Th. I. Bestrafung etc. Tit. IV. Ausschließung oder Milderung d. Strafe.
Vertreter seines Mündels handelt und keine s. g. mittelbare Ehrver- letzung, wie der Gatte oder Hausvater nach §. 162. zur Rüge brin- gen kann.
IV. Der Antrag auf Bestrafung ist untheilbar; er kann nur ge- gen sämmtliche Theilnehmer verfolgt oder aufgegeben werden. Haupt- sächlich über diesen Grundsatz hat man lange nicht zu einem festen Ent- schluß gelangen können; doch blieb seit 1836. die Bestimmung in den Entwürfen, daß der Strafantrag theilbar sei und gegen einzelne Theil- nehmer verfolgt, gegen andere unterlassen werden könne, obgleich die Staatsraths-Kommission und später noch ein besonderes Gutachten des Justizministers v. Savigny sich im entgegengesetzten Sinn ausgespro- chen hatten. k) Der vereinigte ständische Ausschuß entschied sich für die Untheilbarkeit des Strafantrags, l) und dieser Grundsatz ist auch in das Strafgesetzbuch übergegangen (§. 52.). Es werden dadurch auch in der That manche Härten, so wie große Erschwerungen und Verwicklungen der Kriminaluntersuchung vermieden, besonders in dem Fall des §. 229. bei dem Diebstahl unter nahen Verwandten; bei Ehrverletzungen wäre aber doch wohl eine Ausnahme von der Regel gerechtfertigt gewesen.
V. Ueberhaupt hat das Strafgesetzbuch die Strafanträge von Privatpersonen nicht im Sinne der germanischen Rechtsanschauung, welche auch im Strafrecht eine gewisse Berücksichtigung der individua- len Berechtigung fordert, behandelt. Das zeigt sich namentlich bei den Ehrverletzungen und den leichteren Mißhandlungen und Körperver- letzungen (den Realinjurien), bei welchen das Deutsche Recht das größte Gewicht auf die verletzte Privatehre legt, während das Französische mehr das vom Staate zu fühnende Unrecht hervorhebt. Wollte man bei den Ehrverletzungen die reine Privatklage nicht als die Regel durch- führen, so konnte doch auch bei den Strafanträgen der Wille des Ver- letzten in einem weiteren Maaße, als es geschehen ist, berücksichtigt werden, und namentlich brauchte die Zurücknahme des Strafantrags nicht auf die engen Grenzen des §. 53. beschränkt zu werden. Denkt doch niemand daran, daß im Civilprozeß das richterliche Ansehen durch die Zurückziehung der Klage beeinträchtigt wird, und wenn die Staats- anwaltschaft einmal das Recht des Verletzten vertreten soll, so möge sie auch den Verzicht desselben sich gefallen lassen. -- Es ist zu hoffen,
k)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission I. S. 117. -- Gutachten des Justizministers v. Savigny vom 16. Juni 1846., abge- druckt als Anlage zu den Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 222-25.
l)Verhandlungen I. S. 212. -- II. S. 443. Vgl. Hessisches Gesetz- buch Art. 56.
Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
Vertreter ſeines Mündels handelt und keine ſ. g. mittelbare Ehrver- letzung, wie der Gatte oder Hausvater nach §. 162. zur Rüge brin- gen kann.
IV. Der Antrag auf Beſtrafung iſt untheilbar; er kann nur ge- gen ſämmtliche Theilnehmer verfolgt oder aufgegeben werden. Haupt- ſächlich über dieſen Grundſatz hat man lange nicht zu einem feſten Ent- ſchluß gelangen können; doch blieb ſeit 1836. die Beſtimmung in den Entwürfen, daß der Strafantrag theilbar ſei und gegen einzelne Theil- nehmer verfolgt, gegen andere unterlaſſen werden könne, obgleich die Staatsraths-Kommiſſion und ſpäter noch ein beſonderes Gutachten des Juſtizminiſters v. Savigny ſich im entgegengeſetzten Sinn ausgeſpro- chen hatten. k) Der vereinigte ſtändiſche Ausſchuß entſchied ſich für die Untheilbarkeit des Strafantrags, l) und dieſer Grundſatz iſt auch in das Strafgeſetzbuch übergegangen (§. 52.). Es werden dadurch auch in der That manche Härten, ſo wie große Erſchwerungen und Verwicklungen der Kriminalunterſuchung vermieden, beſonders in dem Fall des §. 229. bei dem Diebſtahl unter nahen Verwandten; bei Ehrverletzungen wäre aber doch wohl eine Ausnahme von der Regel gerechtfertigt geweſen.
