Strafbarkeit durch
Verjährung aufgehoben, wenn
1) keine amtliche Unterſuchung wider den Verbrecher eingeleitet, oder
2) die Fortſetzung der gegen ihn eingeleiteten Unterſuchung aufge-
geben oder auf Freiſprechung von der Inſtanz erkannt wor-
den iſt,
und in dem Falle unter 1. ſeit der Verübung des Verbrechens, und in
den Fällen unter 2. ſeit der letzten amtlichen Handlung die im §. 101.
beſtimmten Zeiträume verfloſſen ſind.“
Gegen dieſe Faſſung war beſonders monirt worden, daß durch die
Verjährung nicht die Strafbarkeit, ſondern die Strafe aufgehoben werde,
daß der Ausdruck „amtliche Unterſuchung“ ungenau und ungenügend
ſei, weil es hier auf einen beſtimmten gerichtlichen Akt ankomme, und
daß die Bezugnahme auf die Freiſprechung von der Inſtanz nicht recht
angemeſſen erſcheine. In dem Miniſterium für die Geſetz-Reviſion wurden
dieſe Erinnerungen für begründet erachtet, und über die Unterbrechung
der Verjährung folgende Beſtimmung vorgeſchlagen:
Revid. Entwurf von 1845. §. 70. „Die Strafe eines ſolchen
Verbrechens wird ausgeſchloſſen durch die Verjährung, deren Anfang
von der Zeit des begangenen Verbrechens zu rechnen iſt. “
„Die Verjährung wird unterbrochen, wenn ein gerichtliches Ver-
fahren gegen den Angeſchuldigten eingeleitet und demſelben bekannt ge-
macht iſt.“
Es wurde bemerkt, daß durch dieſe Faſſung dem von den Schle-
ſichen Ständen ausgegangenen Antrage entſprochen werde, eine Beſtim-
mung darüber in das Geſetz aufzunehmen, daß die Unterſuchung erſt
durch das beſondere Dekret als eingeleitet angeſehen werden ſolle, wel-
ches erklärt, daß und wegen welches Verbrechens der Angeklagte zur
Unterſuchung gezogen werde. t)
In der Staatsraths-Kommiſſion wurde der vorgeſchlagene §. 70.
genehmigt, jedoch beſchloſſen, daß ſtatt „gerichtliches Verfahren“ geſagt
werden ſolle: „gerichtliche Unterſuchung“ und ſtatt „eingeleitet“ „er-
öffnet“, daß ferner die Worte: „und demſelben bekannt gemacht iſt“
wegfallen ſollen. u) Deſſen ungeachtet hat der Entwurf von 1847. §. 63.
die Beſtimmung nicht in der beſchloſſenen Faſſung, ſondern genau ſo,
wie ſie ſich jetzt im Strafgeſetzbuch §. 48. findet. Die Einführung der
Staatsanwaltſchaft wird dieſe Abänderung herbeigeführt haben; die Ma-
terialien geben jedoch darüber keine nähere Aufklärung, und die Motive
t) Reviſion von 1845. I. S. 216. 217.
u) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 47.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/210>, abgerufen am 24.11.2024.
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