V. Ueberhaupt hat das Strafgeſetzbuch die Strafanträge von Privatperſonen nicht im Sinne der germaniſchen Rechtsanſchauung, welche auch im Strafrecht eine gewiſſe Berückſichtigung der individua- len Berechtigung fordert, behandelt. Das zeigt ſich namentlich bei den Ehrverletzungen und den leichteren Mißhandlungen und Körperver- letzungen (den Realinjurien), bei welchen das Deutſche Recht das größte Gewicht auf die verletzte Privatehre legt, während das Franzöſiſche mehr das vom Staate zu fühnende Unrecht hervorhebt. Wollte man bei den Ehrverletzungen die reine Privatklage nicht als die Regel durch- führen, ſo konnte doch auch bei den Strafanträgen der Wille des Ver- letzten in einem weiteren Maaße, als es geſchehen iſt, berückſichtigt werden, und namentlich brauchte die Zurücknahme des Strafantrags nicht auf die engen Grenzen des §. 53. beſchränkt zu werden. Denkt doch niemand daran, daß im Civilprozeß das richterliche Anſehen durch die Zurückziehung der Klage beeinträchtigt wird, und wenn die Staats- anwaltſchaft einmal das Recht des Verletzten vertreten ſoll, ſo möge ſie auch den Verzicht deſſelben ſich gefallen laſſen. — Es iſt zu hoffen,
k)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion I. S. 117. — Gutachten des Juſtizminiſters v. Savigny vom 16. Juni 1846., abge- druckt als Anlage zu den Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 222-25.
l)Verhandlungen I. S. 212. — II. S. 443. Vgl. Heſſiſches Geſetz- buch Art. 56.
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Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
Vertreter ſeines Mündels handelt und keine ſ. g. mittelbare Ehrver-
letzung, wie der Gatte oder Hausvater nach §. 162. zur Rüge brin-
gen kann.
IV. Der Antrag auf Beſtrafung iſt untheilbar; er kann nur ge-
gen ſämmtliche Theilnehmer verfolgt oder aufgegeben werden. Haupt-
ſächlich über dieſen Grundſatz hat man lange nicht zu einem feſten Ent-
ſchluß gelangen können; doch blieb ſeit 1836. die Beſtimmung in den
Entwürfen, daß der Strafantrag theilbar ſei und gegen einzelne Theil-
nehmer verfolgt, gegen andere unterlaſſen werden könne, obgleich die
Staatsraths-Kommiſſion und ſpäter noch ein beſonderes Gutachten des
Juſtizminiſters v. Savigny ſich im entgegengeſetzten Sinn ausgeſpro-
chen hatten. k) Der vereinigte ſtändiſche Ausſchuß entſchied ſich für die
Untheilbarkeit des Strafantrags, l) und dieſer Grundſatz iſt auch in das
Strafgeſetzbuch übergegangen (§. 52.). Es werden dadurch auch in der
That manche Härten, ſo wie große Erſchwerungen und Verwicklungen
der Kriminalunterſuchung vermieden, beſonders in dem Fall des §. 229.
bei dem Diebſtahl unter nahen Verwandten; bei Ehrverletzungen wäre
aber doch wohl eine Ausnahme von der Regel gerechtfertigt geweſen.
V. Ueberhaupt hat das Strafgeſetzbuch die Strafanträge von
Privatperſonen nicht im Sinne der germaniſchen Rechtsanſchauung,
welche auch im Strafrecht eine gewiſſe Berückſichtigung der individua-
len Berechtigung fordert, behandelt. Das zeigt ſich namentlich bei den
Ehrverletzungen und den leichteren Mißhandlungen und Körperver-
letzungen (den Realinjurien), bei welchen das Deutſche Recht das größte
Gewicht auf die verletzte Privatehre legt, während das Franzöſiſche
mehr das vom Staate zu fühnende Unrecht hervorhebt. Wollte man
bei den Ehrverletzungen die reine Privatklage nicht als die Regel durch-
führen, ſo konnte doch auch bei den Strafanträgen der Wille des Ver-
letzten in einem weiteren Maaße, als es geſchehen iſt, berückſichtigt
werden, und namentlich brauchte die Zurücknahme des Strafantrags
nicht auf die engen Grenzen des §. 53. beſchränkt zu werden. Denkt
doch niemand daran, daß im Civilprozeß das richterliche Anſehen durch
die Zurückziehung der Klage beeinträchtigt wird, und wenn die Staats-
anwaltſchaft einmal das Recht des Verletzten vertreten ſoll, ſo möge
ſie auch den Verzicht deſſelben ſich gefallen laſſen. — Es iſt zu hoffen,
k) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion I. S. 117.
— Gutachten des Juſtizminiſters v. Savigny vom 16. Juni 1846., abge-
druckt als Anlage zu den Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846.
S. 222-25.
l) Verhandlungen I. S. 212. — II. S. 443. Vgl. Heſſiſches Geſetz-
buch Art. 56.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/216>, abgerufen am 21.11.2024.
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